Die einen befehlen "Du bist Deutschland", die anderen setzen auf Dialog. Die Initiative "I can't relax in Deutschland" lehnt den nationalen Stempel ab. Was als "Gegenposition zur momentanen deutschnationalen Selbstfindung" von Musikern gedacht war, erscheint jetzt in einem neuem Licht.
Köln (ola) - 1996 sorgten Tocotronic bei der Comet-Verleihung für einen Eklat, da die Band den Preis für "jung, deutsch und auf dem Weg nach oben" ablehnte. Acht Jahre später setzten sich Blumfeld öffentlicher Kritik aus, weil sie sich von der Nationalisierung ihrer Musik distanzierten. Im selben Jahr werden MIA bei einem Gratiskonzert mit Eiern und Tomaten beworfen - als Reaktion auf die bandeigene Neu-Interpretation der Farben Schwarz Rot Gold.
Anno 2005 und angesichts der wieder abgeflachten Diskussion um eine verordnete Quote für deutsche Musik im Radio scheint es an der Zeit, einmal über das Phänomen Nationalismus zu diskutieren. Während die Protagonisten von "Du bist Deutschland" eine millionenschwere Medienkampagne fahren, suchen die Initiatoren von "I can't relax in Deutschland" auch den direkten Kontakt. Schon am 29. August erschien ein Sampler samt 60-Seiten-Büchlein mit dem Acts wie Kettcar, Tocotronic, Kante, Die goldenen Zitronen, Die Sterne, Stella, Muff Potter und Bernadette La Hengst zeigen wollen, dass sie sich nicht vor den deutschen Karren spannen lassen, da ihnen jeglicher "positiver Deutschlandbezug" fehlt. Die Bands begreifen "Popkultur nicht als national gewachsenes oder zu konstruierendes Kulturgut".
Nun gehen die Kulturschaffenden mit einem nächsten Schritt direkt auf die Deutschen zu. In Berlin, Frankfurt/Main, Freiburg, Hamburg, Köln und München laden sie ein, um einerseits mit Konzerten bzw. DJ-Sets zu unterhalten, und andererseits in Podiumsdiskussionen ausführlich darzulegen, warum sie partout nicht relaxen wollen. Eine ihrer zentralen Fragen dazu: "Warum weicht ein eigentlich universalistischer Charakter von Popkultur gerade jetzt und hier patriotischen Vorzeichen, und warum ist Pop heute nicht mehr Subversionsmodell sondern Krisenbewältigungsstrategie?" Die Diskussionen, an denen auch einige der Musiker teilnehmen, können im Gegensatz zu den Konzerten kostenlos besucht werden.
Bisher stehen drei Termine mitsamt der Teilnehmer fest.
Volksbühne Berlin, 2. Oktober
Thema: Die historischen und gegenwärtigen Rolle von Kultur als Bindemittel der deutschen Nation. Teilnehmer: Tobias Rapp (taz), Kerstin Stakemeier (Kunsthistorikerin), Roger Behrens (Redaktion Testcard), Uli Rothfuss ( I can't relax in Deutschland).
Live: Kevin Blechdom With The Organ Lady, Spillsbury, Kante (Akustikset).
Aftershow-Party: Chicks On Speed DJ-Team, DJ Turner, Rentek.
KTS Freiburg, 7. Oktober
Thema: Deutsche Kulturbewahrer? – Warum die Nation im Pop fehl am Platz ist.
Teilnehmer: Martin Büsser (Intro/Konkret/Herausgeber Testcard), Elena Lange (Künstlerin und Musikerin bei Stella und TGV), Uli Rothfuss (I can't relax in Deutschland).
Live: Die Peters, TGV, Räuberhöhle.
Aftershow-Party: Go! Club, Rentek.
Mousonturm Frankfurt/Main, 8. Oktober
Thema: Pop und das Prinzip Kollektivstolz – Warum gerade jetzt und überhaupt ein Rollback auf die Nation?
Teilnehmer: Roger Behrens (Autor, Journalist, Herausgeber Testcard und Dozent an der Uni Weimar), Elena Lange (Stella/TGV), Daniel Knoll (Sinistra!), Uli Rothfuss (ICRID).
Live: Kettcar (Akustikset), TGV/Stella, Räuberhöhle.
Aftershow-Party: Club Van Cleef DJ-Set.
Die Teilnehmer der Daten für Hamburg, Köln und München werden demnächst auf der Website zu "I can't relax in Deutschland" bekannt gegeben.
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