Kann Spuren von Metal enthalten: Linkin Park, Electric Callboy, Slipknot, Wanda, Iggy Pop, Rise Against, SDP, Awolnation u.v.a.
Nickelsdorf (laut) - "Oifach eini tuschn", scherzt unser Sitznachbar im Shuttle gen Festivalgelände mit dem Fahrer, als dieser nicht aus seiner Parklücke herauskommt. Spätestens jetzt ist nach langer Anreise klar: Wir sind angekommen in der Heimat von Schnitzel, Spritzer und viel Humor – herzlich willkommen in Österreich!
Genauer: in Nickelsdorf, einem kleinen Örtchen südöstlich von Wien, nahe der ungarischen Grenze. Leicht außerhalb auf den Pannonia Fields ist seit 2005 das Nova Rock Festival beheimatet. Über die Jahre hat hier von Metallica bis Rammstein alles gespielt, was in Rock und Metal Rang und Namen hat.
Der Auftakt am Mittwoch
Einmal angekommen, ist das Zelt schnell aufgebaut, und das erste Dosenbier noch schneller geköpft. An den extremen Staub, der sich als roter Faden durch die Festivalzeit ziehen wird, gewöhnt man sich schnell. Die Sonne brutzelt, die Stimmung ist ausgelassen, wir sind bereit für körperlichen Ausnahmezustand und laute Musik, die direkt in die Nervenbahnen hämmert.
Also direkt aufs Gelände, wo Dead Poet Society den ersten Festivaltag um halb fünf eröffnen. Ein klasse Auftaktset auf der Blue Stage – der Hauptbühne – nur leider viel zu kurz. Aber halb so wild, es warten noch genügend Highlights. The Warning etwa, die wenig später spielen. Die drei Schwestern Daniela, Paulina und Alejandra aus Monterrey, Mexiko punkten mit Temperament und rauem Sound.
Die fröhliche Schwaben
Dass The Ghost Inside am selben Abend auf der Bühne stehen, ist bei weitem nicht selbstverständlich: "Not long ago we thought this was over forever", erinnert Sänger Jonathan Vigil an den schlimmen Busunfall, der die Metalcore-Formation aus Kalifornien 2015 schwer traf. Zehn Jahre später stehen sie auf der Nova-Bühne und nutzen ihre "Second chance" für einen bocksoliden Auftritt.
Etwas fröhlicher wird es danach bei Itchy auf der sehr viel kleineren Red Bull-Stage nebenan. Die drei Schwaben bekommen von uns schon alleine aus Lokalpatriotismus eine Chance, und sie enttäuschen nicht: Von sympathischem Punkrock bis hin zu einem crowdsurfenden Brautpaar vermisst man nichts.
Vereint im Gedenken an die Opfer von Graz
Um 23:30 Uhr wird Musik dann für einen Moment zur Nebensache: Vor der Mainstage versammelt sich das Nova Rock, um gemeinsam den Opfern des schrecklichen Amoklaufs in Graz wenige Tage zuvor zu gedenken. Manche Stimmen hatten im Voraus gar eine Absage des Festivals gefordert, die Schweigeminute setzt zumindest ein starkes Zeichen des gemeinsamen Trauerns.
Den Abschluss machen am Mittwoch Korn, die ersten 15 Minuten der Headliner am Mittwoch überzeugen allerdings so wenig, dass wir schnell zurück zur schnuckeligen Red Bull-Stage flüchten, wo Boston Manor aus Blackpool Songs über "Shitty people" performen und für richtig Stimmung sorgen – inklusive der Aufforderung "Shake your fucking booties". Gerne, gesagt, getan.
Schlafen? Fehlanzeige!
Mit den lyrisch anspruchsvollen Team Scheisse-Lyrics "Ich bin ein f*cking Schmetterling, flatter flatter flapp flapp" werden wir am nächsten Tag um sieben Uhr morgens in voller Lautstärke aus dem Schlaf gerissen. Kein Ding, ich wollte eh nicht schlafen ... Festival eben, hilft ja alles nichts, erst mal Dosenravioli und dann rascfh zurück aufs Gelände.
Als erstes wollen wir Nothing More sehen, deren Gitarrist dermaßen Vollgas gibt, dass sein Kopf zwischenzeitlich erdbeerrot anläuft. Da ist mächtig Power drin. Gilt auch für Poppy, die junge Amerikanerin performt im Elizabeth Swann-Gedächtnis-Outfit eine unberechenbare, aber doch taugliche Mischung aus seichtem Pop und harten Screams.
Fit wie ein Turnschuh: Iggy Pop
Mit einer der 'softesten' Acts im Line-Up des Nova Rock 2025 dürften auf dem Papier Awolnation sein. Umso ironischer, dass ich ausgerechnet bei seinem Auftritt ganz unverhofft selbst auf die erste Crowdsurfing-Reise geschickt werde: Auf die Massen, die hier allgemein Konzert für Konzert wie am Fließband über die Köpfe des Publikums nach vorne transportiert werden, ist die Security gut vorbereitet. Ich werde sanft aufgefangen und kann zurück in die Crowd.
