laut.de-Kritik
Ein skurriler Kosmos: Tim Burton lässt grüßen.
Review von Martin LeuteWenn die Bezeichnung Popzirkus Sinn macht, dann in Bezug auf den Kanadier Richard Marsella, der als Friendly Rich eine ausgeprägte Neigung zur musikalischen Anarchie an den Tag legt.
Seit 1996 veröffentlicht dieser umtriebige Barde Platten und hat sich in Nordamerika vor allem mit der musikalischen Untermalung der Tom Green-MTV-Late-Show einen Namen gemacht. Mit zweijähriger Verspätung erscheint sein Album "We Need A New F-Word" nun auch in Deutschland.
Mit traditionellen Instrumenten agiert sein Ensemble The Lollipop People und gemeinsam bewegen sie sich in einem skurrilen Kosmos zwischen Cabaret, Vaudeville, osteuropäischer Folklore und Kammermusik. Musik aus Kinderserien und Videospielen zählt Friendly Rich ebenso zu seinen Inspirationsquellen wie die Komponisten Verdi oder Shostakovich.
Will man Referenzen bemühen, bieten sich Danny Cohen oder der schrille Tom Waits als Vergleiche an. Auch den Protagonisten aus Tim Burton-Filmen würde diese Musik ausgezeichnet stehen.
Lyrisch setzt sich Friendly Rich theatralisch mit einem Brotbäcker, faulen Früchten oder der kanadischen Boxlegende George Chuvalo auseinander. Manege frei für diesen sanften, clownesken Rebellen, der den Alltag hinter sich lässt und mit seiner Musik in grenzenlose Fantasie- und Traumwelten lockt.
"Where The Baker Sleeps" eröffnet das Werk mit Banjo, Fagott und Oboe, ehe Friendly Rich mit wandlungsfähigem Gesang als barock anmutender MC seine Geschichte erzählt. Die schaurig-dramatische und surreale Atmosphäre zieht sich durch das komplette Album. Der traurige Clown bleibt dabei immer wieder der beste.
"We Need A New F-Word" beginnt mit atonalen Bläsern und Steichern. Drums, Banjo und Akkordeon stimmen eine einnehmende Melodie an, die Friendly Rich mit eigenwilligen vokalen Lauten untermalt.
In "Mature Fruit" ergreift die Sopranistin Kristin Mueller-Heaslip den Hörer mit tieftraurigem Gesang zu verhaltenem Arrangement, ehe Friendly Rich in "The Ballad Of George Chuvalo" zu comicartiger sich überschlagender Instrumentierung vom Leben eines Boxers berichtet.
"Miscarriage Waltz" wiegt sich in schiefer Lo Fi-Folk-Manier im langsamen Walzertakt, während "The Ayatolla" von der Oboe geführt wird und Glockenspiel, Trompete und Akkordeon den mit tiefer Stimme intonierten Song auskleiden. Ein wunderbares Bläserarrangement, Harfenspiel und ein holpriger Beat stützen das osteuropäisch tönende "All Of The Lawrence Welk Dancers Are Dead" - erneut von Mueller-Haeslip vorgetragen.
Nach 30 Minuten fällt der Vorhang mit dem schläfrigen "Sure That I'm Sure", das mit harmonischer Melodie zu bissigem Text und zweistimmigem Refrain das melancholische Spektakel abschließt.
Mit dem Mainstream haben Friendly Rich und seine Lollipop People sicher nichts am Hut, vielmehr stellt sich ihr Schaffen als sympathischer musikalischer Anachronismus dar, dessen leicht morbider Charme in der nostalgischen Instrumentierung und den melancholisch-lustvollen Arrangements liegt.
Mit "We Need A New F-Word" offenbart sich Richard Marsella als liebenswerter Freak, der die Welt verspielt und fantasievoll zu einer wundersamen Attraktion macht.
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