"Es muss viel mehr gestritten werden", glaubt form "Eigentlich brauchen wir jeden Tag Millionen Menschen auf der Straße."
Berlin (laut) - "Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!"
So dichtete einst Bertold Brecht. Mit manchen Menschen kann man nicht nicht über Politik reden. David Häußer ist so jemand. Der "rappende Gutmensch" ist ein Dorn im Auge der Polizei, der Besorgten und Rechten, denn er bezieht Stellung. Er gründete das "FICKO Magazin – für gute Sachen und gegen schlechte", organisiert Partys, schreit laut nach humanerer Politik und dem Fallen geistiger Schranken. Wir sprachen über die Notwendigkeit von Protest, German Angst und das Gefühl, als hochsensibler Gutmensch in einer schlechten Welt zu leben.
In seiner Reihe Kunst und Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstler/innen über ungerade Lebenswege, Depressionen und Wege aus der Krise.
Laurens Dillmann: Ich will mit dir nicht über Politik, sondern über drei Grundsätze sprechen, die für mich Gesundheit ausmachen: ein klarer Verstand, ein offenes Herz und ein entspannter Körper. Kannst du diese Dinge bei dir wahrnehmen?
form: Gerade geht es mir gut und ich bin sehr zufrieden. Ich verdiene genug Geld. Meine dreijährige Suche nach einer Wohnung in Berlin ist endlich vorbei. Meine Basics sind geklärt. Wenn du den existenziellen Stress des Überlebens hast, ist es schwierig, diese Dinge zu erfahren, die du ansprichst. Dann willst du dich betäuben und dein Geist ist nicht mehr klar. Wenn du im Stress bist, bist du im Kampf. Da ist nicht viel mit Hinsetzen und Reflektieren. Was möchte ich eigentlich, wo will ich hin?
Lange ging es mir eher so: Ich möchte so viel, aber ich kann mir nicht mal 'ne externe Festplatte kaufen und verliere darum alle Fotos meiner verstorbenen Mutter. Weil ich aus schwäbischem Arbeitsethos und bürgerlicher Beschämungspropaganda vermieden habe, überhaupt einen Hartz4-Antrag zu stellen. Eines kommt zum andern, du hast kein Geld, daraus entstehen neue Probleme, und du verstrickst dich immer weiter. Das führt natürlich alles dazu, dass man auf gar keinen Fall entspannt ist. Es ist aber nicht nur Sozialisation. Ich war als Kind schon hektisch. Meine Mutter sagte immer: Doucement! – langsam auf Französisch. Nicht nur rasen, nimm dir Zeit.
Ich hatte vor zwei Jahren die Erkenntnis, in Bezug auf meine Kunst schon längst in einer Depression zu stecken. Für mich stand früher völlig außer Frage, dass ich depressiv sein könnte. Depression, das ist doch viel krasser. Da gehts dir richtig, richtig schlecht! Ich kenne Menschen, die Selbstmordversuche gemacht haben, und so weit ging es bei mir nie. Ich finde das Leben super und ich will mich nicht umbringen. Ich glaube, das mit dem offenen Herzen kriege ich noch am ehesten hin.
Ich habe eine Weile bei Buddhisten meditiert. Deren Lehre besagt ja, man solle seine Gedanken bloß beobachten und sich nicht mit ihnen identifizieren. Du wirkst sehr intelligent, kann einem das auch Probleme bereiten?
Ich hatte selbst mehrere Hörstürze. Aber ich denke nicht zu viel. Ich bin hochsensibel, zumindest treffen viele der Kriterien auf mich zu. Das bedeutet, dass ich Dinge stärker wahrnehme als andere. Dieses "Lass' es nicht an dich ran, leg' dir ein dickes Fell zu", das klappt bei mir nicht. Obwohl ich ein dickes Fell haben möchte! Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit Abgründen der Menschheit. Mittlerweile habe ich eine gewisse Routine, dass mich das nicht mehr komplett zerstört. Gleichzeitig kommt man dann automatisch einem gefährlichen Zynismus nahe.
Ich versuche, meinen Verstand sinnvoll zu nutzen. Zum Beispiel die Veranstaltung Späne Schwäne: Einmal im Monat kommen da alle zusammen unter dem Banner: Wir finden Hip Hop cool, aber wir haben einen höheren Anspruch daran, wie Hip Hop sich selbst präsentiert. Gestern haben wir über Graffiti und Männlichkeit gesprochen. Da wird kritisch diskutiert, da wird aber auch einfach Hip Hop gefeiert. Das ist aus dem Bedürfnis entstanden, Hip Hop-intern dafür zu sorgen, dass Hip Hop cool ist. Schön, angenehm, korrekt, sich Mühe gebend, nicht sexistisch. Ich kenne so viele Menschen aus dem Hip Hop-Bereich, die tolle Arbeit machen. Ich will, dass wir diese Energie bündeln, ihr eine Struktur geben.
