laut.de-Kritik

Online im Endstadium.

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Es könnte gerade wohl kaum eine passendere Gallionsfigur für die Transformation von Musik durch das Internet und die Fluidität von Genres geben als Jane Remover. Auch wenn sie sich selbst lange gegen die Zuweisung sträubte "chronically online"-Musik zu machen, so gestand sie jüngst in einem Interview ein, dass es alleine aufgrund einer Adoleszenz inmitten von Shitposts, Tumblr und Einrad-fahrenden Fröschen fast schon unabdingbar scheint, dass all diese Erfahrungen Einfluss auf die eigene Kunst haben.

Das äußert sich in einer Karriere, die mehr Haken schlägt als Wladimir Klitschko. Jane veröffentlichte bereits unter dutzenden Aliasen, sprang innerhalb weniger Jahre von rofl xD-Meme Musik zu geschmackvollem Noise Pop, zu mit Red Bull gedoptem Gaga-Core, zu melancholischem Shoegaze und wieder zurück. Ihr Katalog wirkt wie ein ungebremster kreativer Mahlstrom eines unglaublich begabten Menschen, der durch das Internet lernte, was "gute" und was "schlechte" Musik ist, und nicht nur versucht, eine Schnittmenge herzustellen, sondern auch für jede Variation davon ein offenes Ohr mitbringt. So kommt es, dass sie nur wenige Wochen vor "Revengeseekerz" erneut ein lupenreines Gitarren-Album veröffentlichte, das keinerlei Kontamination vom digitalen Brainrot aufweist, der auf "Revengeseekerz" in seinen grellsten Farben leuchtet.

Mit ihrem dritten Studio-Album unter diesem Alias kehrt Jane nämlich wieder zu ihren Anfangstagen zurück, als sie dem Basispokemon EDM einen Mondstein in den Arsch steckte und ihn dazu zwang, sich zu entwickeln. Das daraus geschlüpfte Monstrum nannte sie Dariacore, und seinen vielen Qualitäten zum Trotz klang es eben doch recht offensichtlich nach der endlos verspielten Musik eines Teenagers. Obwohl ihr ihr zweites Album "Census Designated" weitläufig das Lob einbrachte, musikalisch erwachsen geworden zu sein, fühlt sich das Update, das Jane ihre Wurzeln mit diesem neuen Release verpasst, wie der bislang größte Reifeprozess ihrer Karriere an.

Nicht etwa, weil die Verspieltheit auf Sparflamme laufen würde. "Revengeseekerz" legt sie nur ein wenig anders aus. Anders als "Census Designated", das artistische Evolution damit gleichsetzte, dass Jane den One Piece AMV-Tab in ihrem Browser zumachte, um ein Gitarren-Tutorial für "Loveless" zu gucken, fühlen sich die Ideen auf dieser LP erstmals in ihrer Karriere nahe der Formvollendung zu Ende gedacht an.

Auf den ersten Blick erschlägt einen diese LP. In jedem dieser Songs passiert so viel, und so viel davon passiert in so schneller Abfolge oder sogar gleichzeitig, dass man sich fühlt, als wäre man in einer musikalischen Kernschmelze gefangen, die jede Sekunde darin mündet, dass die eigenen Kopfhörer explodieren. Dieses Gefühl wird man auch nie vollends los. Das wohnt einem Genre wie Digicore einfach inhärent inne, und Janes Spielart davon gerät nochmal um einiges lauter, wilder und kompromissloser als vieles, was dieser Sound bislang hervorbrachte. "Revengeseekerz" klingt, als hätte man die Memory Card eines alten Nintendo DS mit einem Space Laser pulverisiert, und die Asche dann durch die Nase gezogen.

Was Janes Version von dieser Musik unterscheidet, die abgeschwächter Form auch von Artists wie Underscores, Glaive, Brakence, oder jüngst 2Hollis oder sogar Ken Carson und Playboi Carti in den Mainstream getragen wird, hängt viel mit ihrer Experimentierfreude zusammen, lässt sich aber am Ende wohl schlichtweg auf das handwerkliche Talent reduzieren. Schon als Produzentin spielt Jane mit diesem Album in ihrer eigenen Liga. Alles fühlt sich zielgerichtet an, nichts nach Selbstzweck. Jedes noch so obskure Sample passt wasserdicht ins Klangbild. Egal ob Bulldozer-EDM-Drops, himmelhoch jauchzende Pop-Hooks, oder der Payoff der oben erwähnten Gitarren-Tutorials: Jedes Element fühlt sich hier wohl, nichts hebt sich gegenseitig auf oder steht sich im Weg. Es mag eine Weile dauern, bis es passiert, aber früher oder später entsteht hier mehr als nur die Summe der einzelnen Teile, und das auf jedem einzelnen verdammten Song.

