laut.de-Kritik
Er verschwand 1975 spurlos. Diese zehn Folk-Songs sind sein Vermächtnis.
Review von Michael Schuh"Du kennst Jim Sullivan nicht?" Manchmal ist es unangenehm, Musikjournalist zu sein. Mein Kumpel wollte es nicht glauben. Weniger weil ich im Erscheinungsjahr 1969 schon diesen Job inne hatte, sondern weil Sullivans Debütalbum "U.F.O." 2010 wieder veröffentlicht wurde. Nein, ich kannte Jim Sullivan nicht. Dafür vergeht seither kaum ein Tag, an dem ich nicht wenigstens einen Song dieses Albums anhöre. Und hört man einen, kann man sowieso gleich dranbleiben, denn nach 29 Minuten ist der Spuk vorbei. Und man bleibt dran, es ist wie eine Sucht.
Ganz ähnlich erging es 2009 auch Matt Sullivan (der nicht mit Jim verwandt ist). Matt Sullivan ist Chef des 2002 gegründeten und auf Re-Releases spezialisierten Labels Light in The Attic aus Seattle. Und eines Tages machte er das, was ich auch täglich mache: Er surfte im Internet. "Dann kam ich auf eine Seite im Netz, die obskure Platten vorstellt und ich blieb gleich am 'U.F.O.'-Albumcover hängen. Ich lud mir die Platte runter und war sofort angefixt", erinnert er sich. Wahrscheinlich von der unheimlich warmen Stimme Sullivans, die von Sekunde eins über majestätisch orchestrierten und traurigen Country-Folksongs thront. Dank ihm ist die Platte seit 2010 wieder erhältlich, wie bei Light In The Attic üblich inklusive dicker Liner Notes, Fotos und Songtexten. Der Rest kann streamen.
Das Album braucht eigentlich keine begleitenden Sensationsgeschichten, und doch gibt es eine. Sie ähnelt der Tragik des jahrelang verkannten und ebenfalls von Light In The Attic wiederentdeckten Songwriters Sixto Rodriguez ("Searching For Sugar Man") - bei Sullivan allerdings ohne Happy End. Diese Geschichte verleiht der Mystik seiner Texte eine geradezu schauerliche Ebene.
1975, nach zwei skandalös erfolglosen Studioalben, wittert der kalifornische Musiker eine letzte Karrierechance in der Country- und Westernstadt Nashville. Von dort kommt die Musik, die er macht, dort würde man ihn endlich verstehen. Sullivan lässt Frau und zwei Kinder zurück, packt ein paar Exemplare seiner 1972er LP samt 12-String-Gitarre in seinen Käfer und fährt los. Einen Tag später wird sein leerstehender Wagen am Rande der Wüste New Mexicos gefunden. Jim Sullivan wurde danach nie mehr gesehen.
Doch der Reihe nach. 1969 scheint die Welt für den Kalifornier rosafarben. L.A. ist das Mekka der Pop- und Rockmusik und der 29-Jährige mittendrin. Seine Mischung aus L.A.-Sunshine Pop, Memphis Soul, Countryrock und Hippie-Folk trifft den Zeitgeist und so spielt der Gitarrist in angesagten Clubs an der kompletten Westküste. Auch sein Umfeld scheint erfolgversprechend: Seine Frau ergattert einen Job bei der bekannten Plattenfirma Capitol Records. Wenn er keine Gigs spielt, steigen allabendlich Partys zuhause bei Sullivans, wo sich Musiker und Schauspieler aus der zweiten Reihe treffen, die allesamt auf den Durchbruch warten. Während einige davon wie Lee Majors (aka Colt Seavers) und Farrah Fawcett ("Bezaubernde Jeannie") später ihren Traum verwirklichen, bleibt Sullivan der ewige Geheimtipp. Auch nachdem er durch seine guten Kontakte einen Kurzauftritt im Hippie-Kultfilm "Easy Rider" hat.
Irgendwann mag Sullivans Freund und Schauspieler Al Dobbs das alles nicht mehr mit ansehen. Er gründet in einer Art frühem Crowdfunding das Label Monnie Records, nur um die Songs seines Freundes zu veröffentlichen. Kein Mensch weiß wie, aber der nicht schwerreiche Dobbs organisiert für dieses Liebhaberprojekt Phil Spectors legendäre und sicher sündhaft teure Session-Band The Wrecking Crew (Don Randi, Earl Palmer, Jimmy Bond), die für die Beach Boys ("Pet Sounds", "Smile") oder The Mamas & The Papas den heute legendären Westcoast-Sound prägten.
Unklar ist auch, warum Dobbs diesen Schritt tätigt, denn nach eigener Aussage liebt er gerade Sullivans reduzierte Barhocker-Akustikauftritte. Man muss daher dem Schicksal danken, denn die Bandbesetzung, allen voran die eingesetzten, molllastigen Streicher-Arrangements, tragen viel zur Zeitlosigkeit der Sullivan-Songs bei.