Dann mache ich Musik und schreibe Texte, zum Beispiel gerade ein Buch. Gedichte, Miniaturen, Illustrationen. Das ist mein Weg, damit umzugehen. Ich bin so rastlos, dass ich nicht nichts machen kann. Mich regt auch vieles auf. Der Zustand der Welt ist vielerlei Hinsicht katastrophal, und wenn wir nichts unternehmen, wird es nur noch schlimmer. Ich habe keinen Bock, ständig darüber nachzudenken, wohin ich auswandere, wenn der Faschismus hier noch schlimmer wird. Irgendwann gibt es nichts mehr zum Auswandern. Da wo wir sind, müssen wir etwas tun. Und zwar so, dass wir nicht daran kaputt gehen. Wir müssen so lieb zueinander und zu uns selbst sein, dass es Spaß macht!
Auf mich wirkt politischer Aktivismus oft gestresst und nicht aus einer inneren Ruhe heraus.
Ich glaube, das Problem ist eher, dass Menschen angesichts der Dinge, die passieren, zu entspannt sind. Gerade heute kam die Nachricht, dass seit dem Jahr 2014 39 Waffen und Zehntausende Schuss Munition verschwunden sind. Gestern hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki Martina Renner (Die Linke) zur Ordnung gerufen und ihr mit 1.000 Euro Strafe gedroht, weil sie einen Antifa-Button auf ihrem Revers hatte. Politische Morde und Anschläge passieren. Es wird geschossen! Die deutsche Grabesruhe herrscht. Es ist Ausdruck eines ignoranten, privilegierten Wegschauens, jetzt zu chillen. Das ist der falsche Weg. Es braucht noch viel mehr Eskalation und Aufregung.
Greta Thunberg hat Recht, wir haben jeden Grund für Panik. Der fucking Amazonas brennt, die Antarktis schmilzt, die Permafrostböden in Sibirien und anderswo tauen. Eine Million Menschen ist gekommen und schon wird in Deutschland vom Bürgerkrieg schwadroniert und Millionen Menschen wählen eine faschistische Partei, die bürgerlichen Parteien machen protofaschistische Politik. Was ist dann erst los, wenn Hunderte Millionen Menschen fliehen müssen, weil sie dort wo sie jetzt sind, nicht mehr leben können!?
Für mich ist dieses Auf-die-Kacke-Hauen der einzige Weg, wie wir überleben werden. Wir müssen uns organisieren. Als Menschen zusammenkommen. Alle kämpfen einsam und alleine vor sich hin. Männern wird nicht beigebracht, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen. Sie verzweifeln daran und schließen sich irgendwelchen faschistischen Gruppen an, wo sie endlich Anerkennung erfahren. All ihre abgespaltenen Gefühle landet in irgendeinem Gewaltexzess, Blutbad, vermeintlichem Freiheitskampf. Das ist doch scheiße!
Ich verstehe dich, du bist nicht der einzige, der von meiner Art gestresst ist. Ich weiß, dass ich manchmal zu laut bin. Ich will gar nicht vermitteln, dass ich immer Recht habe, sondern warum ich sauer bin. Für mich ist es einfach eine gesündere Art, mit Verzweiflung umzugehen. Ich kann Leute nicht ernstnehmen, die nie ausrasten. Angesichts dessen, was täglich passiert. Mir macht Streiten auch Spaß, ich möchte mich streiten. Ich hasse diesen deutschen Konsens, wo jeder Streit sofort als Verrat am Frieden gilt.
Jeder soll die Schnauze halten, damit ja niemand ein schlechtes Gefühl bekommt. Es muss aber viel mehr gestritten werden! Eigentlich brauchen wir jeden Tag Millionen Menschen auf der Straße. Horst Seehofer ist immer noch Innenminister, wie kann das sein?! Die CDU redet darüber, nach Syrien abzuschieben. Das ist völlig wahnsinnig. Ich finde es besser, diese Wut rauszulassen, ich habe sie viel zu lange mit mir rumgetragen. Ich will nicht an sich unter Strom stehen. Aber wenn ich es tue, weil ich sehe, was passiert, muss das raus, sonst werde ich krank.
