3. November 2025
"Gut, dass ich kein Roboter bin"
Interview geführt von Philipp KauseDie Songautorin aus Mittelengland geht jede Platte als Projekt an. Alle Songs bilden einen Zyklus, das Genre ist meistens ein ganz anderes als bei der Scheibe davor.
Kathryn Williams ist zugleich auch in der bildenden Kunst und als Schriftstellerin tätig. Die multidisziplinäre Gitarristin ist beim Label One Little Independent gesignt, wo sie auch mit anderen Artists zusammen arbeitet und teils auch befreundet ist. Ihr aktueller Longplayer "Mystery Park" enthält aber auch Mitwirkende außerhalb des O.L.I.-Kosmos, zum Beispiel Paul Weller und Kathryns Multiinstrumentalisten Ed Harcourt. "Mystery Park" geht von der Idee eines Mysteriums aus: Was nehmen Demente von der Welt wahr?
Dein neues Album bietet eine traumhafte Klanglandschaft wie im Wunderland. Es wirkt ein wenig warm, gemütlich und hell. Besonders jetzt in diesen Herbsttagen. Das ist mein Gesamteindruck von "Mystery Park". Entspricht das dem Konzept eines Parks, wie du ihn im Artwork gemalt hast?
Als ich nach dem Titel gesucht habe, wollte ich, dass es eine Art Titelsong gibt, der das Wichtigste aussagt. Und es gibt einen Song namens "This Mystery", der sich irgendwie so anfühlte, als enthielte er ein paar essenzielle Dinge. In diesem Song geht es um meinen Vater, seine Demenz, seinen Gedächtnisverlust.
Für das Muster auf dem Plattencover diente das Teeservice meiner Großmutter als lose Vorlage. Jedes Element auf dem Plattencover habe ich selbst gemalt. Jedes Detail steht in direktem Zusammenhang mit je einem Song auf der Platte. Man sieht also zum Beispiel Turnschuhe in Größe 13, einen Sonnenuntergang und einen Ast, der sich nach Zärtlichkeit ausstreckt.
Wie ein Haufen kleiner versteckter Ostereier finden sich solche Miniaturen auf dem Cover. Und besagtes Teeservice schaut irgendwie wie ein Park aus. Es ähnelt japanischen und chinesischen Mustern, die von oben nach unten verlaufen und doch nicht linear sind.
Und die Verbindung zwischen solchen Dingen und das aktive Nachdenken über Vergangenes und diese Perspektive gehen verloren, wenn Menschen an Demenz erkranken und ihre Erinnerungen zu verblassen beginnen.
Außerdem mischte sich die Perspektive meines jetzigen Lebens hinein, in dem meine Kinder älter werden, aber auch meine Eltern älter werden. Und ich fühle mich ein bisschen so, als wäre ich...
...dazwischen, wie in einem Sandwich eingeklemmt?
Nein, als wäre ich auf einer Brücke. Und zwar auf der Brücke eines Parks im Willow Pattern-Teegeschirr und dessen Zeichnungen. Und dann gibt es noch einen Park in Liverpool, der Mystery Park heißt. Auf der Innenseite des Vinylcovers befindet sich ein Aquarell, das ich von den Toren des Mystery Parks in Liverpool gemalt habe, von wo aus man die Skyline der Stadt sehen kann. Dieser Park heißt deswegen Mystery Park, weil er von einem unbekannten Spender gestiftet wurde.
Zusammengefasst: Es waren sozusagen viele Zutaten in einer Suppe vermischt, die mich dann zu dem Schluss kommen ließen, dass "Mystery Park" ein guter Titel wäre. Das war eine lange Antwort, aber so ist es nun mal.
Lange Antworten sind oft gut und in Ordnung. Also lebst du noch in Liverpool, oder lebst du in der Natur? Denn es scheint, als wärst du ein naturverbundener Mensch.
Ich wohne in Newcastle, weil ich während meines Kunststudiums nach Newcastle im Nordosten gezogen bin und dann dort geblieben bin. Also habe ich eigentlich zwei Zuhause.
Und deine Eltern, auch dein dementer Vater, Leben noch in Newcastle?
Ja. Mein Vater heißt David, meine Mutter Margaret. Und der Song "This Mystery" ist ein herausfordernder, denn er porträtiert meinen Dad. Das Stück erklärt seinen Schmerz, Demenz zu haben, Erinnerung zu verlieren, es handelt nicht nur vom Krankheitsbild. Ich finde, das ist ein schwieriges Thema. Im familiären Umfeld setzen wir alles daran, Erinnerungen lebendig zu halten. Aber es ist eine ziemlich grausame Erkrankung. Denn die Betroffenen spüren, dass sie ihre Angehörigen Schritt für Schritt verlieren, auch wenn sie physisch da sind.
