laut.de-Kritik
Spaß mit Queen, Hass für Bowie und dunkle Songperlen.
Review von Ulf KubankeOsaka 1982: Gary Numan ist "Lost in Translation" und stinksauer. Die Artpopper Japan haben ihn gerade mitten in Japan stehen gelassen. Trotz einer Verabredung zu Gastauftritten Numans auf ihren Gigs düsten sie vor seiner Nase davon, ohne ihm die Adresse zu hinterlassen. Eine Verfolgungsjagd per Taxi blieb erfolglos.
O-Ton Numan: "Ich dachte, wir wären Kumpel. Schleimige, kleine Penner!" Ziellos umherirrend und hungrig, weil ihm das japanische Essen nicht bekommt, entdeckt er zufällig ein Konzertplakat von Queen, kauft sich eine Karte und geht hin. Numan ist zu schüchtern, um backstage zu gehen, Mercury und Co. jedoch erkennen den Kollegen sofort und kümmern sich um ihn wie "um einen Welpen." Freddie ordert für ihn von McDonald's erstmal etliche Burger per Stretchlimo. "Don't worry, luvvie. We care for you."
Diese recht skurrile Episode aus dem Rockstar-Olymp liegt vor allem an einem einzigen Album: "Dance". Die Platte ist Numans beste LP der 80er, musikhistorisch bedeutend und ihrer Zeit weit voraus. Trotz großer Hits wie "Are Friends Electric?" oder "Cars" und eines verdienten Status als einer der ersten New Wave-Stars betraten seine ersten vier Alben kein genuin neues Terrain. Klinisches Maschinenstyling in Sound und Erscheinung gab es bereits von Kraftwerk oder Riechmann. Die Erfindung des Synthiepop geht auf Ultravox' "Systems Of Romance" (1978) zurück. Schlimmer noch: Die britische Musikpresse verhöhnt Numan, dessen Asperger-Syndrom damals noch nicht öffentlich bekannt war, als "Muttersöhnchen" und "Möchtegern-Bowie". Sogar der Thin White Duke höchstpersönlich disst Gary auf "Teenage Wildlife" ("Scary Monsters", 1980) und per Interview als alten Wein in neuen Schläuchen.
Künstlerisch war der damals erst 23-jährige Londoner trotz kommerziellen Erfolgs in den Augen der Öffentlichkeit kaum einen Pfifferling wert. Doch Gary Numan reißt das Steuer entschlossen herum. Sein Traum: Die Erneuerung und Weiterentwicklung der elektronischen Musik durch Kreuzung mit organischen Elementen.
Sein Glück: Der popkulturelle Augenblick ist auf seiner Seite. Kollegen wie Ultravox oder Human League driften langsam aber sicher in seichtere Gefilde ab. Numan hingegen bricht auf "Dance" mit dem Tabu genrefremder Zutaten. Beherzt integriert er eine fette Rhythmussektion aus Rock und vor allem Jazz.
Für den passenden Rock-Vibe angelt er sich Queens Drummer Roger Taylor. Eine noch tragendere Nebenrolle und heimlicher Star des Albums ist der Ausnahmebassist Mick Karn (Japan, Dalis Car). Numan und Karn ergänzen sich menschlich wie künstlerisch hervorragend. Besonders die gemeinsame Idee, einen bundlosen Bass zu nutzen, um den kalten Synthieflächen einen warmen Hauch à la Jaco Pastorius entgegen zu setzen, erweist sich als meisterhaft.
Mit "She's Got Claws" kredenzt er den klassischen New Wave-Fans und Radiohörern einen typischen Numan-Hit. Neben dem Refrain bleibt besonders Karns markante Saxofon-Hookline im Ohr. Einerseits handelt der Song von einer kleptomanischen Taschendiebin. Dahinter verbirgt sich jedoch Numans Abrechnung mit einer Exfreundin, die nach dem Beziehungsende illoyal Yellow-Press-Blättchen mit privaten Details füttert.
