Schon halb totgesagt, erlebt das Musikvideo jetzt ein Revival - im Web: MTV startet seinen Online-Videodienst "Overdrive", Tim Renners Motor möchte bald Clip-TV machen und Video-Portale wie Youtube sind ohnehin der letzte Schrei.
Berlin (rai) - "Internet kills the Videostar" lautete noch bis vor kurzem der Tenor der Feuilleton-Abgesänge auf den klassichen Musikvideoclip. Musikfernsehen habe sich überholt, das Internet biete viel direktere Zugänge zu interessanter Musik, das teure Promotion-Instrument Video sei nicht mehr nötig und würde aussterben. Doch nun erleben die kleinen Filmchen ihren zweiten Frühling - nicht trotz sondern dank des Internets.
Der ehemalige Musikfernsehsender MTV startet heute die deutsche Version seines Breitband-Portals "Overdrive". Unter mtvoverdrive.de kann der geneigte DSL-User ausgewählte Shows wie "Pimp My Ride" und "MTV News" abrufen, Konzertaufzeichnungen und Interviews sehen und nicht zuletzt auch Musikvideos. Noch ist das Angebot recht übersichtlich, doch wer einen Blick auf das US-Vorbild wirft (www.mtv.com/overdrive), erkennt wo die Reise hingeht: Massig Musikclips, on demand und vor allem: kostenlos.
Der Dienst soll sich ausschließlich über Werbung finanzieren, kostenpflichtige Abo-Modelle seien nicht vorgesehen, verspricht Joel Berger, Director Marketing & New Business bei MTV, in der FAZ. Das Projekt diene außerdem der Imagekorrektur: "In den vergangenen Jahren ist viel über MTV als Klingeltonsender geschrieben worden. Aus dieser Ecke wollen wir wieder raus. Eine gängige Beschwerde ist, daß MTV zu wenig Musik und nur noch Datingshows zeige. Mit Overdrive hat jeder die Möglichkeit, den Musikanteil wieder zu steigern."
MTV reagiert damit auch auf die zunehmende Konkurrenz im Internet. Erst Anfang der Woche hatte Ex-Universal-Boss Tim Renner angekündigt, im Herbst einen eigenen Online-Clipkanal starten zu wollen. Motor-TV soll, ähnlich wie das Berliner Radiosender Motor FM ein eher alternatives Musikprogramm senden. In Underground-Kreisen schon seit längerem sehr beliebt ist der bereits 2004 von Studenten der FH Furtwangen ins Leben gerufene Online-Musikfernsehsender tunespoon.tv.
Auch die großen Internetfirmen wollen am Video-Boom teilhaben. So bietet etwa Yahoo ein umfangreiches Musikvideo-Angebot, wenn auch überwiegend aus dem Bereich des Mainstream-Dudelpops. Musikvideowünsche so ziemlich jeder Art erfüllt dagegen das Video-Portal YouTube. Dort findet sich auch der exotischste Clip - man muss nur wissen, wonach man sucht. Allerdings könnte die Musikvideo-Herrlichkeit dort bald vorbei sein, denn rechtmäßig lizenziert sind die von den Usern selbst hochgestellten Clips auf YouTube in der Regel nicht.
Dennoch sieht die Zukunft des Musikvideoclips, auch dank Digitaltechnik und damit immer günstiger werdender Produktionskosten, wieder rosig aus. Keiner killt hier Niemand. Friedliche Koexistenz, Baby!
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