Demenz hat viele Gesichter. Oft zeigen sich Orientierungsverluste, besonders in fremder Umgebung, etwa wenn jemand ins Krankenhaus muss. Oft gehen auch Alltagsfertigkeiten verloren. Manche Demente wissen mit Essen nichts anzufangen und bauen Modellhäuser aus Käsescheiben. Andererseits bemerkt man auch vielfach, dass die Erkrankten gar nicht so sehr leiden, weil sie Probleme nicht so wirklich wahrnehmen, während es für Ehepartner:innen viel heftiger ist. Wie ist das in deiner Familie?
Ja, das trifft da auch zu, denn meine Mutter ist sowieso ein Helfer-Typ. Bei meinem Vater ist es so: Er ist ein massiver Musikfan. Bevor ich auf die Welt kam, war er Sänger in einer Folk-Gruppe. Und es löst einiges aus, wenn ich mit meiner Gitarre aufkreuze und wenn wir singen. Er liebt Paul Simon.
So kann es passieren, dass er zwar nicht weiß, welcher Tag gerade ist oder wo wir uns befinden und in welcher Situation. Dann aber fange ich an, einen Paul Simon-Song zu spielen. Also leg' ich los: "Hello darkness, my old friend..."
Und dann ist es, als finde er wieder ins Leben zurück, und er stimmt in den Text ein: "I've come to talk to you again." - Und er kennt jedes einzelne Wort jedes Paul Simon-Songs. Und du kannst dann wirklich spüren, wie das Singen und die Musik Synapsen knüpfen. Es ist erstaunlich, wenn man das sieht.
Paul Simon - dieser New Yorker ist natürlich eine Schlüsselfigur. Es gab Politisches von ihm, etwa als er mit seiner Version von "Stille Nacht" gegen den Vietnamkrieg protestierte. Aber als ich dein Album und auch deine vorherigen Alben angehört habe, so unterschiedlich sie auch sind, habe ich mich gefragt: Gibt es etwas Besonderes an englischer Folkmusik? Etwas, das sich fundamental von der US- und kanadischen Folk-Musik mit 60er Jahre-Prägung abgrenzt?
Nun, auf seltsame Weise fühle ich mich eher zur nordamerikanischen Folk-Musik von Paul Simon, Bob Dylan, Neil Young, Joni Mitchell, Carol King und anderen hingezogen. Leonard Cohen, all diese Leute. Denn ich denke, amerikanische Folk-Musik ist eher Singer/Songwriter-Musik. Es ist keine traditionelle Folk-Musik, wie sie in Großbritannien zu finden ist.
Ich bin irgendwie in einer seltsamen Lage, weil mich die Leute als Folk-Künstlerin bezeichne. Aber ich mache keine traditionelle Folk-Musik. Die Pop-Welt nennt mich folkie, und die Folk-Welt nennt mich poppig.
Und somit mache ich einfach mein eigenes Ding, weil ich nicht wirklich an ein Genre gebunden bin. Selbst wenn die Leute mich in eines einordnen, tue ich selber das nicht. Ich kenne mich mit traditionellen Volksliedern nicht wirklich aus. Was ich mache, sind keine Volkslieder, aber sie vermitteln ein Gefühl von Tradition und einer ruhigen, ländlichen Natur.
Ich hatte vor ein paar Jahren einen wirklich großartigen Manager, Alan McGee. Er, der Oasis entdeckt hatte, war mehrere Jahre lang für mich zuständig, ein waschechter Schotte übrigens. Und er sagte mir immer 'du bist kein Punk. Aber du bist auch kein Folk, du bist einfach nur ein ruhiger Punk.' Und er sagte, ich sei für ihn wie Nirvana ohne Verstärker, was mich sehr glücklich gemacht hat. Aber ich denke, wenn es eine englische Entsprechung zu Americana gäbe, wäre ich wohl das Pendant zu Gillian Welsh.
"Ich glaube, die Musik ist voller Außenseiter"
Beim Hören von "Mystery Park" kamen mir an Nicht-Engländerinnen auch Marissa Nadler und Laura Nyro in den Sinn.
