Hätte er nur mehr Zeitzeug*innen sprechen lassen! So aber schreibt ein Soziologieprofessor über eine spannende Figur ein sterbenslangweiliges Buch.

München (dani) - Vor 25 Jahren hauchte Tupac Shakur, von mehreren Kugeln tödlich getroffen, sein Leben aus. Wäre manches anders gelaufen, er hätte in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiern können. Klar, dass das doppelt traurige Jubiläumsjahr sich anbietet, um das Erbe der Rap-Ikone noch ein bisschen weiter auszuschlachten.

Michael Eric Dysons Tupac-Biografie "Holla If You Hear Me: Searching for Tupac Shakur" hat inzwischen auch bereits 20 Jahre auf dem Buckel, sie erschien erstmals 2001. Jetzt, wo der Rapper wieder in aller Munde ist, folgt nun auch eine deutsche Fassung. "Endlich", möchte man denken - bis man sie gelesen hat. Dabei krankt "Tupac Shakur: Vermächtnis einer Legende" (riva Verlag, 288 Seiten, Hardcover, 19,99 Euro) sicher nicht an der Übersetzung von Peter Peschke. Das Hauptproblem liegt vielmehr in Dysons unerträglich geschraubtem Wissenschafts-Vokabular.

"Michael Eric Dyson ist ein preisgekrönter Autor, ein weithin geschätzter Intellektueller und Professor der Georgetown University, dessen politische Analysen Gewicht haben", informiert der Anhang des Buches über seinen Autor. Ich möchte anfügen: Darüber hinaus ist es ihm gelungen, über einen überaus interessanten, weil in sich komplett widersprüchlichen Charakter ein wahrhaft sterbenslangweiliges Buch zu schreiben, von dem ich in keinem Moment auch nur die leiseste Idee habe, an welche Zielgruppe es sich zu richten glaubt.

Holla if you are Zielgruppe!

Der durchschnittlich gut informierte Fan von Tupac Shakur erfährt kaum etwas Neues. Mit des Rappers Leben, Werk und Tod vielleicht weniger vertraute Studierende der Soziologie werden fachbezogenen Erkenntnisgewinn wohl eher nicht in einer Künstler-Biografie aus dem riva Verlag suchen. Die wissenschaftliche Herangehens- und Sprechweise Dysons - er schreibt bedauerlicherweise wie der Soziologieprofessor, der er ist - garantiert ohnehin schon nicht gerade die leichteste Lektüre.

Der Autor erklärt zunächst akribisch, wie er sein Buch konzipiert und gegliedert hat: Erst beleuchte ich dies, dann analysiere ich das, im Epilog dann untersuche ich ... ja, Mensch! Merke ich das nicht beim Lesen? In akademischen Publikationen mag Usus sein, seine Methoden offenzulegen. In einem (doch hoffentlich) zu Unterhaltungszwecken geschriebenen Buch möchte ich schon selbst drauf kommen, was der Autor jeweils tut - dann, wenn er es tut. Wenn das ohne Anleitung nicht zu erkennen ist, hapert es ganz eventuell an der Durchführung.

Uff!

"Das liegt daran, dass sich die Moralität künstlerischer Bestrebungen beständig auf deren kritisches Urteilsvermögen auswirkt. Das heißt nicht etwa, dass wir der Kunst das Urteil ihrer moralischen Implikationen ersparen sollten. Wir sollten lediglich in Erinnerung behalten, dass diese Implikationen von Kritikern beurteilt werden, die ihre eigenen Befangenheiten, Prioritäten und Interessen verteidigen müssen. Oft versuchen Künstler, in ihrer Kunst die moralischen Prismen zu unterminieren, durch die hindurch wir Kunst betrachten." In diesem Stil schwurbelt Dyson sich durch gut 250 Seiten, den Rest füllen Anmerkungen und ein ausuferndes Literaturverzeichnis.

Um Tupac selbst geht es dabei oft genug gar nicht erst. Statt dessen gibt es seiten- bis kapitellange Exkurse über die Verwendung des N-Worts inner- und außerhalb der schwarzen Community, über die Darstellung von Frauen im Hip Hop oder über Mike Tyson. Michael Dyson muss ein riesiger Fan von Herman Melville sein. Ähnlich ausufernde Abschweifungen, die nichts dazu beitragen, die Handlung voranzutreiben, habe ich jedenfalls bisher nur in "Moby Dick" gelesen, dort ging es halt stattdesen um Trangewinnung, die Geschichte des Walfangs auf Nantucket oder das Knüpfen von Seemannsknoten.

