laut.de-Kritik
Viele Highlights auf einem der besten Alben des Jahres.
Review von Yannik GölzErzählt bitte mal den 13-Jährigen YouTube-Kommentarmenschen von 2011, die Sachen wie "Wenn Justin Bieber von einem Gebäude springt, dann schreie ich 'mach einen Backflip'" in jeden Kommentarbereich des Internets geschrieben haben, dass Bugatti Biebs im Jahr 2025 ein Album mit dem Namen "Swag" veröffentlichen wird. Jup: "Swag" von Justin Bieber, Leute. Da isses. Und es ist eins der besten Alben des Jahres.
Irgendwie hat "Folklore" ja wirklich einen harten Trend damit gesetzt, dass Popstars sich für neue Äras ein paar helfende Indie-Elfen adoptieren. Taylor hatte Bon Iver und The National. Neuerdings hatte Miley Cyrus Alvvays und Haim, Lil Yachty hatte Magdalena Bay, Dua Lipa hatte Tame Impala. Das macht nicht nur den Sound interessanter, es gibt auch den Hipster-Kids das Recht zu sagen: Nein, das neue Album von meinem Fav ist nicht nur catchy, es ist auch kredibil.
Diese ganze Methode kann durchwachsene Ergebnisse hervorbringen. Manchmal haben die betreffenden Artists gute Chemie, manchmal wird mit langweiligen Tunes nur ein bisschen Indie-Washing betrieben. Als die Runde machte, dass Justin Bieber für ein neues Projekt (das wie bereits betont den Titel "Swag" trägt) die Unterstützung von Mk.gee, Dijon und Lil B haben würde, war es mitnichten ein Selbstläufer, dass das geil werden würde.
Nehmen wir uns eine Sekunde für den Namen, den ihr in Zukunft am meisten in diesem Kontext hören werdet: Mk.gee. Der Rockmann. Das ist ein Indie-Artist, der in den letzten Jahren steil darauf hingearbeitet hat, so etwas wie der neue Bon Iver oder der neue Tame Impala zu werden. Er macht diesen whimsical-reduzierten Gitarrensound, ein bisschen psychedelisch, aber auch Playlist-tauglich, genau richtig, um in naher Zukunft einer von diesen Indie-aber-nicht-wirklich-Indie-Stars zu werden, die irgendwie jeder kennt. Mein persönliches Problem nun: Ich finde Mk.gee sterbenslangweilig. Nicht mal seine populärsten Songs haben wirklich einen Tune, es ist alles Vibe, alles Ästhetik. Wer hätte gedacht, dass eine Kopplung mit motherfucking Justin Bieber ungefähr all seine Probleme lösen würde?
Justin Bieber treibt nicht die Absicht, seine Musik zu indie-washen. Justin Biebers Hauptquest bleibt bis auf Weiteres, dass er gerne schwarz wäre. Das hat ein paar komische Implikationen, auf die wir noch zu sprechen kommen, aber fürs Musikalische haben sich er und Kollaborateur Dijon eine wirklich großartige und gar nicht so offensichtliche Ideen-Platte zwischen R'n'B, Soul und Post-Motown-Mucke gebaut. Gießt man dann den ganz latenten Psychedelic Rock und den großartigen Sound von Mk.gee drüber, bekommen wir ein Album, das all die untergründigeren Ideen in den Dienst von direktem, buttersmoothen Pop stellt.
Das Intro "All I Can Take" zum Beispiel klingt ein bisschen wie Michael in den Neunzigern. Das ist so eine unerwartete Referenz, dass das Album mit den schwerelosen Synthesizern direkt vor den Kopf stößt. Vor allem weil direkt darauf der absolute Highlight-Track "Daisies" wartet, auf dem von vorn bis hinten in dicken roten Lettern MEGAHIT steht. Er klingt gleichermaßen folky und organisch wie er eine wirklich perfekte, eingängige Pop-Struktur hat. Ich würde so weit gehen, diesen Track einen Fleetwood Mac-Level-Vibe zu nennen.
Auch danach reiht das Album einen Haufen Tracks aneinander, die basic sind. Aber sie sind basic auf eine Art, die überraschend wenig basic sind. Zum Beispiel sind die Songs kurz. Aber sie sind nicht underwritten-TikTok-kurz, sie sind sehr präzise auf den Punkt. Die 21 Tracks gehen sehr souverän ineinander über, nur wenige Momente an diesem Projekt überstrapazieren eine musikalische Idee, man findet kaum einen Moment, den man hätte kürzen wollen (vielleicht "Go Baby"?). Das Album ragt zwar fast an eine Stunde Spielzeit, weckt aber doch eher Hunger nach mehr. Und obwohl wirklich die ganze Spielzeit kohärent und diegetisch im selben Understatement bleibt, sind die Tunes und die Rhythmen durch die Bank scharf und voller Intention.