Ja, das kann ich nachvollziehen. Laura finde ich beeindruckend. Und ich selber denke beim Hören meiner Platte auch an Judee Sill, die "The Kiss" gemacht hat und "Jesus Was A Crossmaker" (Anm. d. Red.: religiös angehauchte Songwriterin, die im Vorprogramm von Crosby und Nash bekannt wurde und einen frühen Heroin-Tod starb) Sie ist einfach unglaublich. Und wisst ihr, sie gehört zu den Leuten, die ich mir aktiv anhöre.
Und ich liebe die Alben von Big Thief, Sufjan Stevens, Laura Veirs, Devon Sproule (Anm. d. Red.: mischt Americana und Jazz, von der US-Ostküste, auf einem englischen Indie-Label, seit acht Jahren in Mutterschaftspause, tourt alle zwei Jahre durchs UK).
Das sind also alles Leute, die nicht unbedingt große Namen sind. Und wisst ihr, für mich ist das jetzt Album Nummer 15, mit Kollaborationen zusammen gerechnet mein 18. Album seit 1998. Ich habe darüber nachgedacht, weil viele meiner Zeitgenossen, die anfangs so etwas ähnliches gemacht haben, im Lauf der Jahre ein größeres Publikum, Reichweite gewonnen haben und bekannter geworden sind.
Aber ich glaube, dass ich mich nie auf einen Sound beschränkt habe. Mein letztes Soloalbum mit Ed Harcourt klang cineastisch, wie nächtliche Autofahrten. Das war wie eine Art Breitbild, mit großen Orchesterklängen. Und dann, mit diesem Album mit dem Produzenten Leo Abrahams, bin ich fast wieder zum Anfang meiner Karriere zurückgekehrt.
Dazwischen habe ich Jazz- und Weihnachtsalben mit Dichtern gemacht und hatte einfach nie das Gefühl, dass ich immer das Gleiche machen muss. Vielleicht ist das auch schädlich, was meine Karriere angeht, also Fans und Plattenverkäufe, aber das ist mir wirklich scheißegal. Ich will einfach nur kreativ sein.
Okay. Nun, das ist jetzt wohl doch punkig! Cineastisch beschreibt aber auch jetzt auf "Mystery Park" manche Titel gut. Wer kommt zu euren Konzerten? Denn du bist gerade mit Band auf Tour. Wen identifizierst du als Publikum?
Also, im Allgemeinen mögen mich Leute, die so sind wie ich: Die nicht viel ausgehen, und es ist eigentlich wirklich schön, dass genau die trotzdem vor die Tür gehen. Das Alter reicht von acht Jahren bis 88, das ist eine wirklich seltsame Mischung. Es gibt jüngere Leute, und ich treffe einige wirklich coole junge, trendige Leute, und ich frage mich: Was macht ihr hier? Und dann gibt es ältere Leute, die alle wirklich nett sind.
Wenn ich auf Tournee Support-Acts habe, sagen mir meine Begleiter immer, dass mein Publikum die nettesten Menschen sind, und da ich selbst schon für andere Menschen im Vorprogramm aufgetreten bin, habe ich den Vergleich und stimme ihnen zu, dass meine Follower sehr rücksichtsvoll sind. Und ich finde es auch wirklich toll, dass es ziemlich viele Leute gibt, die alleine kommen und schon immer alleine gekommen sind, sich also sicher genug fühlen, um zu einer Show zu gehen, und die wissen, dass man sich um sie kümmert und sie gut aufgehoben sind.
Wie sieht ein Set aus? Gibt es das? Machst du Ansagen zwischen den Songs und erzählst die Geschichte hinter den Lyrics, so wie du es gerade gemacht hast, als du gesagt hast: 'Okay, hier geht es um meinen dementen Vater David'?
Es reicht von Gesprächen über die Songs bis hin zu Gesprächen über die Reise zum Konzert. Oder über die Location. Ein Beispiel: Man muss unbedingt mal im Trades Club in Hebden Bridge vorbeischauen, denn selbst Guy Garvey von Elbow und viele andere sagen, dass es dort die besten Konzerte gebe. Der Club ist klein, aber großartig. Ich stand dort auf der Bühne und kommentierte, dass der übrigens sehr englisch ist, und erwähnte, dass ich einen leckeren Scone gegessen hatte, was ebenfalls sehr englisch ist, eine Art Obstgebäck.
