laut.de-Kritik
Free'n'Heavy Experimental Psycho Post Pop Punk.
Review von Kai Kopp"Wenn wir Cover-Versionen auswählen und arrangieren, konsultieren wir ein Orakel und werten es gemeinsam aus", behauptet das US-amerikanische Jazztrio The Bad Plus. Dasselbe Orakel scheint Marc Ribot "Break On Through" ins Ohr geflüstert zu haben, denn der Opener verwurstet den Doors-Klassiker - und das ganz prächtig!
Verzerrte Bratzgitarren wirbeln von Beginn an die Hirnwendungen ordentlich durcheinander. Der Megaphon-Effekt auf dem Gesang gibt dem Playback den Rest. Denn es handelt sich um eine derart durch den Wolf gedrehte, schaurig-schöne Coverversion, dass nur noch Bruchstücke an das Original erinnern. The Bad Plus meinen, "dass nur die Phantasie die Grenzen festlegen sollte". Mich beißt der Hund, wenn Marc Ribot dieses Gebot nicht auch hinter den Ohren stehen hat.
Wenn das Playback nicht so rockig wäre, würde ich als Genre-Assoziation den Free Funk im Sinne von Defunkt oder Steve Coleman bemühen. Aber so einfach macht es uns Ribot nicht. Free-Hardrock wäre wohl die passendere Schublade, um "Break On Through" kategorisch zu fassen.
Dem Free Funk wird der Titelsong "Party Intellectuals" schon gerechter. Auch wenn die Nummer dafür eigentlich zu Electronica-lastig ist. Was der Titel ironischerweise verspricht, Intellektualität, die mit Party-Wissen hausiert, hält der Song voll und ganz. Man braucht schon ein dickes Fell, um die bizarre Extravaganz von "Party Intellectuals" gut zu heißen.
Mit den Spoken Word-Adaptionen auf "Todo El Mundo Es Kitsch" wechseln die Ceramic Dogs erstmals das Genre. Gemäß dem ausgebebenen Motto "Alles auf der Welt ist Kitsch" schlagen die drei Herren gemeinsam mit Gastsängerin Janice Cruz (Heather Nova, Angie Stone) sanfte Töne an. Der La-La-La-Refrain verweist ebenso auf den textlich vorgegebenen Leitsatz wie der 08/15-Groove, die harmonische Struktur und überhaupt. Komponiert nach dem Richtlinienkatalog für Format-Songs zeichnet das Lied augenzwinkernd eine archetypische, popularmusikalische Song-Karrikatur.
Ostinate Electronica und Noise-Jazz bestimmen bei "Digital Handshake" das Geschehen, das in einem monströsen Klang-Gewitter endet. "Bateau" knüpft an die experimentelle Avantgarde-Baustelle von "When We Were Young And We Were Freaks" an. "For Malena" komplettiert die "Todo El Mundo Es Kitsch"-Galerie.
"Fuego" schickt Ribot als dancefloortauglichen 4-To-The-Floor ins Rennen. Die Singstimmen der Protagonisten betten mit ihrem dezenten Einsatz die extraordinären Solo-Eskapaden ein. "Girlfriend" schießt den melodischen Hörerwartungs-Vogel erneut ab. Die kruden Synthesizer-Orgien zerfetzen das eh schon verzottelte Playback. Aber sowas sind wir nach gut einer dreiviertel Stunde Spielzeit, die bisher hinter uns liegt, schon gewohnt.
Das zehnminütige "Midost" legt schon anhand der Spieldauer die Vermutung einer ausgiebigen Reise in abenteuerliche, musikalische Versuchslandschaften nahe. Nach einem dreiminütigen Lounge-Intro rotzen uns die Herren Ribot, Smith und Ismaily dementsprechend einen Heavy Metal-Groove um die Ohren. Der Ausflug nach "Midost" endet in der zur Musik gewordenen Chaostheorie, die sich ambient aus der Affäre zieht.
"ShSh ShSh" protegiert den Perkussionisten Martin Verajano und die Vokalistin Jenni Quilter. Deren befremdlich verzerrt in Szene gesetzte Stimme und die elektronische Atmosphäre unterstreichen die Alien-auf-Hawaii-Assoziationen, die sich in Verbindung mit Ribots Gitarrenspiel unweigerlich aufdrängen.
"Never Better" markiert den fulminanten Schlusspunkt eines burlesken Albums, das man am besten unter Free'n'Heavy Experimental-Psycho-Post-Pop-Punk kategorisiert. Zum Abschluss feiert das Trio eine Orgie kraftvoller, monströser und, wer hätte das gedacht, abstruser und humorvoller Spiellaune. Das Heavy Metal-Fundament bietet Ribots orgiastischen Entladungen das rechte Maß an Power und Energie, um seiner regelwidrigen Kreativität freien Lauf zu lassen.
Ob das auf Platte funktioniert? Nein!
Live kommt dieses musikalische Desaster wahrscheinlich einem gigantischen Orgasmus des universalen Zentralsexualorgans gleich. Auf Konserve "muss man schon bereit sein, sich auf diese durchgeknallte Reizüberflutung einzulassen" (Tristan Osterfeld).
Entdeckungsfreudigen Gaumen bietet Marc Ribot's Ceramic Dog zwar weitgehend hochwertige Nouvelle Cuisine. Über deren Verdaubarkeit entscheidet jedoch die Empfindlichkeit des Magens!
1 Kommentar
Das Album ist großartig. Aber "Your Turn" macht ihm durchaus Konkurrenz.