Fast jedes Stück beinhaltet solch eine Metabene sarkastischer Abrechnung. Numan schlägt so gallig zurück wie ein Proto-Morrissey. "Moral" etwa bedeutet musikalisch die Weiterentwicklung des Liedes "Metal" (von "The Plesure Principle" 1979). Die Zeilen drücken erstmals Numans tief empfundene Verachtung für Religion aus und rechnen mit der aus seiner Sicht lächerlich substanzlosen New Romantic-Bewegung ab: "Just like religion you will go nowhere."
Letzteres war der Grund für das beschriebene Verhalten der Band Japan. Besonders David Sylvian, damals eine Galionsfigur der Bewegung, fühlte sein Schaffen besudelt. Sylvian sah im Styling und der extravaganten Kleidung der New Romantics ein subkulturell wichtiges Statement. Auch im Bereich Songwriting und Ausdruck entwickelt Numan auf "Dance" eine komplett neue Facette. Mehr als die Hälfte des Albums legt er als finster dräuende Klanggemälde an.
"Dance" ist Numans "Low". Reduktion aufs Wesentliche – Leid, Kaputtheit, Sucht und Verlust – transportiert er durch maximale Kälte des Gesangs und ein für seine Verhältnisse geradezu minimalistisches Soundgerüst. Als Gegenpol streuen Bass und Percussion besonders in der elegisch pluckernden Depression "Cry The Clock Said" einen Hauch wohliger Wärme ein. Der Kontrast beschert dem zehnminütigen Ausnahmetrack eine bis heute funktionierende Zeitlosigkeit.
Für Karns maßgebliche Beteiligung an diesem Stück hält die Ironie des Schicksals eine besonders fiese Pointe bereit. Jene Uhr im Lied, die eine Zeit der Tränen verkündet, verkörpert die traurige Trennung eines Paares. Im echten Leben beginnt David Sylvian derweil erfolgreich, Karn die japanische Lebensgefährtin auszuspannen, was schlussendlich einer der Hauptgründe für die baldige Trennung Japans werden soll. "Well someone I know lost the whole damn world."
Höhepunkt des sinistren Reigens ist das ebenfalls zehnminütige "Slowcar To China". Der Song selbst ist ein nächtliches Drama um Prostitution, Gefühlskälte, Stolz und unerwiderte Suche nach Liebe. Daneben verkörpert es Numans bitterböse Rache an David Bowie. Neben dem obigen Diss bootete Bowie ihn bei einem TV-Auftritt aus und ließ ihn – laut Numan – per Security von der Aftershow-Party werfen, als Gary ihn zur Rede stellen wollte. Bestritten hat Bowie dies nie.
Alles Negative kulminiert in der Storyline dieser schwarzlichternen Killerballade. Sogar der Albumtitel kommt nicht ohne sardonische Brechung davon. "There's nothing much to keep us alive but 'Dance'". Am Ende dieses dunklen Tunnels wartet kein Licht auf die Limousine, sondern Bowie als eiskalter, dämonischer Strippenzieher. Doch der Fahrer lässt ihn stehen und gleitet weiter durch die Nacht. "You will pay Mr Jones. There's no one here to leave you behind but me."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit 4 Antworten
Mehr als verdienter Meilenstein für Gary Numan (und seine Tubeway Army^^). Ich hätte Telekon als Meilenstein genommen, aber dass ist zum Glück Geschmackssache.
Mmmmhhhh … Diesen Meilenstein gehe ich einfach mal nicht mit ...
Denn bereits mit „Dance“ beginnt die Phase Numanscher Orientierungslosigkeit, die – von einigen wenigen wirklich grandiosen Ausreißern abgesehen – über ein Jahrzehnt anhalten sollte. Und sich in Alben wie „Berserker“, „The Fury“ oder „The Strange Charme“ konsequent manifestierte.
Für mich persönlich bleibt die „Living Ornaments '80“ (wahlweise als Vinyl-Version oder auch als 2005er CD-Remaster) das Maß aller Dinge. Finden sich hier doch die meiner Meinung nach besten Versionen von Klassikern wie „Are `Friends´ Electric“ oder „Everyday I Die“.
