Der Kolossale Jugend-Texter und Vordenker der Hamburger Schule ist überraschend gestorben. Er wurde 59 Jahre alt.
Berlin (mis) - Kristof Schreuf ist tot. Der in Frankfurt geborene und als Vordenker der Hamburger Schule geltende Songwriter wurde 59 Jahre alt. Er starb vorgestern überraschend in Berlin. Zur Todesursache wurde nichts bekannt.
Der in seiner Jugend bei der AC/DC-Coverband Bon Scott engagierte Hamburger wurde bekannt als Sänger und Texter der kompromisslosen Post-Punk-Band Kolossale Jugend, die von 1988 bis 1991 existierte und sich nach dem einzigen Album der britischen Post-Punk-Legende Young Marble Giants ("Colossal Youth", 1980) benannte. In linken Kreisen war Rockmusik in dieser Zeit verpönt, auf deutsch textete eh fast niemand mehr. "Mit deutschem Gesang konnte man Leute fürchterlich auf die Palme bringen", erzählte Gitarrist Pascal Fuhlbrügge später der taz. Ähnlich der geistig verwandten Band Mutter kreierten Kolossale Jugend mit ihrem parolenhaften Underground-Rock eine Nische und waren Ende der 80er ihrer Zeit voraus.
Ihr beißend "Heile Heile Boches" betiteltes Debütalbum erscheint 1989. "Die beste Platte der Welt", jubelt Diedrich Diederichsen, Chefredakteur der Spex. Die Platte präsentierte Schreuf 1989 erstmals als atemlosen wie charismatischen Sänger, der seinen antinationalen Gefühlen in der Ära Kohl pünktlich zur Wiedervereinigung freien Lauf ließ. Zur Legende wurde ihr 1990 unter anderem in den Spex-Kleinanzeigen feilgebotenes T-Shirt mit dem Aufdruck "Halt's Maul Deutschland", für 20 D-Mark bestellbar bei L'age d'Or in der Budapester Straße in Hamburg. Dort erkannte man früh die Zeichen der Zeit. Der 22. Oktober 1988 gilt als Gründungstag des Kultlabels: An jenem Datum erschien die KJ-Single "Kein Schulterzucken".
Die Begeisterung blieb insgesamt überschaubar. Auf der offiziellen Webseite kolossalejugend.com kann man sich via überliefertem Tour-Blog einen Eindruck vom damalig wilden Konzertalltag machen. Im Underground Köln waren demnach "4 zahlende Zuschauer + das Tresenpersonal und der Putzmann". Bis zu ihrer Auflösung 1991 überzeugen sie dennoch zahlreiche Jugendliche, die bald selbst Instrumente in die Hand nehmen. Mitte der 90er Jahre feiert man Schreufs Band als Wegbereiter für den Mainstream-Erfolg von Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic.
Wie wichtig sein Songwriting für die Hamburger Schule war, belegt ein Blumfeld-Song. Jochen Distelmeyer zitiert Schreuf im Song "Anders als glücklich" auf "Testament der Angst": "Anders als glücklich hat Kristof Schreuf gesagt / hier nochmal schriftlich von einem der laut denkt und sich sagt / ich seh das ähnlich und bring es zu Papier / das macht mich ehrlich und vielleicht hilft es dir."
Nach der Auflösung schreibt er für diverse Zeitschriften (Spex, taz, Junge Welt), kehrt aber 1995 wieder zur Musik zurück und gründet die Band Brüllen, mit denen er zwei Jahre später das Album "Schatzitude" veröffentlicht. Literaturkritikerin Iris Radisch schlägt ihn 2003 für den renommierten Bachmannpreis vor. Im Rahmen des Wettbewerbs liest Schreuf in Klagenfurt den Text "Wahrheit ist das wovon Männer gerne behaupten, dass es ihnen um sie geht" vor. Er nutzt die große Bühne für die Ankündigung seines Buches "Anfänger beim Rocken" bei Suhrkamp - das selbstironische, Salinger paraphrasierende Debüt sollte jedoch nie erscheinen.
