laut.de-Kritik
Wie eine Wundertüte der Improvisations-Kunst.
Review von Kai KoppIm Juni findet das 108. und damit vorläufig letzte Konzert der Stockhaus'schen Klangvisionen in Köln statt. Der Trompeter Markus Stockhausen und Rolf Zavelberg kündigen eine schöpferische Pause an. Über Zavelberg heißt es, er habe einen ausgeprägten Sinn für Räume und Stimmungen, denn er vermag, einen Ort zu illuminieren, ihn "zu 'stimmen' und Bildkompositionen aus Licht zu kreieren."
108 mal verwandelte er das eindrucksvolle Schiff der Kölner St. Maternus-Kirche in ein Paradies der Sinne, das einen faszinierenden Eindruck davon vermittelte, "dass Musik nicht nur Klang ist". Doch damit ist jetzt Schluss! Schade! Denn die tonkonservierten Perlen 'intuitiver Musik', die die St. Maternus Kirche verließen, waren allesamt von höchster Güte.
So verhält es sich auch mit "Electric Treasures". Für das Konzert das im Rahmen der Ausstellung "Ägyptens versunkene Schätze" stattfand, versammelte Markus Stockhausen den Bassisten Arild Andersen, Patrice Héral (Schlagzeug) und die Tastenlegende Vladyslav Sendecki (u.a. Jaco Pastorius) auf der Bühne. "Kein Wort wurde zuvor gesprochen, nichts verabredet."
Wow!
Denn aus diesem Nichts entstehen kunstvolle Klanggebilde. Zwischen Break-Beats, Free-Bop, Ambient und Jazzrock lässt uns "Electric Treasures" am Gestaltungsprozess teilhaben. Der Weg führt über elf Behandlungen direkt in den Improvisations-Himmel.
Anbetungswürdig entfalten sich "förmlich in der Zeit verharrende einzelne Töne" in der Kirchenkuppel. Ebenso adorabel offenbaren sich die Kollektivimprovisationen, die den Geist von Miles Davis atmen. Unglaublich, wie die Herren die Tonerzählkunst zelebrieren.
Selbst der erfahrene Sendecki, einer der laut New Yorker Village Voice "fünf besten Pianisten der Welt", gerät ins Schwärmen. "Ein solches Meeting passiert nur ein paar mal im Leben. Da ist 'Bitches Brew' drin, ist Weather Report drin, es ist irgendwo die ganze Welt drin". "Wie eine Wundertüte" empfand Pultmeister Walter Quintus das Material, als er es zur Bearbeitung erhielt.
Recht hat er! Es bereitet eine erhabene Freude, das 90-minütige Geschenk mit den Ohren auszupacken, sich überraschen und entführen zu lassen. Die letzte Gelegenheit, das Zauberduo Stockhausen/Zavelberg live zu erleben, bietet sich am 14. Juni 2008. Dann wird die vorerst letzte Klang- und Lichtinstallation die Kuppel der St. Maternus-Kirche füllen. Als Gast begrüßen die Sinneskünstler die hervorragende Klarinettistin Tara Bouman.
5 Kommentare
Schöne Review von einem echten Fan. Hab mir selber ein paar Notizen gemacht, die ich nicht als Kritik, sondern Ergänzung sehen will. Wie die Review schon sagt, hält die DoCD ein Konzert in der Kölner Kölner St. Maternus-Kirche fest. Die Musiker sind ohne vorherige Absprachen in das Konzert gegangen. Der Prozess entspricht also dem Vorgehen beim Free Jazz, das klangästhetische Ergebnis ähnelt allerdings eher dem ECM-typischen abstrakten, sensiblen Jazz. Das ist kein Widerspruch: Free Jazz ist schon immer viel mehr gewesen als sein Klischee.
Das erste, was mir auffällt, ist Stockhausens gestopfte Trompete im ersten Stück. Gerade bei der Trompete besteht ein großer Teil des Genusses im Ton des Musikers. Das Nonplusultra in der Hinsicht ist wohl Miles Davis, aber auch Don Cherry und Bill Dixon erzählen allein mit ihrem Sound ganz eigene Geschichten. Stockhausen ist hier wie in der Auswahl der Noten ganz er selbst, keinem mir bekannten Vorbild verpflichtet. Seine Phrasen sind abstrakter als die von Miles, und sein Ton evoziert nicht so sehr Dunkelheit, Einsamkeit als vielmehr Alleinsein in einer erhabenen Umgebung, auf einer Waldlichtung an einem goldleuchtenden Spätsommerabend oder an einem melancholischen Abend am Meer in Südfrankreich.
Andersen und Héral sind eine absolute Weltklasse-Rhythmusgruppe. Sie spielen seit 1998 mit Stockhausen zusammen und haben sich schon in früheren Aufnahmen gerade mit dem Trompeter als Meister des multidirektionalen Spiels erwiesen, Räume offen lassend für ihre Mitspieler, in jede erdenkliche Richtung zu gehen, und dabei unmittelbar auf die Wege der Solisten reagierend. Wobei die klassische Solisten-Begleiter-Arbeitsteilung hier weitgehend aufgehoben ist. Vielmehr findet hier ein permanenter Prozess der musikalischen Kommunikation zwischen allen Beteiligten statt.
