Zwei dunkle Eisköniginnen auf "Worlds Collide"-Tour: ein Fest im Velodrom für Gothic Girls und Boys.
Berlin (laut) - Lange mussten die Fans auf diesen Abend in vorweihnachtlichen Berlin warten, der gleichzeitig das Ende der "Worlds Collide"-Doppeltour von Evanescence und Within Temptation markierte. Und doch gerade noch zur rechten Zeit für die angeschlagene Amy Lee, die bereits an den Vorabenden mit einer angeschlagenen Stimme zu kämpfen hatte. Über Twitter ließ die Evanescence-Frontdame aber noch am Konzerttag verlauten, dass sie ein letztes Mal alle Kräfte mobilisieren werde, um die Tour anständig zu Ende zu bringen. Das Konzert im Velodrom ist ausverkauft und ein imposanter Bühnenaufbau mit viel Licht- und Videoinstallationen deutet auch auf einen ereignisreichen Abend hin
Die dunkle Eiskönigin
Den Anfang machen Within Temptation. Die Niederländer:innen geben mit "Our Solemn Hour" auch direkt Vollgas. Während im Hintergrund düstere Bilder über die Leinwände flimmern, glänzen im Vordergrund eine gut gelaunte Band und besonders natürlich Frontfrau Sharon Den Adel, die ein schwarzes, langstacheliges Diadem trägt, wie es einer dunklen Eiskönigin nicht würdiger sein könnte. Dazu kombiniert sie ein gepanzertes Korsett, helle Strümpfe und einen ausladenden, schwarzen Rock. Was für eine Erscheinung!
Stimmlich muss sie als Vollprofi nichts mehr beweisen, jeder Ton des gut 70-minütgen Sets sitzt. Das kann man vom Zwiegesang des Publikums leider nicht behaupten: Bei beiden Bands und vor allem bei den Balladen sind zu viele ambitionierte Hobby Sänger:innen im Publikum am Start, die die magischen Momente an diesem Abend alles andere als befeuern. Spoiler: "My Immortal" klingt am Schönsten, wenn es Amy Lee singt – auch mit kratziger Stimme. Bei "Raise Your Banner" zeigen Within Temptation im wahrsten Sinne des Wortes Flagge und bekunden mit einer riesigen ukrainischen Flagge ihre Solidarität mit dem vom Krieg geschundenen und zerstörten Land.
Im Laufe des Sets wechselt Sharon noch einige Male ihr Outfit - der eindrucksvollste Moment: Sharon schwebt, gekleidet in eine lange, rote Robe, in einem überdimensionalen Reifen hoch über der Bühne. Show können die Niederländer:innen, die unter anderem auch "Angels", "Stand My Ground" und "Shed My Skin" präsentieren, definitiv, bevor bei "The Reckoning" überraschenderweise Amy Lee die Bühne betritt und mit ihrer Freundin ein Duett gibt. Nach einer starken Nummer und herzlicher Umarmung entschwindet Amy Lee wieder und Within Temptation beenden das Set mit "All I Need", "Supernova" sowie den beiden Hitsingles "Ice Queen" und "Mother Earth".
Idol für Gothic Girls
Nach einer angemessenen Umbaupause ist es endlich Zeit für die US-Ameriker:innen von Evanescence. Als Idol kleiner und großer Gothic Girls genießt Amy Lee Kultstatus und beweist in dem Moment, in dem sie die Bühne zu "Broken Pieces Shine" betritt, auch warum. Ausstrahlung, Präsenz und die offensichtliche Leidenschaft wirken dermaßen eindrucksvoll, dass es sogar den Hardcore-Fans kurz die Stimme verschlägt.
Von einer stimmlichen Beeinträchtigung hört man anfangs gar nichts, man spürt nur Amys Energie, wenn sie wie ein Wirbelwind über die Bühne fegt, sich windet und wendet, den Mund weit aufreißt, als wolle sie auch das letzte Quentchen Emotion aus sich herauspressen. Der Rest der Band absolviert ebenfalls einen hervorragenden Job. Man hört und spürt, wie gut die Musiker:innen harmonieren. Obwohl der Hit "Going Under" schon an Platz vier der Setlist steht, reagiert das Publikum insgesamt verhaltener als noch bei Within Temptation, was auf keinen Fall an der Show von Evanescence liegen kann.
Die Videoleinwand wird eindrucksvoll bespielt, mal fliegen Raben gen Publikum, mal ist es nur Amy Lee und ihr Klavier, umgeben von Lichtkegeln. Vor "Use My Voice" fordert Amy Lee das Publikum auf, sich für Frauenrechte und gegen Ungerechtigkeit stark zu machen. Hier ist es auch, als Sharon Den Adel den Gefallen retourniert und mit Amy Lee gemeinsam im Duett performt. So viel Frauenpower auf der Bühne, grandios! "Blind Belief" läutet das Ende des Sets ein, bevor Amy Lee bei "My Immortal" dann doch noch kurz die Stimme wegbricht. Der bewegenden Darbietung tut dies jedoch keinen Abbruch.
Ein letzter Abschied
Hunderte Handylichter leuchten gen Bühne, wenn Amy am Piano sitzt und ihre Seele offenbart. So richtig Stimmung kommt leider erst ganz am Ende bei "Bring Me To Life" auf, der Smash-Hit, der die Band vor vielen, vielen Jahren quasi übernacht berühmt machte. Schade, vielleicht hätte ein Slot im mittleren Teil des Sets das Ruder früher herumgerissen.
Da Berlin den Schlusstrich unter die Doppeltour zieht, kommen am Ende die komplette Crew sowie beide Bands auf die Bühne. Man herzt, lacht, posiert und winkt, verteilt Utensilien an die Fans. Danach können alle Beteiligten mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ins Bett fallen – it's a wrap and it was a blast.
Fotos und Text: Désirée Pezzetta.
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