Meine Musik ist auf eine Art melancholisch, oder nennen wir sie: nachdenklich. Ich verspüre nicht das Bedürfnis, in die Rolle einer düsteren Poetin hinein zu schlüpfen. Wisst ihr, ich nehme bei vielen Singer/Songwritern wahr, dass sie sehr ruhig sprechen, als ob sie predigen würden oder mehr wüssten als andere Menschen.
Und genau dieses Selbstbild habe ich nicht, dass ich einen solchen Wissensvorsprung hätte. Überhaupt nicht. Ich kämpfe viel mehr mit meiner eigenen Nervosität und Unsicherheit auf der Bühne. Und ich hoffe, dass sich alle miteinander verbunden fühlen, wenn ich singe, das Publikum untereinander und mit mir.
Heißt das, jeder Gig ist recht individuell, je nach den Leuten, und auch entsprechend spontan, oder bringst du trotzdem einen bestimmten Schedule unter, der immer gleich ist.
Ja, ja, ich brauche eine Setlist, weil ich so aufgeregt bin und immer erst einmal ankommen muss.
Das ist gut, wenn du nervös bist. Es fordert dich.
Genau, vermutlich denken die Leute dann, dass es mir etwas bedeutet.
Deine Stimme hört sich sehr jung an, immer noch. Was unternimmst du, damit du sie konservierst? Hältst du es wie John Fogerty und trinkst nur Raumtemperiertes? Trainierst du deine Stimme?
Nein, ich öffne einfach meinen Mund und hoffe das Beste.
Du hast ja nun schon das Plattencover mit dem Park angesprochen. Und du hast einen Abschluss in Kunst, einen akademischen Grad. Dann stelle ich mir vor, es fiel dir leicht, alles selbst zu malen?
Ja. Ich würde unterscheiden: Die Front-Abbildung ist mehr Illustration, aber ich male insgesamt auch als bildende Künstlerin eine Menge. 2026 werde ich drei Ausstellungen haben. Da geht es um Porträts auf Streichholz-Schachteln. Es sind sehr, sehr kleine Porträts, also Miniaturen.
Wenn ich auf Tour bin, nehme ich auch meine Wasserfarben mit. Ich halte fest, was ich vom Tourbus aus sehe. Und ich nehme an, mein Vorgehen ist so etwas wie Dreifelderwirtschaft, Crop Rotation. Ich wechsele die Anbaufrüchte so wie Bauern und Bäuerinnen auf einer Farm - im Gegensatz zu einer Monokultur.
Das musst du uns erklären.
Ich mache meine Musik, nehme davon eine Pause. In dieser Pause male ich. Oder ich schreibe einen Roman, wie ich es vor ein paar Jahren getan habe. Immer wieder fange ich etwas Neues an und widme mich 'frisch' den einzelnen Disziplinen, das heißt spielerisch wie ein Kind. Und das erlaubt mir jeweils das Beste heraus zu holen.
Wie ein Kind. Du bist ja selbst Mutter. Wie alt ist dein Nachwuchs?
19 und 15.
Was hören deine Kinder?
Mein älterer Sohn hört MF Doom, Kendrick Lamar, Nas. Er steckt ganz im Rap und Hip Hop. Ted, mein jüngerer Sohn, steht auf Adrianne Lenker und mag T. Rex.
Sind die beiden denn auf TikTok, Snapchat usw. aktiv?
Ja ja, ein bisschen. Nicht so, dass sie dort bekannte Influencer wären, aber sie benutzen's. Meine Freundin Polly Paulusma riet mir, auf TikTok zu gehen, und jetzt bin ich dort. Ich habe dort nicht viel gemacht, aber eines Tages meinte Ted, 'Mama, ich hab dich glaub ich auf TikTok gefunden.' - Und das war so süß. Er sprach mich ja darauf an im Sinne von 'Was machst du überhaupt dort?' - Als ich würde ich im Jugendclub aufkreuzen oder so etwas.
Interessant. Auf der einen Seite befinden wir uns im Kampf mit diesen 15 Sekunden Aufmerksamkeitsspanne, auf die TikTok seine User dressiert. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie relevant etwa die rockkulturell so wichtigen 70er heute noch für Jugendliche sind, und wenn du sagst, dein 15-Jähriger hört T. Rex, dann besteht ja eine Relevanz.
Ja. Und meine beiden Jungs haben Plattenspieler in ihren Zimmern. Ich finde, es ist auf eine Art schön, dass sie Musik aus verschiedenen Winkeln entdecken können. Wisst ihr, es gibt eine großartige Sache am Streaming und am Internet, und das ist, dass Musik von vor hundert Jahren und Musik vom Tag zuvor auf einen Schlag unseren Kindern zur Verfügung stehen. Sie müssen sie nicht umständlich suchen. Also ja, da gibt es Positives.