Ganz zu schweigen vom kongenialen „Down In The Park“, zu dem man Anfang der 80er im Hamburger KIR oder im Stairway am Neuen Pferdemarkt wirklich noch tanzte. Die ultimativ beste Version dieses einzigartigen Song-Juwels …
Dennoch: Allein für die Alben „Jagged“, „Dead Son Rising“, „Splinter“ und „Savage“ bekommt der Meister von mir 5 Sterne+ – ganz gleich, wie schlecht sein Output zwischen 1981 und 2005 auch gewesen sein mag …
"Sacrifice" und "Pure" würde ich noch eventuell mit rein nehmen. So gibt es dem Kommentar aber nichts weiter hinzufügen.
Da ich Gray Numan erst mit der 2013er "Splinter" wieder neu für mich entdeckt habe, hatte ich "Sacrifice" und "Pure" nicht wirklich auf dem Schirm. Aber selbstredend liegst Du mit Deiner Anmerkung goldrichtig ...
"Sacrifice" ist in der Hinsicht wichtig, da man diesen Industrial-Rock-Stil auch auf den Alben danach in etwas abgewandterer Form findet. Für mich wurde es nach "Pure" deswegen teilweise auch etwas zu eintönig. Mit "Savage" kann ich leider nur bisher wenig anfangen. Irgendetwas fehlt mir dort.
"Dance" ist meiner Meinung nach ein schönes, aber im Klang sehr spezielles Numan-Album. Ich hätte hier auch "Telekon" oder vielleicht noch eher "The Pleasure Principle" mit den Hits "Cars" und "Metal" genommen. Die Erfindung des Synthie-Pops Ultravox zuzuschreiben halte ich für gewagt, ist aber sowieso eine nie endende Diskussion. Numan galt in UK jedenfalls sehr wohl als erster Synthpop-Star, mit "Are Friends Electric?" war er Anfang 79 bei TOTP, ein Auftritt der zahlreiche Bands beeinflusste. Anyway, schöne Bowie-Anekdote of course!
hehe, dachte ich mir schon fast, dass hier die ansichten ausenandergehen. das ist bei numan ja immer so.
Klar war der anfang 79 bei totp. Aber 79 ist eben nicht 78 wie „systems of romance“. Hinzu kommt, dass es nicht nur etliche recherchierbare links gibt, die der platte den status als urknall zuspechen, sondern eben auch gary selbst. Er hat sie – auch in einem unserer interviews mit ihm – stets als haupteinfluss bezeichnet. Das istz ja keine privaterfindung von mir.
Mit den ersten werken hat er zwar tolle hitzs gehabt, klar. Und natürlich hätte man die auch nehmen können. Aber jenseits der singles hört man eben doch oft, dass vieles noch nach fingerübungen eines 20jährigen klingt. Und bowie hatte recht: er ist musikhistorisch damit keinen schritt weiter gegangen als die gennanten vor ihm.
So richtig weitergegangen ist er erst mit „dance“. Ganz abgesehen davon, dass wir für bowie ja auch „low“ nahmen und nicht etwa „ziggy“, entwickelt er hier tatsächlich das genre weiter. Gab es vorher dunkle 10min-tracks im ne w wave? Oder organischen jazz? Nein, und nachher eigentlich auch nicht so recht. Das konnte ich nicht ignorieren.
Doch selbst, wenn man sagte, es stünde in der abwägung bis hierhin nur unentschieden:
das zünglein an der waage war für mich bei gleichstand die chance, hier sogar urfans nochmal was neues zu erzählen. Wenn man die möglichkeit hat, anhand nur eines albums mehrere storylines zusammen zu führen, die sch jenseits der immergleich abgespultenen medialen numanpfade „are friends, cars und später dann voll nine inch nails“ bewegen,
dann kommt man – zumindes ich – an der chance nicht vorbei. Kein boring stuff!
Manche geschichten wollen eben erzählt werden und sagen einem das auch. Da konnte ich den freddie, die japan-episode inkl bitterer karn/sylvian-ironie des schicksals und den vielen gar nicht bekannten bowie-diss-track nicht einfach stehen lassen.
zu groß die versuchung, hier sogar checkern mal was neues zu erzählen, dass sie als verknüpfung en detail nicht kennen.