Dieses "Mehr" bedeutet dann konkret, dass der Sound eines kreischendes Pokemons als Percussion, vermengt mit einem Rage Beat, verzerrten E-Gitarren, und einem Synth-Loop aus einem Arcade-Flipper nicht wie ein Shitpost klingt, sondern wie eine emotionaler Kinnhaken, zu dessen Bassdrop man mitten im Moshpit am liebsten gen Himmel aszendieren möchte. Und das ist nur ein Beispiel. Auf "Psychoboost" dominiert im einen Moment eine Guetta-Gedächtnis EDM-Melodie, ehe ein aufgeputschter Drop zwischen reinem Pop-Zucker den nächsten jagt, bis die BPM irgendwann ihren Breaking Point erreichen und der Gabba losstampfen darf. Und mittendrin rappt sich auch noch ein Danny Brown den Arsch ab, der gerade ohnehin Features auf Songs von queeren Krawallmachern sammelt, als wären es Pokemon.

Auf anderen Songs samplet Jane ihre eigenen alten Songs, versteckt bekannte Guitar-Licks, Synth-Lines oder Breakbeats wie Easter Eggs. "Star People" etwa lässt immer wieder kurz die wunderschöne Melodie ihres letztjährigen Songs "Flash In The Pan" aufkeimen, ehe Jane sie unter berstendem Glass, Tastenklicken, und einem trötenden Synth-Bombardement begräbt. Zumindest bis sie in der zweiten Hälfte ihre Gitarre rauskramt und auf einmal zum Dream-Pop-Outro anstimmt. "Experimental Skin" dreht diese Formal auf den Kopf, startet fast schon mit Noise-Rock, nur um die Gitarren mit fortlaufender Laufzeit immer mehr in den Hintergrund zu rücken, bis am Ende ein finaler Drop Platz macht für eine Überdosis Hyperpop-Earcandy, die sich anfühlt, als wäre man ein Anime-Girl, das gerade durch einen Flipperautomaten gejagt wird. "Dancing With Your Eyes Closed" drückt anschließend gleich noch mal auf Play und verpasst dem Genre im Jahr 2025 eine neue Hymne, den so gut klang Hyperpop seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr.

Das ist nämlich das Ding: Egal wie chaotisch dieses Album klingt, tief in diesem Chaos findet es immer wieder zu seinen Pop- oder Dance-Sensibilitäten zurück. Im Vordergrund von "TURN UP OR DIE" mahlen zum Beispiel die lautesten Kickdrums, die man in seinem Leben gehört hat, den Boden zu Brei, während Jane unbeirrt davon eine Ohrwurm-Melodie nach der nächsten säuselt. Viele der Songs mögen eine Hip Hop-DNA tragen, und Jane rappt hier auch an vielen Stellen, aber das, was die Musik mit einem anstellt, lässt sich meistens mit der fast schon kindlichen Euphorie vergleichen, die Popmusik in einem auslöst.

Dieses Album singt davon und bietet sicherlich auch das Klangbild, um ganze Städte dem Erdboden gleichmachen zu wollen. Doch der oberflächlichen Abrissbirne zum Trotz, die abwechselnd durch flackernde Strobo-Labyrinthe und verlassene Lagerhallen donnert, findet sich hier derselbe emotionale Kern, den Jane schon Jahre zuvor unter dem Dach ihrer Eltern legte. Inmitten der Fortnite-Pings, Palkia-Screams und Sonic.exe-Samples wohnen Bilder von Schlafzimmern, die nur durch das Flackern eines Bildschirms erhellt werden. Jane mag nicht mehr explizit darüber singen, aber ihre Musik erzählt nach wie vor von der Flucht in diesen Bildschirm und der Einsamkeit, die sich darin breit macht.