2010 erscheint sein Solodebüt "Bourgeois With Guitar" bei Buback Tonträger. Darauf covert er eigene Lieblingssongs und Evergreens auf der akustischen Gitarre, etwa The Whos "My Generation", AC/DCs "Highway To Hell", "I Feel Love" von Donna Summer oder "Search & Destroy" von den Stooges. Allerdings kombiniert er die bekannten Stücke mit anderen Songs oder ergänzt völlig neue Melodien. Auch Eigenkompositionen sind darauf vertreten, etwa das Titelstück, auf dem es heißt: "Es ist mir egal, wofür ihr mich haltet (...), aber hoffentlich für dünn" oder "Ich bin ein Riss / Ich will durch Wände geh'n". Nach der Veröffentlichung spielt er wieder Konzerte, auch auf Labelabenden neben 1000 Robota, den Goldenen Zitronen und F.S.K..
2015 schrieb er angesichts der Veröffentlichung der "Tocotronic-Chroniken" über seine nachgewachsenen Fans: "Wenn heute jemand Tocotronic kritisiert, wirkt das, als würde er sich mit dem Horizont anlegen." Buback Tonträger würdigt ihn in einem Nachruf als "euphorischen, überschäumenden, manchmal nervigen, nie zu nervigen, liebenswerten und äußerst talentierten Musiker" und erklärte die ausbleibende Musik der letzten zehn Jahre damit, dass Schreuf "wohl wieder abgelenkt war, von den vielen tollen neuen Bands, die er entdeckte und für die er sich so begeistern konnte."
Am 30. November war ein Auftritt in der "Krawalle und Liebe"-Show der Journalistinnen und Musikerinnen Kerstin und Sandra Grether geplant, einer etablierten Veranstaltungsreihe im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus.
R.I.P. Kristof Schreuf.
— Maurice Summen (@MauriceSummen) November 11, 2022
Für immer mein liebster Bourgeoise with guitar!
"Anfänger im Rocken" hätte ich wirklich gerne noch gelesen, aber hey....Gute Reise und danke für die vielen tollen Schreuf-Momente of life...????
2 Kommentare mit 10 Antworten
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Bist du grenzdebil?
Ist das wirklich eine notwendige Frage?
Ganz, ganz, ganz wichtiger Zeitgenosse! Die spätere "Hamburger Schule" übersehen wir mal geflissentlich aus Gründen des guten Geschmacks. Aber seine Haltung und Pionierarbeit waren einfach erste Sahne! Guter Mann. Einen geruhsamen Tod für Dich, Kristof!
Red mal nicht im pluralis majestatis, Mr. Geschmacklos.
Halt den Rand, hier wird kondoliert.
Selbst Kondolenz trieft bei dir nach deinem selbstzentrierten Duktus. Lösch dich endlich mal, Ragisimo.
Eine traurige Gestalt nach der anderen... Müsstest eventuell nicht herumtrollen, wenn Du ne Persönlichkeit entwickeln würdest, Middli
Ab jetzt wird gelöscht. Kann echt nicht sein, daß die üblichen Verdächtigen mal wieder nicht anders können als eine Nachricht über den Tod eines wichtigen Zeitgenossen zuzuflamen.
Achtung, Singularität: Ragism hat Recht. Haltet die Klappe.
Ich wüsste nicht, warum man in einer Kommentarspalte die Klappe halten sollte und erst Recht dann nicht, wenn Ragism den Tod des Musikers dafür nutzt, seine persönlichen Ansichten in den Fokus zu stellen. Es geht ihm in erster Linie mal wieder um sich selbst. Das darf man dann schon einmal erwähnen. Dies gebietet uns der Humanismus.
Jeder hier weiß, dass Ragism eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung hat. Gibt genug Möglichkeiten darauf herumzureiten, muss dann aber bitte nicht unter einem offensichtlich ernst gemeinten Kondolenzschreiben sein, egal ob oder wie sehr stimmt, was du da rein interpretierst. Niemand kann zu 100% aus seiner Haut, vor allem nicht von jetzt auf gleich, das sollte dir klar sein. Daher kann (und sollte) mensch gerade in diesem Trauer/Kondolenz-Kontext auf derartige Diskussionen und Sticheleien verzichten, auch wenn dort für deinen Geschmack zuviel Selbstbezug drin ist.
Ich steh auf deine klaren Ansagen, CAPSI. Die machen mich so richtig scharf