Der Frontmann von Feine Sahne Fischfilet hat 65 Kilo abgespeckt. Trotzdem schreibt er keinen Diät-Ratgeber, sondern ein Buch über Selbsterkenntnis, Sucht und den Umgang damit.

Jarmen (dani) - Auch, wer sich wenig bis gar nicht mit ihnen beschäftigt hat, weiß über Feine Sahne Fischfilet vermutlich zweierlei: Die streitbare Combo aus Mecklenburg-Vorpommern ist eine Live-Band, wie sie im Buche steht, und ihr Frontmann Monchi nicht gerade ein Federgewicht. Nachdem Live-Auftritte in den vergangenen zwei Jahren aus bekannten Gründen maximal vereinzelt stattfanden, stand Monchi plötzlich ungewohnt viel Ruhe und Zeit zur Verfügung. Wenig überraschend, dass er diese Zeit genutzt hat, um ein Buch zu schreiben, das haben andere auch schon getan. Was das jedoch für ein Buch geworden ist, überraschte tatsächlich noch mehr als die generalüberholte körperliche Verfassung, in der Monchi nach Monaten in der Versenkung wieder ins Rampenlicht trat - mehr als 60 Kilo leichter als zuvor.

"Niemals Satt" (Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, Paperback, 18 Euro) handelt weder von Feine Sahne Fischfilet noch von Punkrock. Es geht weder um das so exzessive wie erschöpfende Leben einer unentwegt tourenden Band noch um ihr gut dokumentiertes Engagement gegen Rechts noch um das Leben in der nord-ostdeutschen Provinz, auch wenn alle diese Aspekte selbstverständlich Nebenrollen spielen. Genau genommen geht es noch nicht einmal wirklich darum, innerhalb eines Jahres ein Drittel seines Körpergewichts loszuwerden. Wer, warum auch immer, glaubt, Monchi habe einen Diät-Ratgeber geschrieben: Vergesst das am besten gleich wieder, nach Schlankheits-Tipps und Verhaltensmaßregeln müsst ihr anderswo suchen.

Ursachenforschung

In erster Linie zeichnet "Niemals Satt" eine sehr persönliche Entwicklung nach. Jan 'Monchi' Gorkow lässt teilhaben an seinen Versuchen, zu verstehen, was zum Teufel eigentlich mit ihm passiert ist. Nicht sein Abnehmerfolg steht im Zentrum dieses Buches, sondern die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass er sich 182 Kilo auf die Rippen gefressen und gesoffen und die Notwendigkeit (oder auch nur die Möglichkeit), daran etwas zu ändern, lange Zeit noch nicht einmal gesehen hat. Viel eindringlicher als von Gewichtsreduktion erzählt "Niemals Satt" von Sucht und davon, zu begreifen, mit dieser Sucht künftig leben und einen Umgang finden zu müssen.

Lange genug hat gedauert, bis Monchi für sich realisierte, was seine Körpermasse eigentlich jedem, der es hören wollte, ins Gesicht schrie: Dieser Mann leidet an einer Essstörung. In einer traurigen Kindheit scheinen die Ursachen in diesem Fall nicht zu liegen: Monchi beschreibt sich als fröhliches, wenn auch immer schon moppeliges Kind, das allzeit, auch heute noch, auf starke, solidarische, hilfreiche Familienbande vertrauen durfte. Wie verschoben seine Selbstwahrnehmung und sein Körperbild jedoch sind, kristallisiert sich im Laufe seiner Ursachenforschung heraus. Schon immer moppelig? Von wegen. Die Erinnerung der Eltern, belegt mit zahlreichen Kinderfotos, zeigt einen völlig normal proportionierten Jungen. Aus dem Leim ging der erst später.

Doch ... warum nur? Und warum ist niemand eingeschritten? Monchi hat Eltern, Geschwister, Freund*innen, Kolleg*innen, Fans: Warum hat ihm niemand gesagt, dass er so unmöglich lange weitermachen könne, ohne sich vollkommen zugrunde zu richten? Dieser Frage spürt Monchi, nachdem er sie sich endlich gestellt hat, mit schonungsloser Akribie nach. Er schreibt einen Brief an seine Eltern, befragt seine engen Freunde. Die Antworten - Tenor: Du hättest dir eh nichts sagen lassen, hättest eher noch bockig reagiert und genau das Gegenteil von dem getan, das wir dir geraten hätten - sehr nachvollziehbar.

Den schmerzhaften Lernprozess, den "Niemals Satt" nachzeichnet, hat wahrscheinlich jede*r hinter sich, der sich je mit einem Junkie konfrontiert sah: Du kannst einfach niemanden retten, wenn die*derjenige das nicht selbst will. Wenn, wie in Monchis Fall, der Betroffene das dann (endlich) will, ist die erste große Schlacht zwar bereits geschlagen, der Krieg geht jedoch erst richtig los. 65 Kilo abnehmen ist eine große Sache. Darin, danach nicht wieder in alte Muster zurückzufallen, liegt aber die noch viel größere Herausforderung.

Von Schmerzen und Demütigungen

Dass einer mit einer großen Klappe wie Monchi die Flucht nach vorne antrat und die Fetten-Witze lieber selbst gerissen hat, bevor es ein anderer tat, leuchtet ein. Das Problem daran allerdings auch: Der lacht ja noch drüber, der zelebriert seine Körpermassen, also der Trugschluss: Ganz offensichtlich hat er kein Problem damit. Tief drinnen hat er das aber doch. Natürlich schmerzt es auch einen lautstarken Schreihals, nicht mit den Kumpels paragliden gehen oder mit den Kindern der Freundin aufs Trampolin zu dürfen, wahrscheinlich noch mehr als die strapazierten Knie oder die wundgescheuerten Schenkel.

