laut.de-Kritik
Zwischenzeugnis einer Perfektionistin.
Review von Josephine Maria BayerWer Madeline Juno sagt, meint damit tiefsinnigen und gleichzeitig clubtauglichen Denglisch-Pop. Dieser Erfolgsformel ist die Offenburger Sängerin in ihrer nunmehr über zehnjährigen Karriere treu geblieben.
Überraschend akustisch öffnet ihr siebtes Studioalbum "Anomalie Pt.1" mit der sanften Ukulelen-Nummer "Mediocre", die mit ihrem melancholischen Text irgendwo zwischen Reinhard Mey und Miley Cyrus pendelt: "Und war's je genug, was auch immer ich versucht hab'? Oder bleib' ich nur 'n gottverdammter Loser?" Ihre Angst vor Mittelmäßigkeit treibt die Überfliegerin an, ihr künstlerischer Anspruch ist stets spürbar. Die Überdosis Perfektionismus, von der sie im Opener singt, kann im schlimmsten Fall lähmen. Im besten Fall zahlt sich diese nagende Sehnsucht, sich selbst zu beweisen, jedoch aus. Dies trifft jedenfalls auf diese Platte zu: Hier gibt es keinen Song, der undurchdacht oder lieblos dahin geklatscht wirkt.
Guten deutschen Pop muss man erst mal hinbekommen. Die Gratwanderung zwischen hohlen Phrasen und plumpen Wiederholungen auf der einen Seite und schmalziger Schlager-Intonation auf der anderen hat schon viele Sängerinnen ins Wanken gebracht. Nicht nur in dieser Hinsicht sind Madeline, und dementsprechend dieses Album, eine Anomalie in der Welt des Deutschpop.
In "Center Shock" reist Juno zurück in unbeschwertere Zeiten. Als Kind der 90er erinnert sie sich an Sommerferien mit Capri Sonne, den chemischen Geschmacksexplosionen von Center Shocks und einer ganzen Liste an anderen Dingen, die Nostalgie wecken.
Kindlich ist auch das Intro, gesungen von Annett Louisan. Nein, kleiner Spaß – wir hören hier nicht die blonde Chanteuse, sondern Madeleines Stimme, versetzt mit einem Chipmunk-Effekt. Ja, man kann Stimmen künstlich in andere Tonlagen verschieben. Aber müssen das jetzt alle machen? Es klingt zugegebenermaßen weder ästhetisch noch cool, und allein dafür gibt es einen Punkt Abzug.
Mit "Schlimmster Mensch Der Welt" verabschiedet sich Juno von der Good Girl-Mentalität: "Jemand rempelt mich an, ich dreh' mich um und sag' sorry. Erklär' den Leuten mein'n Nam'n, doch anscheinend heiße ich Honey. Wenn im Restaurant das falsche Essen kommt, sag' ich nix, weil ich nicht will, dass jemand Stress bekommt." Wohl alle, die als Frau sozialisiert wurden, können das Ringen mit falscher Bescheidenheit nachvollziehen. Und auch dieses Gefühl kommt einem bekannt vor: Wenn eine Frau nach vielen Jahren als People Pleaser zum ersten Mal klare Grenzen setzt, fühlt sie sich gleich wie "der schlimmste Mensch der Welt".
Die an das gleichnamige Spiel angelehnte Hook von "Fuck, Marry, Kill" und die Melodie des Refrains von "Liebe In Spiegelschrift" bleiben im Ohr. Nach einer intensiven Dosis angetriebener Beats und nachdenklich-genialer Wortspiele bietet das sphärische "Vorsicht Zerbrechlich" mit ruhigen Gitarrenakkorden und Slide-Guitar-Elementen einen sanften Rauswurf. Bereits der Albumtitel "Anomalie Pt.1" weckt Erwartungen auf eine Fortsetzung. Als Zwischenzeugnis gibt es eine solide Eins minus.
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