laut.de-Kritik

Die Norweger auf der Suche nach der Prog-Weltformel.

Review von

Es lohnt sich, eine Band wie Gazpacho näher zu beleuchten. Denn bei dem Sextett aus Norwegen handelt es sich nicht um Newcomer, sondern um gestandene Progger, die mit einer Nähe zu Marillion starteten, sich aber zusehends in Richtung Eigenständigkeit entwickelt haben.

Seit 20 Jahren aktiv, benötigt die Band keine Orientierung mehr an den Melodic Prog-Granden, sondern zieht einen eigenen Stil auf, den sie mit dem Vorgänger "Demon" perfektioniert: Melancholisch, hypnotisch und dynamisch gehen Gazpacho zu Werke und loten diesmal das Ziel aus, das große Welträtsel näher zu beleuchten.

Die Norweger legen es darauf an, das gesamte Universum und alle sich darin befindlichen Teilchen mithilfe eines Codes zu zerstören, der am Ende jedes CD-Durchlaufs generiert wird. Spiritualität oder ein genereller Sinn des Daseins wäre durch eine solche Zerstörung obsolet, so der Gedanke der Band.

Dahinter steht die Frage, ob alles technisch mit 1 und 0 darstellbar ist und dem Kausalitätsprinzip folgt, oder ob es doch etwas mehr gibt als das quantifizierbare wissenschaftliche Auge
wahrzunehmen vermag. Der Laplacesche Dämon steht genauso im Fokus wie ein möglicher Weltenschöpfer, den dessen unterschiedlichen Verehrer immer in Stein meißeln - sei es in Form von Kathedralen, Stonehenge oder Mekka - und dadurch den Kontakt zum Obersten verlieren.

Gazpacho spielen mit den Manifestationen unterschiedlicher Musikkulturen, seien es sakrale Chöre, stoische Rhythmen, folkloristische Tanzeinlagen, Weltmusik, postrockige Klanggebilde, ein Hauch Elektro oder ein fünfzig Jahre Popgeschichte umspannender Reigen an Melodien.

Alle Tracks pendeln zwischen zerbrechlich und majestätisch und schillern in einer facettenreichen Klangkulisse, die von Soundscapes und instrumentalen Licks Leben eingehaucht bekommen. Dredg zu El Cielo- und Catch Without Arms-Zeiten lugen dezent um die Ecke. Der Wehmut um die Eiszeit bei dieser Band löst sich beim Genuss dieser Platte aber in Wohlgefallen auf. Die Musik klingt episch und eingängig und manchmal auch verschmitzt wie beim Soundtrack von Grand Budapest Hotel ("Belas Kiss").

Kritisch beäugt der Prog-Fan die relativ kurze Spielzeit von 45 Minuten und die allenfalls nuancierte Weiterentwicklung zum Vorgänger "Demon".

Im Mittelpunkt steht Sänger Jan Henrik-Ohme. Stilsicher bewegt er sich zwischen beatlesken Melodien ("The Masters Voice"), Tori Amos-artiger Stimmführung ("Know Your Time"), dem Pathos von Freddie Mercury (C-Teil von "Belas Kiss") und der Schmissigkeit traditioneller Lieder ("Choir Of Ancestors").

Es verbietet sich fast, einzelne Stücke herauszuheben. So durchdacht und fluide setzen die Norweger ihre Suche nach der Weltformel durch Mythos, Religion und Wissenschaft in eindringliche Musik um, die, ob sie nun das große Ganze zu durchschauen vermag, zumindest in sich betrachtet Sinn ergibt.

Trackliste

  1. 1. Park Bench
  2. 2. The Master's Voice
  3. 3. Bela Kiss
  4. 4. Know Your Time
  5. 5. Choir Of Ancestors
  6. 6. Abc
  7. 7. Algorithm
  8. 8. Alarm
  9. 9. Molok Rising

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