Entsprechend leicht ist es, Highlights zu finden. "Yukon" ist emblematisch für das ganze Projekt: Eine simple, effektive Pop-Formel, mit genau dem richtigen Level an unauffällig interessanten Ideen aufgewertet. Die gepitchten Vocals erinnern an "Blonde" von Frank Ocean, außerdem bekommen wir aus dem Nichts ein paar ganz kurze 2 Chainz-Adlibs, die den Track wie weirde Percussion-Sounds akzentuieren. Richtig experimentell und Frank Ocean-ig wird es nur auf dem Lil B-Feature "Dad Love", das einen trippy-repetitiven Sample-Loop und eine elitäre Lil B-Narration über repetitive Bieber-Vocalline legt. Erstens: Der fucking Based God ist auf einem Bieber-Album. Zweitens: Der Vibe hört sich großartig runter.
Ähnlich gut gelingen die anderen eher überraschenden Rap-Features: Gunna darf floaty-wasserig über Herzschmerz-Rappen, Cash Cobain klingt überraschend classy und Sexyy Red macht auf "Sweet Spot" eine variable Performance her. Das sind keine hirnlos eingekauften Rap-Features. Dieses Album weiß sehr genau, wohin diese Artists gehören und worin sie gut sind. "Devotion" macht eine überraschend bewegende Soul-fast-Gospel-Nummer. "Too Long" schließt sinnvoll ab. Dass zwischendrin immer wieder kurze Demos und Handy-Aufnahmen liegen, fügt sich ins Gesamtkonzept nur ein.
Zu kritisieren wäre natürlich der offensichtliche Wtf-Moment: Der Comedian Druski darf auf drei Skits vorbeikommen und Justin dafür loben, dass seine Haut weiß, aber seine Seele schwarz sei. Er klänge sowas von schwarz. Ich weiß nicht, ob es dämlicher wäre, wenn Bieber ihm aufgetragen hätte, das zu sagen. Oder wenn Druski richtig analysiert hätte, dass das genau der Blödsinn ist, den er Bieber erzählen muss, damit er in seinen Inner Circle hochgebuckelt bekommt. Es wirft durchaus ein paar Fragen über Biebers Rolle in der schwarzen Musik auf, die man eigentlich nicht stellen möchte, wenn er gerade endlich mal wieder gute Tunes macht. Insbesondere, wenn das Album den gottverdammten Titel "Swag" trägt und, nachdem er auf dem Vorgänger noch Interludes mit geradezu lächerlich deplatzierten Martin-Luther-King-Skits vorgelegt hat.
Aber trotzdem: "Swag" fühlt sich wie ein Statement an. Ein Statement für einen Artist, der jetzt für so viele Jahre kreativ in einer unproduktiven Schwebe lag, dass es fast überrascht, wie robust und durchdacht dieses Projekt klingt. Die Kollaborateure schließen viele von Biebers Schwächen, ohne dass sie seine Stärken überlagern. "Swag" ist ein superentspanntes Album voller kurzer Tracks und nicht die nächste hirnlose Playlistfutter-Compilation. Die Tracks unterfüttern die starken, verlässlichen Melodien mit so viel subtilen Details und spannenden Verweisen, dass man in dieses Album überraschend tief eintauchen kann. Es fühlt sich nicht übertrieben an zu sagen, dass Biebs bisher noch kein Album hatte, das so konsequent und vollständig realisiert klingt und genau weiß, was es wie erreichen will.
2 Kommentare mit einer Antwort
Hard disagree. Das Ganze fühlt sich nach 48-Drug-Binge-Jamming an, ohne Tiefe, ohne Single, ohne Fokus. Fast schon Ye Vibes.
Und was Sexyy Red da abliefert... Also, wie wenig kann man Bock haben und wie neben dem Beat liegen?
1/5
Also, wie wenig kann man Bock haben und wie neben dem Beat liegen?
Ganz einfach aus 2 Gründen:
1. ich mach das weil ich viel Kohle dafür kriege
2. Wie ? Ich soll gut sein ? Nö..ich nehme die Kohle und das wars.
https://m.youtube.com/watch?v=RvnnbzcAjOU