laut.de-Kritik

Die neue Stimme im Country-Folkrock: Genussmittel, Alleinsein, Sex.

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Das Segment Country-Rock-Pop hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich ausdifferenziert: sehr alternative Acts, mehrstimmige Eagles-Reinkarnationen, Flirts mit HipHop-Gästen und auch ein stetig wachsender Frauenanteil. Von den aktuell besonders auffälligen US-Exporten sollte man sich Morgan Wade anhören. "Reckless" ist ihre erste CD, zuvor hörte man sie nur im Stream mit der Band The Stepbrothers (2018). "Reckless" ist ein gelungenes Album, dessen Songs teilweise aber viel besser als die Produktion sind.

Bei "Mend", "Take Me Away" und die beiden Abschlusstracks, "Northern Air" und "Met You" springt der Funke über, auch die selbstironische Personality Morgan Wades steckt an. "Last Cigarette" erfüllt alle Ansprüche des Formatradios, klingt smashig und eingängig zugleich. Dass die Harmonie von Marillions charismatischer "Kayleigh"-Hookline ("Never meant to break your heart, but you broke mine") als Allzweck-Waffe funktioniert, zeigt "Mend". Den Song gibt es schon länger. Das atmosphärische Arrangement Morgans neuer Version bildet nun eine sakrale Kulisse für ihre individuelle Stimme: Der seelenvoll kratzige Stil der Mittzwanzigerin besitzt hohes Potential, auch, wenn sie sich noch ein Quantum entschlossener und mutiger von bekannten Wegen abheben könnte.

Trotz Pathos in der Instrumentierung und starkem Zuschnitt auf die Stimme, wirkt Morgan recht cool, einerseits gequält, andererseits selbstreflektiert und die Ruhe selbst. Die drei grundsätzliche Themen der Platte heißen Genussmittel, Alleinsein und Sex. Was teilweise gelingt, erinnert in einige Songs jedoch an die Standard-Essentials in Frauenzeitschriften: "You've got me feeling grounded" in "Mend", "I'm so tired of being alone (...) I wanna feel something" in "Take Me Away", "We've had some bad times, baby - but we had some good times, too" in "Other Side", "Tell me the true! Is it over for you?" in "Last Cigarette". Derlei Lyrics spiegeln sich in abgedroschen wirkenden musikalischen Passagen wieder.

"Other Side" z.B. verrauscht flockig, zu harmlos. Man könnte sich manches gut als stärkeren Tune in Richtung eines Traveling Wilburys-Grooves vorstellen. Gute Ansätze werden nicht zu Ende gesponnen, wodurch der Charme der Sängerin nicht voll zur Geltung kommt. So schränkt der fantasielose Stakkato-Bass in "Wilder Days" die Spielräume auf gut gemeinten Gitarrenrock im Stile Hootie & The Blowfishs ein, bar jeder Entwicklung seit den 90ern.

All ihre Stärken spielt die Morgan dagegen in "Northern Air" aus, wenn die expressiveren Vocals zum Wortwitz passen, "with your whiskey and your ginger". Jede Silbe klebt fest und geschmackssicher an der nächsten, eine verstimmte Slide-Guitar liefert stimmungsvolle Mellowness-Melancholie. Eine ergreifende Geschichte darüber, wie zwei Menschen nicht zueinander finden, unter anderem weil der Alkohol sie trennt. Mit Percussion und schnörkellos straighter Countryrock-Gitarre überzeugt der Track vollends. Co-Autor (und auch Album-Produzent) ist Sadler Vaden von 400 Unit, der Band von Jason Isbell.

In "Take Me Away" hält der Küchenfußboden für stürmischen Geschlechtsverkehr her ("Lay me down on the floor in your kitchen), und wäre da nicht dieses Melodiemotiv aus Liquidos "Narcotic", wäre der Song musikalisch originell. "Come to bed and I will shut my mouth" heißt es in einem anderen Song - und das wirkt etwas inkonsequent: Denn einerseitsl haben wir es mit einer Abkehr von Faith Hill und Shania Twain zu tun, wie Morgan selbst sagt. Andererseits bedient sie in ihren Texten Hollywood-Fantasien und pendelt im Titelsong "Reckless" zu stumpfen Riffs und stampfenden Beats zwischen mädchenhaft und rotzig-wütend. Indifferent, positiv formuliert: wandlungsfähig.

Bis zur nächsten Platte muss so noch einiges passieren, bis Morgans Musik bedeutend viel Publikum jenseits der US-Eastcoast flasht. Dennoch könnte es Morgan Wade schaffen, dass sich Countryrock und Americana nicht mehr so sehr um sich selbst drehen. Ein Vorbild wären vielleicht die Counting Crows: Die Band hatte großen Erfolg damit, zwischen schnellen Nummern und ergreifenden Balladen zu springen. Das Midtempo sparten sie meist aus. Fans von Jewel und Wallflowers sollte sich die Platte mal anhören.

Trackliste

  1. 1. Wilder Days
  2. 2. Matches And Metaphors
  3. 3. Other Side
  4. 4. Don't Cry
  5. 5. Mend
  6. 6. Last Cigarette
  7. 7. Take Me Away
  8. 8. Reckless
  9. 9. Northern Air
  10. 10. Met You

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