Ein Konzert ohne Handygewackel: Heute Abend tritt der Australier für 18 Euro im Netz auf. Fans werden begeistert sein.
London (giu) - Schwierige Zeiten erfordern kreative Lösungen. Vor allem vonseiten der Kreativen, deren Auftritte, Aufträge und Termine sich seit März von heute auf Morgen in Luft aufgelöst haben. Internet und soziale Medien boten ihnen die Möglichkeit, nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Musiker*Innen luden alte Auftritte hoch, spielten Benefiz-Konzerte und betätigten sich von daheim. Zu den schönsten Momenten gehören Igor Levits abendliche Wohnzimmer-Konzerte, Jeff Tweedys Instagram-Interpretationen im Familienkreis oder Neil Youngs Breitseite auf Donald Trump mit dem lieblichen Titel "Porch Episode".
Alles mehr oder weniger improvisiert und mit mehr oder weniger einfachen Mitteln inszeniert. Heute Abend versucht sich Nick Cave an einem anderen Ansatz: Er lädt zu einem Konzert. Mit Einlass um 20 und Beginn um 21 Uhr. Dafür hat er die riesige Halle des Alexandra Palace in London gemietet. Ohne Publikum, natürlich. Ein Aufwand, den er sich bezahlen lässt, wobei 18 Euro einen angemessenen Preis darstellen. Das "Ticket" ist der Zugang zum Stream, der nicht unterbrochen oder aufgenommen werden darf. Er soll anschließend auch nicht aufgezeichnet erscheinen, ein einmaliges Event, das bereits im Juni stattgefunden hat.
Cave selbst sieht "Idiot Prayer", benannt nach einem Stück aus seinem Album "The Boatman's Call" von 1997, als Abschluss seiner Film-Trilogie, die 2014 mit "20.000 Days On Earth" begann und 2016 mit "One More Time With Feeling" eine Fortsetzung fand.
Die Grundlage bildete die Auftrittsreihe "Conversations With Nick Cave", mit der er 2019 solo auf Tour ging. Dort erklärte er seine Songs und interpretierte sie neu, oder besser: dekonstruierte sie. Er habe vorgehabt, sie aufzunehmen, während des Lockdowns sei ihm aber die Idee gekommen, sich dabei zu filmen, so Cave.
"Umgeben von Covid-Offiziellen mit Maßbändern und Thermometern, maskierten Beleuchtern und Kameraleuten, nervös dreinblickenden Technikern und Eimern voller Handgel, schufen wir gemeinsam etwas sehr Seltsames und sehr Schönes, das auf diesen unsicheren Moment erwidert, sich ihm aber in keiner Weise beugt", erklärt er.
Im Trailer schreitet Cave durch das Gebäude und trägt den Text zu "Spinning Song" aus seinem aktuellen Album "Ghosteen" (2019) vor. Schließlich spielt er am Klavier die ersten Noten von "Idiot Prayer" und trifft die Stimmung des Konzerts ganz gut: Nachdenklich, aber nicht gebrochen.
In 90 Minuten spielt er sich durch sein Repertoire von fünf Jahrzehnten und bietet die eine oder andere Überraschung. Mit sechs Auszügen bildet "The Boatman's Call" das Hauptgerüst des Auftritts. In zwei Stücken aus Grinderman-Zeiten erinnert Cave an Randy Newman, auch sonst bevorzugt er eher weniger bekannte Stücke. "The Mercy Seat" darf natürlich nicht fehlen (diesmal ist der zum Tode Verurteilte unschuldig), von der Intensität her sind die Höhepunkte jedoch "Papa Won't Leave You Henry" und "Higgs Boson Blues". Zwischendrin präsentiert er das neue Stück "Euthanasia", in dem der alttestamentarische Dornbusch vorkommt, der schon in Johnny Cashs "The Man Comes Around" sein Unwesen trieb.
Handygewackel gibt es hier keines. Kameramann Robbie Ryan wählte verschiedene Perspektiven und spielt mit dem Licht, das in "The Ship Song" durch blutrote Hände Akzente setzt und ganz am Schluss einen Ausweg aus der düsteren Lage bietet. Nick Cave selbst tritt Cash-mäßig komplett in schwarz auf. Seine Haare sind mit soviel Gel in Position gehalten, dass sie an Darth Vaders Helm erinnern. Sinister bleibt Cave also nach wie vor - und passt hervorragend in den gespenstischen Saal aus dem 19. Jahrhundert. Fans den Australiers sollten dieses Konzert nicht verpassen!
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