Die fast allen Songs innewohnende Melancholie bricht gleich aus dem Intro von "Jerome" heraus, bevor Sullivans Gitarre einsetzt und dann endlich er: "And I found a magic man." Danke, gleichfalls. Sullivans warme Stimme evoziert Cat Stevens, allerdings ohne dessen oftmals ins Kitschige fallende Timbre. Gleich hier ist auch sein Interesse an mystischen Themen herauszulesen, Jerome ist eine Geisterstadt in Arizona, die in den 60ern bei vielen Aussteigern und Drogenfreunden hoch im Kurs stand. Gleich danach er erklärt er seiner Geliebten auf den angefunkten Rare Grooves von "Plain As Your Eyes Can See" schweren Herzens, warum er nicht gut genug für sie sei und deshalb Schluss machen müsse: "I started thinking / about those voices in the crowd / words that started with a whisper / it seems they gotten all too loud".
Das heitere "Roll Back The Time" klingt so akustisch naturbelassen, wie man sich wohl Sullivans damalige Bar-Konzerte vorstellen muss: Swingend-melodiöser Folk-Pop, so simpel wie magisch. Es braucht nur eine Stimme und eine Gitarre, also jenes Rezept, das Rick Rubin später auch für Johnny Cash (zu dessen Manager Dobbs 1970 nicht vorgelassen wurde) erfolgreich anwenden sollte. In "Whistle Stop" verarbeitet Sullivan dann die Story des auf einem Geisterschiff umherirrenden Kapitäns aus dem 50er Jahre-Melodram "Pandora und der fliegende Holländer" mit Ava Gardner.
"Rosey" ist Lee Hazlewood pur (zufällig auch von Light In The Attic in großer Serie wiederveröffentlicht), nur ohne dessen zum Erdmittelpunkt hinabsinkende Grummel-Vocals. Dazu garnieren die Session-Streicher ein barockes wie klischeefreies Arrangement zum Niederknien, das an Hildegard Knef großes "Knef"-Album von 1970 erinnert.
"Highways" klingt im Wissen um Sullivans späteres Verschwinden am Rande einer solchen Fernstraße dann doppelt geheimnisvoll: "There's a highway telling me to go where I can / Such a long way / I don't even know where I am". Es fällt schwer, einen Song des Albums hervorzuheben, aber "U.F.O." im Stile des frühen Van Morrison ist in mehrfacher Hinsicht ein Schlüsseltrack. Er steht sinnbildlich für Sullivans Interesse an unerklärlichen Phänomenen und für die in seinen Texten durchschimmernden, düsteren Vorahnungen: "Think he'll ever come again a different way / And maybe he has come and gone while I was away / Too much goodness is a sin today / Did he come by U.F.O.?"
Man hört die Lieder und fragt sich auch knapp 50 Jahre später, was mit Jim Sullivan wohl geschehen ist. Als er mit seinem Manager Robert Ginter einmal über ein mögliches Lebensende philosophierte, äußerte er den Wunsch, einfach in die Wüste zu laufen und zu verschwinden. Am 5. März 1975 könnte genau das geschehen sein. 15 Stunden nach seiner Abreise aus L.A. halten Polizeibeamte seinen VW auf dem Highway in Santa Rosa an, nachdem Sullivan Schlangenlinien fährt. Zwar ist er nicht alkoholisiert, auf der Polizeiwache wird ihm aber geraten, sich in einem Motel auszuruhen. Der Sänger stimmt zu und lässt seine Frau wissen, dass er sich aus Nashville wieder melde. Gitarre und Gitarrenkoffer findet man später auf dem unbenutzten Hotelbett, sein Auto verlassen 23 Meilen stadtauswärts.
Es existieren zwei Theorien über sein Verschwinden. Die erste verdächtigt die Streifenpolizisten, die ihn zuletzt sahen. Der Hüne Sullivan könnte in seinem unausgeschlafenen Zustand bei der Fahrzeugkontrolle unvorsichtige Worte gewählt und die Beamten aufs Äußerste provoziert haben. Sie wurden schnell von allen Verdächtigungen freigesprochen, aber Sullivans Freunde hegten Zweifel. Die zweite Theorie, natürlich: UFOs haben ihn geholt. Aber warum hatte Sullivan seine Gitarre nicht bei sich im Auto? Er hätte sie überall mit hingenommen, so seine Frau Barbara. X-Files für Fortgeschrittene.
Was bleibt ist dieses Album mit zehn Songs, einer trauriger und schöner als der andere. "It's my time to go / I just want the wind to blow / my ashes till they're completely out of sight" singt Jim Sullivan in "So Natural". Dank Light In The Attic gibt es für seine Frau Barbara wenigstens ein kleines Happy End. "Ich habe darauf gewartet und dafür gebetet", so die Witwe im Jahr 2010 über die Wiederveröffentlichung von "U.F.O.". "Ich wollte, dass meine Enkel wissen, wer ihr Großvater war."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
7 Kommentare
na, da haste ja ein nugget ausgegraben, don zapato.
auch mir als bekennendem musikhistoriker war der bis eben völlig unbekannt. wird ohne schuldhaftes geändert.
Monsterplatte! Monsterstory!
wo bleibt der meilenstein für tiny tim - god bless tiny tim
never heard of that clown. was für ein fehler.
Geile Scheibe. Kannte ich auch nicht.
Lieber Weihnachtsmann ich wünsche mir Taktloss, Yes, Electric Light Orchestra, The Alan Parsons Project, Savatage, Helloween, Queensryche und Marillion auf die Meilensteinliste, wenn nicht ist es mir auch egal.