Ein renommierter Artist schon in den 70ern war Paul Weller mit The Jam. Er spielt Orgel und singt auch im Hintergrund in "Gossamer Things". Du hast ihn kontaktiert. Ich wüsste gar nicht, wie man das macht...
Wir kannten uns vorher schon. Ich hatte ihn schon einmal getroffen, es war somit kein Cold Call, keine Anfrage, die aus dem Nichts gekommen wäre. Ich hatte Hintergrund bei ihm in seinen Studios gesungen, für eine Band, mit der er arbeitet. Wir waren uns auch schon backstage bei Wohltätigkeitskonzerten begegnet.
Tatsächlich sagte er mir, mein Song "Heart-Shaped Stone", der auf meinem Album "Crown Electric" drauf ist, sei eines seiner Lieblingslieder. Er hatte im Mojo-Magazin darüber gelesen. Es fühlt sich ein bisschen verrückt an, von wechselseitigen Interesse zu sprechen, wenn es sich um Paul Weller handelt. Und doch beruhte es auf Gegenseitigkeit, dass wir zusammen arbeiten wollten.
Im Folgenden fragte er mich zuerst, einen Track für sein Album "Supplement 66" zu schreiben, was ich auch tat. "Gossamer Wings" wurde aber der erste Song, auf dem wir zusammen arbeiten. Den Großteil schrieb ich. Weil ich ihm zeigen wollte, dass ich ein gutes Mädchen bin und mich beweisen wollte. Ich arbeitete hart daran und legte alles daran, bis er anrief. Er meinte: 'Kath, ich glaube, du musst da zurück rudern. Du machst ja das meiste vom Schreiben hier.' - Es war so peinlich, ich fühlte mich ertappt und meinte 'ich wollte dich wissen lassen, dass ich es kann'.
Insgesamt klingt das aber nach einer guten Zusammenarbeit und nicht nach dem 'Never meet your heroes'-Effekt.
Ja. Er ist ein wirklich lieber Kerl. Angenehm.
Wovon handelt "Gossamer Wings"? Was ist die Message?
Es geht um Verletzlichkeit, Verbundenheit, und wie die Leute ihre Schicksale nicht in der Hand haben.
Ein weiterer Name auf deiner Platte ist Ed Harcourt. Wir kennen ihn, aber es ist sehr lange her, dass ich in zuletzt bewusst gehört habe. Kannst du uns etwas über deinen Kontakt zu ihm und über seine Biografie erzählen?
Ed und ich sind schon seit vielen Jahren befreundet. Wir haben eine ziemlich ähnliche Karriere hinter uns. Ed hat viel mit großen Stars wie Paloma Faith, Sophie Ellis Bextor und Marianne Faithfull zusammengearbeitet. Er hat für viele Künstler*innen geschrieben und produziert und außerdem seine eigene Musik gemacht. Und er hat eine Band namens Loop Guru.
Ed und ich haben zusammen Songs verfasst. Dann hat er mein Album "Hypoxia" produziert. Es dreht sich ganz um Sylvia Plath (Anm. d. Red.: Dichterin, Short Stories-Autorin, Aushängeschild der Frauenbewegung in den Sechziger, starb früh durch Suizid). Und dann haben wir ein paar Songs für mein Soloalbum "Crown Electric" geschrieben, er hat meine Platte "Night Drives" produziert.
Außerdem haben wir gemeinsam Songs für andere komponiert. Letztes Mal war es die Pride-Hymne für Schweden, für einen Künstler namens Peter Jöback. Wir machen also eine Menge Sachen. Und so ist er irgendwie wie mein Bruder in Sachen Musik. Mein verrückter Bruder,
Oh, was macht ihn so verrückt?
Nun, zum Teil liegt es daran, dass er ein Genie ist und der beste Pianist, den ich je gesehen habe: Sein Klavierspiel ist einfach unglaublich. Gitarre kann er verkehrt herum spielen, weil er Linkshänder ist. Er beherrscht den Bass, kann Schlagzeug spielen. Er kann Streichquartette schreiben, im Studio produzieren. Seine Stimme ist atemberaubend. Seine Texte sind fantastisch. Ja, im Grunde genommen ist er fantastisch, aber auch ziemlich nervig.
Wie steht es denn um dein eigenes Verrücktheits-Level? Zwischen den beiden Polen von Struktur und kreativem Chaos, wo siehst du dich?