An der Seitenlinie

Wer nicht vorher schon wusste, aus was für einer Familie er stammte, welche Sozialisation er mit auf den Weg bekommen hatte, was er geschafft und was verbockt hat, wie er lebte und wie er starb, dem wird schwer fallen, sich anhand dieses Buches ein mehr als schemenhaftes Bild von Tupac Shakur zu machen. Statt seine Geschichte zu erzählen, benutzt ihn Dyson nur wieder und wieder als Beispiel oder Beleg für irgendeine seiner wissenschaftlichen Thesen. Die Person, die das Buch zu porträtieren vorgibt, bleibt blass an der Seitenlinie stehen - ein Platz, den sich Pac im Leben niemals hätte zuweisen lassen.

Schlagfertig!

Greifbar wird Tupac Shakur jedoch überall da, wo Dyson Menschen zu Wort kommen lässt, die ihn wirklich kannten. Diverse Frauen, die Tupac zugetan waren, zeichnen das Bild eines beneidenswert schlagfertigen, gewitzen jungen Kerls. Karen Lee, seine frühere Presseagentin, erinnert sich, wie Tupac einst einen Vortrag besuchte: "Da saß eine Lady neben ihm, und ich sah, wie sie sich zu ihm herüberlehnte und sagte: 'Würden Sie bitte eine andere Ausdrucksweise wählen? Das ist ja widerwärtig.' [Er] hat mich wirklich stolz gemacht. Er schaute sie an und sagte nur: 'Es tut mir leid, wenn Sie meine Wortwahl widerwärtig finden, aber sie kann gar nicht widerwärtiger sein als die Welt, die Ihre Generation mir hinterlassen hat.'"

Oder seine Anwältin Shawn Chapman, die Tupac dazu überreden wollte, ihn zu daten: "Ich sagte ihm immer: 'Ich kann nicht mit dir ausgehen. Ich bin deine Anwältin. Ich bin älter als du [...] Hör' mal, du hast 'Outlaw' auf deinem Arm stehen'" - und er darauf: "Das Tattoo ist noch nicht fertig. Da wird stehen: 'Without law, society is chaos.'"

Wie fühlt sich das an?

Jada Pinkett Smith, die in den 90ern eine enge Freundschaft mit Shakur pflegte, erinnert sich voller Liebe, blickt aber auch schonungslos in die Abgründe seiner Alkohol- und Drogensucht. Mos Def bringt die Zerrissenheit seines Kollegen auf den Punkt: "Pac saß hinter Gittern. Pac hatte einen Nummer-eins-Hit. Pac hat in Filmen mitgespielt. Er hat erreicht, was man als Schwarzer in Amerika erreichen konnte. Er lebte beide Seiten dieser Erfahrungswelt. Er hat die Feindseligkeiten der Weißen erlebt und ist ins Gefängnis gesteckt worden, er war sich also sogar im Angesicht seines Erfolgs immer der Tatsache gewahr, dass er für Amerika nur ein nigger unter vielen war. Wie fühlt sich das an?"

Regisseur John Singleton berichtet (nicht als einziger) von der krassen Veränderung, die sein Gefängnisaufenthalt bei Tupac hinterließ: "Das Licht, das [vorher] in seinen Augen war, war nicht mehr da. Als er aus dem Knast kam, war er eine perfekte nihilistische Entsprechung dessen, was sich die Leute unter einem schwarzen Hip Hop-Künstler in Amerika vorstellten, weil ihm wirklich alles scheißegal war, und er sich nur noch auf seine Musik konzentrierte."

Wo immer Michael Eric Dyson Zeitzeug*innen zitiert, entsteht ein sehr lebendiges, nahbares Bild von Tupac Shakur. Leider handelt es sich bei diesen Momenten nur um Blitzlichter in einem nahezu undurchdringlichen Nebel aus Akademikergewäsch. "Definitiv die beste Biografie über 2Pac", wirbt der Verlag mit einem Zitat aus der Review von Booklist. Ich hoffe nicht, dass das stimmt.

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Michael Eric Dyson - "Tupac Shakur: Vermächtnis einer Legende"*

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