laut.de-Kritik

Der 'Buena Vista Russian Club' auf tropischem Exkurs.

Review von

Bis zu dreizehn Musiker rackern sich bei Markscheider Kunst auf der Bühne oft bis zu drei Stunden lang ab. Sie produzieren dabei Musik, die so gar nicht in ihren Herkunftsort St. Petersburg passen will: eine russische Band mit deutschem Namen, die mediterran und lateinamerikanisch anmutenden Sound produziert? Was sich zuerst ziemlich ungewöhnlich präsentiert, funktioniert auf ihrem fünften Album "Utopia" erstaunlich gut.

Der "Buena Vista Russian Club", wie der Promo-Waschzettel die Band betitelt, vereint auf seiner neusten Platte zu russischem Gesang Ska, Reggae und Latin-Jazz und experimentiert dabei mit Merengue ("DJ"), Salsa ("Sudak") Bossa Nova und afrikanischen Rhythmen ("Utopia"). Letztere sind wohl vor allem ihrem ehemaligen kongolesischen Frontmann Seraphim Makangil zu verdanken, der die Band ab und an noch auf Tour begleitet.

Was sich höchst akademisch und verkopft anhört, ist in Wirklichkeit locker hingerotzte und stets tanzbare Sonnen- und Wohlfühlmusik. Zwar schwankt in Sänger Sergey Efremenkos Stimme stets ein wenig Melancholie und Wehmut mit - beispielsweise im smoothen "Drugie Goroda" oder im Titeltrack "Utopia" - doch erinnert nichts an das stereotype Bild vom kühl-grauen St. Petersburg.

"Utopia" strotzt spürbar vor tropischer Herzenswärme. Der Grund dafür gibt Efremenko gleich selbst: Genau weil wir zu wenig Sonne, Wärme und Licht haben. Das müssen wir irgendwie kompensieren. Drogen sind da auf Dauer keine Lösung - Musik schon." Vom russischen Musikpapst Boris Grebenshchikov wurden sie nicht ohne Grund als "einzige fröhliche Band Russlands" bezeichnet.

Um die Message dieser Musik zu verstehen braucht man der russischen Sprache nicht einmal mächtig sein. Insgesamt ist die Produktion aber doch ein wenig zu glatt und abgerundet geraten. Eine Live-Band dieses Kalibers sollte auf Platte mehr rauhe Kanten aufweisen und eine gewisse Rohheit an den Tag legen, damit sie auch in den heimischen Stereoanlagen die Kraft ihrer Konzert-Atmosphäre reproduzieren kann.

Dass hinter Markscheider Kunst nicht wenige begabte Musiker stecken, die ihre Instrumente zu hundert Prozent im Griff haben, wird anhand der detailverliebten Instrumentierung sofort klar. Gitarren und Blasinstrumenten-Soli geben sich dabei locker-flockig die Klinke in die Hand und erhalten angemessenen Raum um sich zu entfalten.

Diese Sequenzen arten bei Konzerten wohl in deftige Improvisationsorgien aus, bleiben auf der Scheibe aber (leider) meist in ihrem vorgesehenen Rahmen. Trotzdem ahnt man, warum Markscheider Kunst in Russland zu den populärsten Live-Bands gehören.

Markscheider Kunst sind ein weiteres Vorzeige-Beispiel einer globalisierten Musikwelt, in der man nicht mehr zwingend am Äquator leben muss, um tropische Musik zu produzieren. Sogar im arschkalten Winter St. Petersburgs lassen sich nun also überraschend heiße Klänge aus den Proberäumen vernehmen.

Trackliste

  1. 1. Erunda
  2. 2. Odnazhdy
  3. 3. Sudak
  4. 4. DJ
  5. 5. Drugie Goroda
  6. 6. Grustnaja
  7. 7. Utopia
  8. 8. Na Radostjah
  9. 9. KU
  10. 10. Manush V Gorah
  11. 11. Waltz From Film ‘Kislorod’
  12. 12. Odnazhdy (Remix)

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