Nun, ich weiß, dass ich seltsam bin. Und auch ganz gewöhnlich. Und die Mischung aus beidem bedeutet, dass ich nirgendwo anders wirklich hineinpasse. Ed und ich verstehen uns recht gut, weil uns das nichts ausmacht. Ich glaube, die Musik ist voller Außenseiter, und es ist schön, sich als Teil dessen zu fühlen.
Zur Charakterisierung frage ich gerne, welches Element - Feuer, Wasser, Luft und Erde - dich am meisten in deiner Musik und in deinem Leben beeinflusst. Und warum? Man kann noch Energie oder Blitz und Donner als fünftes Element hinzufügen.
Ich würde sagen, Licht, also wohl der Blitz. Ich bin besessen von Licht. So wie sich alles in der Malerei aufs Licht herunter brechen lässt, also darauf Schattierungen einzufangen. Ganz am Anfang des Albums gibt es den Song "Thoughts Of My Own", und er entstand ausgehend von einem flackernden Licht an der Seite des Hauses von meinem Nachbarn. Wenn ich über Dunkelheit und die dunkleren Seiten von mir oder anderen Leuten nachdenke, dann liegt auf der Hand, dass es ein Licht geben muss, das dem Schatten vorausgeht, und umgekehrt können wir ohne eine finstere Seite und ohne unseren Schatten nicht existieren.
Das mag an eine Formulierung Leonard Cohens erinnern, "there is a crack, a crack in everything / that's how the light gets in" (Anm. d. Red.: aus "Anthem" auf Cohens Album "The Future".)" - Wann immer ich mich traurig fühle, einsam, oder verstimmt, dann entdecke ich trotzdem, dass immer ein Licht existiert. Das kann alles mögliche sein, vom Sonnenlicht bis zum eigenen inneren Stern, der hell erstrahlt.
Da du Leonard Cohen und dunkle Seiten ansprichst: Wie würdest du Melancholie definieren oder beschreiben?
Ich würde sie wie eine warme, angenehme Decke beschreiben, in die du dich kuschelst, wenn dir kalt ist.
Dein zweites Album "Little Black Numbers" erschien im Frühjahr 2000. Im Jahr darauf war der Slogan 'quiet is the new loud' recht angesagt, gemünzt auf die Turin Brakes, Bright Eyes oder die Namensgeber, Kings Of Convenience. Vielleicht kann man dich am Rande auch zu dieser Strömung zählen. Was meinst du, weshalb simple Kombination aus Akustikgitarre und intensivem Gesang die größte Konstante in der Musikgeschichte ist?
Nun, vermutlich spiegelt das wieder, wie man wirklich einen Song schreibt oder kommt dieser Situation am nächsten. Da gibt es diese innere Welt, die sich auftut, sobald du Lieder schreibst. Und ich kenne jetzt niemanden, der beim Schreiben laut schreien würde. Von daher denke ich, dieses leise Singen während des Schreibens ist das 'neue Laut' oder repräsentiert am ehesten den Schreibprozess: Still in einem Raum zu sitzen und herumzuprobieren. Ich würde das ja nicht außerhalb meiner eigenen vier Wände preisgeben.
Wenn die Leute nun "Mystery Park" in die Hand nehmen, dann sehen sie einen Baum mit einer Hand. Der Baum kommt im Song "Tender" vor. Was hat es damit auf sich?
Tja, wer wäre ich, wenn ich mein Album "Mystery Park" nennen und kein Mysterium belassen würde? Ich mag es mich zu erklären und offen zu sein und so ehrlich wie möglich, aber hier sage ich nur so viel: Ich mochte diese Idee ganz einfach.
Du bist bei der Plattenfirme One Little Independent, und ich würde die Gelegenheit gerne nutzen, dass wir nicht nur über deine CD sprechen, sondern auch über die Leute, mit denen du da eine Label-Heimat teilst. Wie fühlt es sich an, mit den anderen dort zu arbeiten? Seid ihr wie ein Netzwerk?
Ja, nun, so eine Art Familie. Ich bin seit über 15 Jahren bei One Little Independent, und sie haben mich bisher alles veröffentlichen lassen, was ich wollte: Von einem Punk-Kinderlieder-Album über eine Jazz-Platte mit Vibraphon und ein Weihnachtsalbum mit der Gedichtpreisträgerin Dame Carol Ann Duffy, bis zu einer Art folkigen Hip Hop-Platte namens "The Pond", also sehr verschiedenartigen Sachen, schließlich bis zu der Platte, die ich letztes Jahr veröffentlicht habe. Ich kann also meine Kreativität erforschen. Label-Kolleginnen wie Polly Paulusma sind wundervoll. Ihr letztes Album ist phänomenal.