Monchi beschreibt sehr eindrücklich (und auch einigermaßen eklig), wie das wirklich ist, 182 Kilo zu wiegen. Er erzählt von blutendem Fleisch, von Dehnungsstreifen, von der Unmöglichkeit, sich den Arsch abzuwischen oder sich die Fußnägel zu schneiden, davon, das ganze Jahr über in labberigen Shorts und Flipflops herumzulaufen, schlicht, weil es keine passenden Hosen mehr gibt, und keine richtigen Schuhe, die sich komplikationslos anziehen ließen. Lattenroste, Klobrillen, Stühle, ein Fahrrad zu finden, das dieses Gewicht trägt: echte Herausforderungen. Jeder Moment, in dem ein Lattenrost, eine Klobrille, ein Stuhl, ein Fahrrad wieder nicht standgehalten hat: eine neue Demütigung.

Monchi erzählt von Vorbehalten und Vorurteilen (auch seinen eigenen) und von mangelndem Einfühlungsvermögen. Niemand, wirklich niemand, möchte in Läden mit so lustigen Namen wie "Mollywood" haarsträubend unstylische Klamotten kaufen müssen. Die Ernährungsberaterin, die Monchi irgendwann aufsuchte, empfahl ihm allen Ernstes gleich beim ersten Besuch eine Magenverkleinerung - gehts vielleicht auch ein bisschen weniger invasiv?

Tatsächlich geht das: Monchi teilt seine eigenen guten Erfahrungen mit einer Kombination aus Sport und Intervallfasten, preist seine Methode jedoch nirgends als die allein-seligmachende an. Den passenden Weg, auch das eine Erkenntnis, die er erst gewinnen musste, muss jede*r für sich selbst finden. (Wobei die meisten langfristig erfolgversprechenden Abnehm-Strategien wahrscheinlich schon auf der Dreifaltigkeit Mehr-Bewegung, Weniger-Alkohol und Weniger-ungesunden-Scheiß-Fressen basieren dürften.)

Durchhalten!

"Niemals Satt" dreht sich, wie gesagt, nicht in erster Linie ums Abnehmen. Es geht um die Lebensrealität einer wirklich fetten Person, und darum, zunächst ein Bewusstsein und dann Sensibilität für die Schwierigkeiten zu entwickeln, die mit schwerer Adipositas Hand in Hand gehen. Es geht außerdem ums Erkennen eines Problems, ums Suchen und Finden einer Strategie zu seiner Beseitigung, und vor allem geht es ums Durchhalten, wenn die Rückschläge kommen.

Monchi wiederholt sich häufig und dreht sich in seinen Schilderungen oft genug im Kreis. Sicher hätte sich manches geradliniger formulieren und zügiger durchziehen lassen. Von außen betrachtet, fragt man sich immer wieder, wie lange um Himmels Willen sich der Weg zu relativ banalen Erkenntnissen hinziehen kann. Gut möglich allerdings, dass die Geschichte nicht so anrührend geraten wäre, hätte man sie besser strukturiert. Es wäre dann eben nicht mehr Monchis Geschichte gewesen.

Originalität gefragt

Ob er sich mit dem Kapitel "FAQ" einen Gefallen getan hat, werden die Interviews zeigen, die den Buch-Release jetzt zweifellos zahlreich flankieren dürften. Monchi listet (nebst den zugehörigen Antworten, versteht sich) die Fragen auf, mit denen ihn seit seiner beachtlichen Verschlankung alle löchern. Wer da nicht lediglich Wiedergekäutes bekommen will, wird sich hinsichtlich der Originalität des Fragenkatalogs ein bisschen mehr Mühe geben müssen als üblich. Mit "Ist dein Schwanz denn nun größer geworden?" braucht jetzt wirklich niemand mehr anzukommen.

Auf Lesetour

Wer sich das Buch vom Autor persönlich vorlesen lassen möchte, bekommt im Rahmen von Monchis Lese-Tour Gelegenheit dazu, nämlich hier:

Di. 26.04.2022 Hannover Pavillon
Mi. 27.04.2022 Magdeburg Altes Theater
Do. 28.04.2022 Dresden Schauburg
Di. 03.05.2022 Stuttgart Im Wizemann
Mi. 04.05.2022 Frankfurt Zoom
Do. 05.05.2022 CH-Zürich Dynamo
Di. 10.05.2022 Düsseldorf Savoy Theater
Do. 12.05.2022 Nürnberg Hubertussaal
Fr. 13.05.2022 München Kammerspiele
Sa. 14.05.2022 AT-Wien Rabenhof
Mi. 18.05.2022 Berlin Festsaal Kreuzberg
Do. 19.05.2022 Greifswald Theater Vorpommern
Fr. 20.05.2022 Hamburg St. Pauli Theater
Mo. 23.05.2022 Leipzig Werk2
Di. 24.05.2022 Münster Friedenskapelle
Mi. 25.05.2022 Köln Gloria

Kaufen?

Monchi - "Niemals Satt"*

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Fotos

Feine Sahne Fischfilet

Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Feine Sahne Fischfilet,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm)

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