Sendecki spielt einige sehr schöne impressionistische Passagen auf dem Piano, gelegentlich auch in Monk'sche Räume vorstoßend. Mit seinen Keyboards hingegen arbeitet er gelegentlich etwas arg mit diesen grausigen 80er-Jahre-Synthesizersounds ... Wer weiß, wie eine Kinder-Plastiktrompete klingt, gewinnt vielleicht eine Vorstellung davon.
Hört man die CDs, erscheint es unfassbar, dass nichts vorher festgelegt worden ist. Die Musik fließt wie selbstverständlich, die verschiedenen Parts gehen organisch ineinander über, es gibt keinen Leerlauf, nichts Holpriges oder Unpassendes, keine störenden Brüche. Die Musik berührt viele Bereiche, bewegt sich hauptsächlich im Bereich eines abstrakten modernen Jazz, streift aber auch elektronischen Ambient (CD 2, Stück 2) und Fusion - insofern ist der Weather-Report-Vergleich nicht falsch, zumal Sendecki gelegentlich 70er-Jahre-Synthesizer-Sounds verwendet. Das Konzert endet in einem wunderbar lyrischen Stück wie Filmmusik – spontan improvisiert. Sehr schön.
Das einzige, was man der Scheibe wünschte: dass Terje Rypdal das eine oder andere Mal auftauchte, um die Musik mit seinen schneidenden Gitarreneinwürfen aus ihrem elegischen Wohlklang zu reißen. Vergleicht man die CD mit „Kartá“ von 2000 in fast derselben Besetzung mit Terje Rypdal anstelle von Sendecki, begreift man das Manko dieser Aufnahme: Bei aller leuchtenden Schönheit der Musik hätte ich ihr manchmal mehr Biss gewünscht. Ärgert euch denn gar nichts? Wollt ihr nicht mal die Sau rauslassen?
Nach dem Hören trinkt man entweder einen Tee oder legt die neue Opeth auf. Die kommt dann doch einem Befreiungsschlag gleich.
Man muss übrigens nicht Miles Davis bemühen, dessen Geist so rein gar nichts mit der Musik hier zu tun hat, oder Sendecki zu einem der „fünf besten Pianisten“ zählen, what the fuck this may be, nach welchen Maßstäben auch immer, die ganz sicher nichts mit Musik zu tun haben. Auch ist nicht „die ganze Welt“ hier drin (s.o.). Es reicht doch, die Musik für sich zu nehmen, die ein faszinierendes Dokument eines Treffens von vier begnadeten Geschichtenerzählern und meisterlichen Musikern ist. Wie der Toningenieur sagte: „Eine Wundertüte.“
ich bin total beeindruckt von deinem Kommentar
... und werde dich gerne bei Gelegenheit zitieren, wenn ich darf *grins*
alles Gute nach Wo-auch-immer
Kai
Hm. (Bart kratz ... ratlos ...) Keine Ironie-Fahne? IRGENDWIE vermute ich Sarkasmus ... Aber is vielleicht nur Paranoia ...
Wenn du alles Gute nach FRANKFURT schickst, kann das nicht schaden. Dann gibt's hier vielleicht ein wenn auch unsicheres Gleichgewicht.
Übrigens: "Im April 2005 benannte die Stadtverwaltung von Grabowiec in Polen eine Straße nach Obi-Wan Kainobi." (Wikipedia) (Na ja, fast ...)
*lach*
echt, nach mir ist ne strasse benannt ...
da stell ich doch gleich einen einbürgerungsantrag ...
du kratzt tatsächlich zurecht an deinem Bart, denn es gibt keine Ironie-Fähnchen und keinen Sarkasmus. Ergo: Ein Fall von akuter Forenschädigung, eine sogenannte Beschimpf-Paranoia...
damit kann ich leider nicht dienen
schlimm?
Obi Wan Kai-Nobi, der mit der Straße
@Obi Wan KaiNobi (« *lach*
echt, nach mir ist ne strasse benannt ...
da stell ich doch gleich einen einbürgerungsantrag ... »):
Da darfste aber nicht gegen Polen Fußball spielen. Oder Black/Death Metal hören. Das mag die dunkle Seite der Macht mit ihrem Statthalter Darth Kaczynski nicht.
@Obi Wan KaiNobi (« du kratzt tatsächlich zu Recht an deinem Bart, denn es gibt keine Ironie-Fähnchen und keinen Sarkasmus. Ergo: Ein Fall von akuter Forenschädigung, eine sogenannte Beschimpf-Paranoia... »):
Paranoia? Ich? Was willst du von mir, Mann?
(äh, nur zur Klärung: DAS war jetzt Spiel!)
@Obi Wan KaiNobi (« damit kann ich leider nicht dienen »):
Och! Aber macht auch nichts, hab ich ja schon.
@Obi Wan KaiNobi (« schlimm? »):
Jaaaa! (Oder eigentlich doch nicht, s.o.)
Ich könnte ja jetzt 'ne Psycho-Stunde machen, "auf der Couch mit Thelema", nur dass Thelema auf der Couch wäre. Hm. Lass ich mal. Ich sach nua: Mein Alter is schuld! (Das is immer 'ne gute Ausrede!)