Das hat eine interessante Struktur mit seinen Interludes und Kapiteln - hast du dir das von Anfang bis Ende angehört?
Ja, ja, die Zeit habe ich mir genommen. Ich bin auch mit Polly getourt, schon von daher kenne ich diese Songs. Ich kann ihr ambitioniertes Vorhaben nachvollziehen. Ich meine, wir bräuchten mehr davon. Wir bräuchten viel häufiger solch eine Ambition, ein Dreifach-Vinyl zu machen. Das ist verrückt und zugleich toll.
Ich freue mich, Freunde wie sie zu haben, die sich wie Familie anfühlen - so auch Michele Stodart, David Ford oder Tom McRae. Die Liste ist endlos, von Leuten in der Musik, die einander gegenseitig unterstützen.
Ich komme aus dieser Welt, in der man ein Gesamtwerk schafft.
Jetzt haben wir in den letzten Monaten etwas, worüber sich die Leute ein wenig Sorgen machen. Ich bin zum Beispiel über einige YouTube-Kanäle gestolpert, die Bands oder Künstler erschaffen, die es nie gegeben hat, nie existiert haben, sodass es echt wirkt. Und dann gibt es einen winzigen Satz ganz unten unter dem untersten Disclaimer, wo man lesen kann: OK, dies wurde mit KI erstellt. Der Beatles-Song, der vor zwei Jahren veröffentlicht wurde, war wie eine posthume Ki-Konstruktion und wir machen uns ein bisschen Sorgen, ob Musik im Sinne des Instrumentenlernens, des authentischen Spielens, in den nächsten Jahren abgeschafft wird. Diskutiert ihr Musikerkolleg:innen das unter euch?
Ja, sehr oft. Es ist beängstigend. Zum Glück bin ich jemand, der erstens kein Perfektionist ist, zweitens ziemlich chaotisch ist und auf der Bühne viele Fehler macht. Also kommen diese Dinge, die ich immer als Fehler empfunden habe, jetzt zum Tragen, weil ich nicht plane, dass ich einen falschen Akkord spielen oder mitten in einem Song 'Oh, verdammt noch mal!' schreien würde. Das ist also ein Vorteil für mich, dass ich definitiv kein Roboter bin.
Auf der größeren Ebene denke ich, ja, es müssen Gesetze erlassen werden, die Leute wie im Spotify-Konzern beschränken, die Alben mit KI herausbringen und meinen, KI sei kreative Musik. Es dauert 40 Sekunden, um einen Song mit KI zu erstellen, und das ist ein Problem.
Das tiefere Problem, das ich dahinter sehe, ist, dass kreative Leistungen von Menschen vereinnahmt werden, die selbst nicht kreativ sind. Ich denke, das ist das größere Problem, weil Musik und Kunst dann irgendwann nur von Leuten geschaffen werden, die Geld verdienen wollen und nichts mit dem schöpferischen Prozess zu tun haben. Das ist für mich etwas Tieferes.
Grundsätzlich ist es ein düsteres Element, dass Menschen Geld verdienen wollen. Zuhörer oder Zuschauer mögen das Ergebnis oberflächlich als etwas Kreatives auffassen, aber das Herz und die Seele stecken nicht darin. Und die einzigen, die davon profitieren, sind Geschäftsleute oder Menschen, denen es nur um den monetären Wert eines Produkts geht. Und die meisten von uns Künstlern erzielen immer weniger Geld mit ihren Produkten. Aber wir tun es aus einem höheren Grund. Das sind meiner Meinung nach die Schwierigkeiten.
Und du machst Alben als Alben. Also ist es so gedacht oder vorherbestimmt, dass es vom ersten bis zum letzten Titel ein roter Faden sein soll, oder? Gibt es Songs, bei denen du sagst: OK, nimm die mit rein?
Ja, ich komme aus dieser Welt, in der man ein Gesamtwerk schafft, das zusammenhängt, und man arbeitet wirklich hart daran, diese Reise für jemanden zu gestalten. Ich habe kein Problem damit, wenn Leute einzelne Titel anhören und ihre eigenen Tracklisten erstellen wie bei Playlists. Das ist völlig in Ordnung. Aber ich präsentiere etwas: Ich präsentiere ein Werk in einer bestimmten Form, wie beispielsweise Kapitel in einem Buch.