Für mich ist das auch Hip Hop-Attitüde, die ich in politischem Aktivismus nutze. Bei Hip Hop geht es ganz stark darum, sich selbst einen Namen zu geben. Du sagst: ICH. Im politischen Aktivismus ist das extrem verpönt. Du musst endlos rauszoomen, strukturelle Argumente, Statistiken und Theorien bemühen. Es wird total abstrakt. Wenn ich ICH sage, lege ich alles in die Waagschale. Ich bin genauso Teil der Welt, ich bin auch ein Mensch und ich möchte nicht, dass hunderte Millionen Menschen sterben beim Versuch, unser aller Überleben zu retten.
Dann gibt es auch noch all die unfassbar nervigen, bekloppten Grabenkämpfe in der Szene, die sich im weitesten Sinne als "links" versteht. Die Hundertprozentigen aus den jeweiligen Lagern machen zehn Prozent der Leute, aber siebzig Prozent der Wahrnehmung aus. Sie bekriegen sich aufs Messer, weil es offenbar keine größeren Probleme gibt als die andere politische Gruppe vor Ort, die bei der Interpretation des einen heiligen Buchs an drei Stellen an der vierten Nachkommastelle andere Tendenzen herausliest. Ich hatte von Anfang meines Aktivismus an große Probleme damit, wie da miteinander umgegangen wird und wollte deshalb nie "links" sein, sondern halt tun, was ich für nötig halte. Ist mir auch heute noch wichtiger als die dumme Frage, ob etwas oder jemand "links" ist. Zumal ich immer stärker der Meinung bin, dass das Beharren auf der Einteilung in links und rechts den falschen Leuten hilft bzw. die Selbstbezeichnung als "links" implizit auch schon der Extremismustheorie hilft. Weil natürlich schlichte Gemüter aller Art dann davon ausgehen, dass das alles ja dasselbe sei. Ja, ich weiß, das sagt die Querfront auch, aber ich meine es so, dass es mir wichtiger ist, die einzelnen Themen zu benennen und zum Beispiel zu sagen, dass etwas faschistoid klingt, nationalistisch oder auch rassistisch argumentiert ist als die äußerst schwammige Bestimmung meiner politischen Haltung als "links".
Es gibt Sexismus, Antisemitismus, Rassismus und sonstwas auch zuhauf in Kreisen, die sich "links" nennen. Wenn wir ehrlich sind, sind wir alle nicht frei von schlechten Prägungen und wachsen nun einmal in einer problematischen society auf. Es gibt völligen Wahnsinn in allen Szenen, sei er so offensichtlich wie bei der Bahamas, der Marxistisch-Leninistischen-Partei-Deutschlands oder BDS, oder auch subtiler wie bei dieser und jener Gruppe, die nun extra nicht genannt wird. Es ist mir aber zunehmend wichtiger geworden, nicht nach innen in die jeweiligen Szenen und ihre Neurosen hinein zu funken, sondern nach außen zu adressieren.
Nicht falsch verstehen, ich schätze sehr viele Menschen und Strukturen sehr, bei denen ich zu den verschiedensten Themen extrem viel gelernt habe und die sich eben spezialisiert haben. Aber diese Szenedynamiken reproduzieren sehr oft auch nur das kapitalistische Verhältnis von Konkurrenz, Ellenbogen, Niedermachen, Aggression, Beschämung, Faustkampf. Ist mir zu dumm. Ich versuche, mich um Wichtigeres zu kümmern, und deshalb bin ich lieber Gutmensch als zuallererst "links". Das bedeutet natürlich die Abschaffung des Kapitalismus und die Befreiung aller Menschen in der Gesellschaft der vielen, ohne Antisemitismus, Sexismus, Rassismus und all die Scheiße. Aber weil es hochgradig vernünftig ist und nicht, weil meine Szenesozialisation und der Gruppendruck von mir verlangt haben, dass ich mich so äußere.
Ich glaube, man sollte innere Arbeit wie zum Beispiel Therapie machen, damit man gelassen und mit Ruhe pazifistisch für seine politischen Ziele eintreten kann. Was soll das Kämpfen gegen das Kämpfen nutzen?
Ich glaube, du hast komplett Unrecht, was deinen Blick aufs Kämpfen angeht. Zum Beispiel Pegida: Die haben viel erreicht, indem sie Action und Terror gemacht haben. Die Medien knicken ein. Die FAZ und die WELT haben Gauland bei sich schreiben lassen. Nazis bekommen eine Plattform und das liegt nur daran, weil die richtig auf die Kacke hauen. Oder, auf der Gegenseite, die Französische Revolution, ein paar Jahre später die haitianische Revolution, wo die vorher versklavten Menschen sich gegen ihre Unterdrücker bewaffnet und befreit haben. Weil es dann eben diese Menschenrechte gab, die sie eingefordert haben! Fortschritte für die Menschheit gibt es nicht immer und ausschließlich ohne Gewalt. Solange die Verhältnisse gewalttätig sind, kommt man nur mit "Bitte, bitte!" und Arbeit an sich selbst nicht dagegen an. Wir müssen zusammenkommen, und deswegen braucht es sowas wie Fridays for Future. Diese Jugendlichen wissen, es geht um ihre Zukunft, während die Manager mit 400 Milliarden Jahresgehalt dann schon längst tot sind. Und die werden sich auch bald weiter radikalisieren.
