laut.de-Kritik

Kritische Texte, verpackt in derbe Raps, Balladen und biedere Rock-Nummern.

Review von

Vier Jahre sind seit "Meteora" ins Land gezogen. Ein Album mit Jay-Z und die Tour mit Metallica bescherten Linkin Park unterdessen einen Grammy und internationale Anerkennung als Superstars des Rock-Biz. Entsprechend hoch die Erwartungen an den Neuling "Minutes To Midnight".

Allein der kommerzielle Druck ist enorm, setzten sie von den beiden Vorgängern doch insgesamt 40 Millionen Stück ab. Um die Chancen auf Erfolg noch zu erhöhen, engagierte man Rick Rubin (RHCP, Jay-Z, Johnny Cash) als Produzent.

Nach dem langweiligen instrumentalen Intro "Wake", läuten wuchtige Gitarrenriffs das Album und "Given Up" ein. In hohem Tempo rockt sich Chester Bennington durch die biedere Rock-Nummer, die lediglich mit einer saftigen Screaming-Einlage vom All American Standard abweicht. "Bleed It Out" hält den Speed des Vorgängers, und man freut sich schon über ein Album, das zwar konventionell alle Linkin Park-Standards abarbeitet, dafür aber ordentlich auf die Kacke haut.

Die Arbeitsteilung bei "Bleed It Out" basiert auf dem schon mehrfach erfolgreichen Konzept des rappenden Mike Shinodas für die Strophen und eines kreischenden Chesters, der den mehr als simplen Refrain übernimmt. Diese kongeniale Zusammenarbeit findet man aber nur in diesem Song, ansonsten gehen die beiden Frontsänger auf "Minutes To Midnight" getrennte Wege.

Auch die so typischen Scratches von Joe Hahn treten einzig bei der Single "What I've Done" kurzeitig in den Vordergrund. Die Vorabveröffentlichung repräsentiert das schon standardisierte Linkin Park-Format, bestehend aus obligatorischem Klavierintro, Chesters melodischem Gejauchze, DJ, ein bisschen Gitarre und dem Refrain im Dauerrepeat. Nach diesem Schema werden sie wohl noch in 20 Jahren vor ihren dann bald 50-jährigen Fans spielen.

"No More Sorrow" baut auf Startplatz acht als leider letzter Track auf satte Gitarren, Trommelwirbel und hohes Tempo. Lautstark schwingt sich die Band auf, im Namen aller den Frust über den "Kreuzzug" ihrer Regierung auszudrücken. Diese Aussage verarbeiten Linkin Park anschließend noch in zwei musikalisch stark differenzierten Varianten.

Zuerst in der von Chester persönlich hoch gelobten Ballade "Little Things Give You Away" ("Das Beste was wir als Band wohl erreichen können!"). Leider verlässt man sich nicht auf Chesters süßliche Stimme und die Akustikgitarre, sondern packt noch etliche weichgespülte Effekte mit ins Boot, um den Song schließlich in einem pathetischen Mehrstimmen-Chor enden zu lassen. Inspiriert von einem Besuch bei Opfern des Hurrikans Katrina wirken Gefühl- und Melodielastigkeit durchaus sinnvoll und glaubwürdig, man vermisst dann aber doch Authentizität und Unmittelbarkeit.

Bei "Hands Held High" rappt Shinoda im Stile Eminems zu Marschmusik seinen Ärger von der Seele, einzig von einem Chor begleitet. Textzeilen wie "For a leader so nervous in an obvious way stuttering and mumbling for nightly news to replay" oder "At times like this you pray but a bomb blew the mosque up yesterday" lassen keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung von Linkin Park.

Das war nicht immer so, traten die Kalifornier in der Vergangenheit doch weder als Aktivisten noch als Polemiker in Erscheinung. Auch die typische Nu-Metal Masche mit Raps, Scratches und Screaming in einen Song gepackt, fahren Linkin Park nicht mehr. Diese Entwicklung hin zu einer reiferen und aussagekräftigeren Band lobe ich an dieser Stelle, bevor ich zu der anderen Hälfte des Albums fortschreite. Gönnt man Shinoda nach seinen Worten "Let me appologize to begin with" seine Popnummer "In Between", in der er den Beweis anstrengt, auch schöne Melodien singen zu können, bleibt eine Entschuldigung für die weiteren Songs aus.

Bei "Shadow Of The Day" leuchten die "Achtung Schnulze!"-Lichter rosarot, und auch "Leave Out All The Rest" und "In Pieces" gehören in die Rubrik konturloser Teenie-Girlie-Rock. Den schaurigen Höhepunkt finden diese Ausrutscher in "Valentine's Day". Hier lassen sich Linkin Park und Rick Rubin, was Text und musikalische Ausarbeitung angeht, auf Good Charlotte-Niveau hinab. Diese Unverschämtheit schreit nach der Möglichkeit, als Käufer eines Albums einzelne Tracks nachträglich entfernen zu können. Nach 14 Monaten im Studio hatten Linkin Park angeblich 100 Demos beisammen - verwunderlich, dass man nicht stärkere Nummern fand, die man an die gelungenen Stücke hätte anhängen können.

Insgesamt erhält man mit "Minutes To Midnight" ein professionell arrangiertes Mainstream-Album. Selbst Fans werden mit manchem langsamen Song ihre Probleme haben, zu wenig Herz und Verstand sind zu erkennen, wenn die Kalifonier das Tempo drosseln. Von großen Experimenten kann nicht die Rede sein, obwohl sich die Platte dank der stärkeren Trennung der einzelnen Elemente positiv von den Vorgängern abhebt. Auch die Neuausrichtung der Texte sorgt für frischen Wind, wobei Linkin Park mit der plötzlichen Offenbarung der eigenen politischen Identität auch auf einer Welle mit Pink und anderen Rock und Pop-Stars schwimmen. Böse Zungen behaupten, dies sei nur ein weiterer Weg, die Umsatzzahlen in die Höhe zu treiben.

Trackliste

  1. 1. Wake
  2. 2. Given Up
  3. 3. Leave Out All The Rest
  4. 4. Bleed It Out
  5. 5. Shadow Of The Day
  6. 6. What I've Done
  7. 7. Hands Held High
  8. 8. No More Sorrow
  9. 9. Valentine's Day
  10. 10. In Between
  11. 11. In Pieces
  12. 12. The Little Things Give You Away

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644 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Zitat (« Böse Zungen behaupten, dies sei nur ein weiterer Weg, die Umsatzzahlen in die Höhe zu treiben. »):

    So wie der Schreiber dieses Textes.
    Man muss nur die ersten Zeilen der Kritik lesen, um zu erkennen, was für einen Ansichtspunkt der Autor von dem Album und der ganzen Band hat.
    Nur weil Gruppen einen monströsen Erfolg ernten, ist das nicht gleich für die kommenden Alben mit einem gewaltigem Geldhunger gleichzusetzen.
    Weitere B-Sides werden demnächst erscheinen und wer sich das Album bei iTunes bestellt kann noch für kurze Zeit an zwei exklusive Tracks herankommen.
    Gruß Robert

  • Vor 17 Jahren

    äh ja. war irgendwie einfach alles vorhersehbar. endlich wieder pathos und giftige musik eliten