Auch Skunk Anansie haben bei One Little Independent angefangen, als es noch One Little Indian hieß. Als ich Skin letzten Winter traf, habe ich sie nach London, dem Brexit und den Mieten gefragt, und sie verriet mir, dass es enorme Immobilienleerstände auf Seiten des Gewerbes gibt, etwa bei relativ neuen Büro-Komplexen, während es kaum Chancen gibt, bezahlbar zu wohnen. Als Nebenwirkung des Brexits sehen wir das Vereinigte Königreich immer mehr als etwas 'irgendwo weit weg', weit entfernt vom Kontinent. Kannst du uns Erhellendes über Newcastle erzählen, damit wir auch die Unterschiede zwischen Hauptstadt und Peripherie, Süd- und Nordengland verstehen?
Newcastle ist zunächst einmal fantastisch. Es gibt eine U-Bahn, mit der man bis zum Strand fahren kann, und in Newcastle gibt es viele schöne Strände. Ich lebe dort seit 1996 oder 97. Mein Mann hat in Newcastle Bäckereien namens Pink Lane Bakery. Vor Ort sind sie sehr bekannt sind. Er stammt von den Kanalinseln, daher sind seine Bäckereien wie wunderschöne französische Patisserie.
Die Landschaft um Newcastle herum heißt Northumberland. Es gibt Burgen und Inseln, die nur manchmal zugänglich ist, weil es einen Damm gibt, der vom Meer bedeckt ist. Newcastle hat den Fluss Tyne mit vielen Brücken darüber und eine sehr coole Gegend namens Ouseburn, die voller Künstler:innen, Ateliers und Cafés ist. Und Musiklokale. Und es ist wirklich voll von Musiker:innen und Artists überhaupt, weil es ein erschwinglicher Ort zum Leben ist.
In Newcastle fühle ich mich sehr zuhause. Dort sind die Leute sehr freundlich. Allerdings neigen die Menschen im Norden Englands dazu, für sich zu behalten, wie großartig es bei ihnen ist. In London meinen ja viele Personen immer noch, die Hauptstadt sei der einzige Ort, an dem es bedeutsam sei zu wohnen, der Norden sei aber schmutzig und voller verkohlter Kamine. Aber der Punkt ist, dass jeder im Norden es als Geheimnis bewahrt, dass die Lebensqualität dort gut ist, und so hat man dort seine Ruhe vor Zuzüglern.
Man bleibt also lieber unter seinesgleichen?
Klar, damit die Mieten erschwinglich bleiben.
Vielleicht auch die Mieten von Auftrittsorten, also Clubs und Konzerthallen. Übrigens, spielst du lieber in Innenräumen oder unter freiem Himmel?
Ein bisschen von beidem. Ich meine, ich habe beides gemacht. Ich habe eine Show im Regent's Park in London gegeben. Dort habe ich ein Cover, den Song "Birds", der war gerade an der Reihe, und genau in diesem Moment flog ein Schwarm Gänse vorbei, und es war wie eine wunderschöne Verbindung zwischen dem Universum und mir, und in einem anderen Song kam eine Katze dazu und es war, als würden wir über die ganze Bühne rennen, und wir alle fanden, dass das der beste Teil der ganzen Show war.
Ja, es ist schön, wenn solche Dinge unter freiem Himmel passieren, aber ich denke, wahrscheinlich sind kleine, intime Veranstaltungsorte im Grunde besser geeignet. Die Leute fühlen sich dort besser behütet.
Wir hatten Paul Simon. Würdest du drei Lieblingsstücke aus dem Paul-Simon-Katalog von dir auswählen und drei Lieblingsstücke, von denen du denkst, dass sie die Top 3 deines Vaters sind?
Also, mein Vater, das wären wahrscheinlich "Me And Julio Down By The Schoolyard", "Graceland" und "Duncan". Und dann wäre für mich wohl der frühe Paul Simon fällig, "Leaves That Are Green Turn To Brown". Und "American Tune" und vielleicht etwas wie "Hearts And Bones" oder "Rene And Georgette Magritte With Their Dog After The War", das etwas weniger bekannt ist, aber absolut wunderschön komponiert.
Danke. Hast du noch Fragen?
Nein, nein, ich muss aus diesem schönen Hotel auschecken und zu einem Auftritt aufbrechen. Vielen Dank für deine Zeit.
Danke, Kathryn!


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