Na, klar, man öffnet die Büchse der Pandora, wenn man zu Gewalt greift. Na, klar finde ich Gewalt nicht geil, aber genau deswegen muss ich mich schützen. Was tun, gegen die Bedrohung durch Nazis? Die töten! NSU, das Netzwerk, ist weiter am Start, Combat 18, Stefan Ernst, der Walter Lübcke getötet hat, der war auch letztes Jahr in Chemnitz dabei. Die Leute sind mobilisiert, die haben Waffen. Die klauen die bei der Bundeswehr und sonstwo. Auf die Polizei und den Verfassungsschutz kann ich mich nicht verlassen, wenn da alles voller Nazis ist.
Ich traue dem Staat nicht, dass er mich schützt, also muss ich mich im Zweifel selbst schützen können. Wie mache ich das, wenn Menschen mich töten wollen? Das geht nicht nur, indem man zu innerer Ruhe findet. Ich habe auch einen Überlebenswillen. Ich finde Leben total toll, sonst würde ich es nicht schützen wollen. Aber gerade weil ich immer dachte, der Klügere gibt nach, habe ich viel zu viel mit mir machen lassen. Das hat mich bis in die Depression rutschen lassen. Ich freue mich für die, die etwas für die Welt tun und dabei mit sich im Einklang bleiben. Ich kann das nicht. Es brennt in mir. Und, ja, ich bin paradox. Ich bin sehr empfindlich und gleichzeitig sehr laut. Oh, mein Gott, Menschen sind widersprüchlich.
Vor zwei Jahren hatte ich ein Aha-Erlebnis. Ich habe eine Gewaltpotenzialerfahrung gemacht. Jemand hat mich aus einem Auto krass beleidigt, und ich habe es mir eben nicht mehr gefallen lassen. Es war für mich total wichtig, weil ich sowas früher nie gemacht habe. Jaja, der Klügere gibt nach, ärgere dich doch nicht. Doch, ich ärgere mich, und dieses Arschloch wird immer so weiter machen, wenn ich ihm nicht zeige, dass er mich damit verletzt! Seitdem geht es mir besser. Weil ich besser auf mich aufpasse.
Gerade depressive Menschen finden oft nie einen Kanal, über den sie ihre Aggressionen leben können.
Das ist voll das Männlichkeitsding. Nicht gelernt zu haben, Gefühle zu kanalisieren und auszuleben. Ich versuche, einen Weg zu finden, der anderen nicht schadet. Aber wenn jemand mir schadet oder auf mich, alle anderen und die Umwelt scheißt, dann gibts halt ein Feedback. Ein bisschen Rücksicht nehmen wäre toll. Man kann sehr wohl Menschen für das was sie tun, zur Verantwortung ziehen. Aber nicht für das, was sie sind. Homosexualität ist keine Wahl. Aber wie du dich zum Beispiel gegenüber älteren Menschen am Bahnsteig verhältst, darauf hat man Einfluss.
Seit ich Wege suche und finde, meine Aggressionen auszuleben, wird mein Leben paradoxerweise viel friedlicher. Ich erlebe mehr Harmonie in meinen Beziehungen.
Es freut mich, das von dir zu hören. Ich bin sicher, dass das so ein unfassbar wichtiger Punkt ist in der Gesamtscheiße. Als meine Schwester elf war, hat sie begonnen, mit ihren Freundinnen zu telefonieren. Die haben über alles geredet, stundenlang. Das machen Männer einfach nicht. Ich glaube, das ist auch etwas, das Männern von Frauen lernen können. Auch wenn man glaubt, keinen Zugang zu Gefühlen zu haben, sie sind da! Sie sind nur verschlossen und vergraben und wüten dann in einem. Man findet keine Sprache und keinen Bezug zu sich selbst. Weil du cool sein musst. Weil du als Typ keine Miene zu verziehen hast. Da müssen wir auf allen Ebenen raus!