Konträr zu der Person der sie damals war, die sich kaum traute, ihre eigenen Vocals aufzunehmen, aus Angst ihre Eltern wecken zu können, klingt Jane auf dieser LP, als würde sie so laut schreien wollen, bis jeder Person um sie herum das Trommelfell platzt, wenn sie denn könnte. Es ist ein anderer Umgang damit, Jane mag selbstbewusster sein, aber nicht zwingend glücklicher. "Revengeseekerz" ist ein wütendes Album, das gleichzeitig auf alles und niemanden wütend ist. Ein musikalischer Schrei ins Kissen, der Tanz auf dem Vulkan, ein nicht endender Rave gegen die nagenden Fragezeichen im Hinterkopf.

Songs wie "Fadeoutz" oder das wunderschön-melancholische "Dark Night Castle" formulieren die Ängste, die sonst oft vom Chaos geschluckt werden, etwas greifbarer aus. "Might close up shop if it means I can live my life", singt sie da sehnsüchtig. Später interpoliert sie George Michael: "Cupid calls me, I see nothing in his eyes". In einer Minute zeichnet sich Jane selbst als Ballqueen, die den Rave mit dem Presslufthammer dirigiert, in der nächsten als einsames Kind des Internets, für das diese Bühne vielleicht niemals vorgesehen war. Das führt auf "Dark Night Castle" dazu, dass sie buchstäblich am Autotune ertrinkt, ehe eine Wand aus Gitarren-Feedback sie verschluckt. In diesem Kosmos reicht dieser Moment der musikalischen Nüchternheit, um einem ein wenig das Herz zu brechen.

Auch eben weil alles an dieser Musik intimer kaum sein könnte, so verständlich die Referenzen und das scheppernde Klangbild für Internet-Kids auch sein mögen. Am Ende des Tages erzählt das Sammelsurium an Soundbites und Effekten, die auf diesem Album auftauchen, die persönliche Geschichte ihrer eigenen digitalen Adoleszenz. Hinter diesen Kaskaden an Krach und kreativen Wahnsinn steckt nicht nur Methode, darin verbergen sich auch dutzende biographische Relikte, die von einer Zeit zeugen, als die digitale Welt mehr erst als zweite Heimat bedeutete. Vielleicht muss man diese Erfahrung teilen, um einen emotionalen Zugang dazu zu finden. Dennoch: Niemand anderes hätte dieses Album machen können, und das ist in diesem Fall nicht Hyperbole, sondern ein Fakt.

Alles endet schließlich mit "JRJRJR", der ersten Single, die diesen Album-Zyklus pünktlich zum Jahresbeginn einläutete und alles, was dieses Projekt ausmacht, auf wenige Minuten kondensiert. Jane rast in Windeseile durch stotternde Vocal-Samples, Boom-Soundeffekte, gefühlt 10 Beat-Switches und hyperaktive bimmelnde Keys. Sie singt, rappt, schreit und haut einem nebenbei auch wieder in die Nieren, wenn inmitten dieses tonalen Blizzards auf einmal ein "Bitches like me get to be happy" aufblitzt, das einen schlagartig daran erinnert, dass Jane gerade aktuell mehr denn je Gründe hat, wütend zu sein.

Auf den ersten Blick mag dieser Song als Closer nicht viel Sinn machen, aber nach allem, was uns Jane zuvor aufs Trommelfell tackerte, klingt dieser erneute Schnelldurchlauf davon nach einer verdienten Ehrenrunde, ein abschließendes Statement, das noch mal das denkbar fetteste Ausrufezeichen hinter den Sound dieser LP setzt und im gleichen Atemzug anfängt die Umrissen eines Fragezeichens zu zeichnen. "Should I change my name again, baby?", fragt sie am Ende. Wir wissen nicht, wie ihr nächstes Album klingt, aber wir können uns jetzt schon ziemlich sicher sein, dass es definitiv anders sein wird. Womöglich hat sie ihre finale Evolutionsstufe noch gar nicht erreicht.

Trackliste

  1. 1. TWICE REMOCED
  2. 2. Psychoboost (feat. Danny Brown)
  3. 3. Star People
  4. 4. Experimental Skin
  5. 5. Angels in Camo
  6. 6. Dreamflasher
  7. 7. TURN UP OR DIE
  8. 8. Dancing With Your Eyes Closed
  9. 9. Fadeoutz
  10. 10. Professional Vengeance
  11. 11. Dark Night Castle
  12. 12. JRJRJR

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