Wut kann auch ein Start sein. Sie kann den Zugang zu Gefühlen freisprengen. Gerade durchs Nein-Sagen habe ich Selbstbewusstsein aufgebaut. Meine Freundin ist mir auch eine große Hilfe. Ich werde dann nicht nicht mehr gemocht. Das war so lange meine Angst. Eben, weil ich mich nicht ernst genommen habe. Dann kann man anderen Menschen zuvorkommend und freundlich gegenüber sein, aber nicht sich selbst.
Tiefes Atmen in den Bauch entspannt uns, aber gestresste Menschen atmen meist flach und nur in die Brust. Warum sind viele Menschen so körperfeindlich?
Es ist total wichtig, sich mit seinem Körper zu befassen. Darüber zu lernen, zu uns selbst gut zu sein und uns selbst gut zu tun. Mein Gefühl sagt, der Mangel daran hat in Deutschland auch etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun. Weil der Körper dort so faschistisch überhöht und danach jede Auseinandersetzung darüber abgewehrt wurde. Der Körper muss gestählt werden, siehe Kollegah. Der soldatische Alpha-Mann. Und das ist wiederum die strukturelle Botschaft des Kapitalismus. Es geht darum, zu gewinnen. Stelle ein Erfolgserlebnis dar. Konkurrenz in allen Belangen. Arbeitsplatz, Wohnraum, Geld, Aufmerksamkeit, mittlerweile auch die Liebe. Bis du es selbst glaubst. Bis du selbst denkst: "Ich bin nicht gut genug. Ich bin zu dick, zu dünn, zu depressiv, müsste mehr lächeln." Man muss immer wachsen, noch besser sein als beim letzten Mal. In unseren Leben wirkt sich das als extremer Stress aus. Und die ganze Welt macht mit. Bis wir ein schlechtes Gewissen haben, weil wir so gestresst sind und uns darüber noch mehr Stress machen.
Was hältst du vom Yoga-Grüne-Smoothies-Fleischlose-Burgerpatties-Achtsamkeits-Trend? Was gibt dir Hoffnung für eine bessere Zukunft?
Mir gibt es Hoffnung, selbst etwas zu tun. Na, klar wir brauchen einen klaren Geist, offene Herzen und Entspannung. Aber Hoffnung ist ganz oft das Abgeben von Verantwortung. Hoffnung ist das Ende der Nachrichtensendung bei RTL, ein menschlicher Beitrag zum Schmunzeln. Und dann bleibt alles so scheiße, wie es ist. Wirkliche Hoffnung kann es erst geben, wenn wir mit radikaler Akzeptanz die abgefuckte Realität anerkennen und benennen. Ansonsten wird es unvorstellbare Konsequenzen haben, wenn wir nicht ganz schnell ungefähr alles ändern. Wenn wir damit mal anfangen, gibt es einen Grund für Hoffnung. Wir sind soziale Wesen und wir müssen zusammenarbeiten. Menschen werden krank, wenn sie nicht mehr berührt werden. Lieb sein, überschwänglich herzlich sein, das können wir alles machen. Der Trend von dem du sprichst, ist natürlich auch längst kapitalisiert, aber da gibt es etwas, das nicht komplett vereinnahmt werden kann.
Ich fange jetzt auch mit Yoga an, weil ich Rückenschmerzen habe. Ich mache es aber nicht, um meinen Körper noch besser verkaufen zu können, sondern weil es mir dann besser gehen wird. Mein Körper ist kein Investitionsobjekt, das ein Preisschild bekommt. Ich bin ja mein Körper, das bin ja ICH. Das war eine wichtige Erkenntnis für mich. Wenn du kein gutes Verhältnis zu deinem Körper hast, wie willst du dann Selbstbewusstsein entwickeln? Bei Frauen kriege ich das permanent mit. Immer bekommen sie beigebracht, sie müssen auf ihre "Problemzonen" achten. Die klassische Frauenzeitschrift sagt: Du bist scheiße, so wie du bist. Kauf das und das und mache diese Sextechnik, damit dein Mann besser mit dir klarkommt. Was zur Hölle! Was wir als Menschen erreichen könnten, wenn es normal wäre, dass man sich liebt! Wenn Zufriedenheit normal wäre und man nicht immer denken müsste, man wäre nicht genug. What the Fuck?!
In seiner Reihe Kunst & Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstlern und Künstlerinnen über ungerade Lebenswege, Depressionen und Wege aus der Krise. Er bietet Waldbaden auf Spendenbasis an. Kommt mit ihm in den Wald!
1 Kommentar mit einer Antwort
Guter Dude, gute Gedanken, aber rappen sollte er bleiben lassen.
Kann mich auch echt nie so genau entscheiden ob ich ihm auf die Schulter klopfen oder auf die Fresse hauen will.