Zum Glück, denn so erlebe ich kurz darauf einen echten Rockstar: Iggy Pop. Dem mittlerweile 78-Jährigen merkt man die Spuren des natürlichen Alterungsprozesses und seiner langen Karriere zweifelsohne an. Stimmlich und performancetechnisch präsentiert er sich trotzdem fit wie ein Turnschuh, seine Nand liefert ebenfalls ab.
Bring Me The Horizon kommen 2026
Bei Rise Against wird es gewohnt politisch, die Publikumslieblinge um Frontmann Tim McIlrath thematisieren Mutter Erde, ihre Heimat Amerika und Donald Trump, ihren "Worst leader ever". Die Message am Schluss: Trotz all der Scheiße, die tagtäglich passiert, verbindet uns die Musik und schenkt uns Hoffnung. Amen.
Passend dazu verkündet Festival-Intendant Ewald Tatar nach dem Auftritt kurz und knapp: auch 2026 wird es wieder ein Nova Rock geben und auf jeden Fall mit dabei sind – Trommelwirbel – Bring Me The Horizon und The Offspring. Die Nachricht sorgt natürlich für "Ewald"-Sprechchöre vor der Blue Stage, wo sich mittlerweile riesige Menschenmassen versammeln.
Höhepunkt Linkin Park – lauwarm oder Feuerwerk?
Und dann ist endlich angerichtet für die Band der Stunde, auf die wohl viele, wenn nicht die meisten Besucher:innen sehnsüchtig gewartet haben. Linkin Park betreten in neuer Besetzung mit Emily Armstrong an der Spitze die Bühne. Eineinhalb Stunden später hagelt es von vielen Seiten Kritik: zu leise, zu passiv, zu emotionslos, zu wenig Druck, zu wenig das Linkin Park von früher, rumort es auf Instagram und in der Presse.
Aber es ist nun mal nicht das Linkin Park von damals, und ja, es hätte lauter und an manchen Stellen auch energischer sein dürfen, aber insgesamt legt die US-Band sehr wohl eine tolle Show hin – auch Armstrong, die seit ihrem Einstieg als Nachfolgerin des verstorbenen Chester Bennington zu viel Hass und Hetze abbekommt. Insgesamt nicht der grandioseste Auftritt Linkin Parks, aber ganz sicher einer, der Träume erfüllt hat.
Bungee-Jumping oder Moshpit?
Am Freitag wollen wir endlich mal zur dritten Bühne, der Red Stage, und treffen dort um halb zwei auf Sawyer Hill an. Eine dieser tollen Festival-Entdeckungen, über die man zufällig stolpert und hängenbleibt. Unbedingt reinhören, der Junge hat eine superspannende Baritonstimme. Dann folgt in die Mittagshitze zweimal Spaßmusik. The Attic albern viel rum, und Baby Lasagna, bekannt vom ESC 2024, der gar nicht mal so schlecht performt.
Zeit, das Gelände intensiver abzuchecken, und das hat einiges zu bieten. Wem Musik und ein Dixiklo nicht reichen, findet hier neben Merchandise-Ständen und den obligatorischen Fress- und Saufmeilen zusätzlich eine Rollerdisko, Karussell, Horror-Gruselzelt, Riesenrad, Bungeejumping, Tauziehen, Riesenmemory, Riesen-Bierpong und zahlreiche kleine Afterparty-Bühnen der Werbepartner. Zwischen Festivalgelände und Campingplatz stehen jede Menge weitere Shops und ein kleiner Pop-Up Billa Supermarkt.
Hardrock means Australia
Für die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse und viel Spaßprogramm ist in Nickelsdorf also gesorgt. Nur Schattenplätze sind – wie bei eigentlich jedem Festival – knapp, was bei völliger Abwesenheit von Wolken vier Tage lang hart werden kann. Regelmäßig mit Sonnencreme einkleistern, und mittags eher beim Zelt zu bleiben, hilft Und zieht es erst wieder gegen 18 Uhr aufs Gelände. Dafür aber direkt für ein Highlight.
AC/DC ... äh, nein, sorry ... Airbourne! Die Ähnlichkeit der ebenfalls aus Australien stammenden Hardrock-Gruppe bleibt verblüffend und auch optisch gibt es kaum einen Zweifel an den Vorbildern der Formation rund um die Gebrüder O'Keefe. Zackige E-Gitarren, lange, lockige Zottel-Mähnen, viel Headbangen, Geschrei und Übersteuerung – rund um brandheißer Rock'n'Roll und ein Auftritt, der mächtig Bock auf mehr macht.
Slipknot: eher friedlich
Etwas friedlicher geht es nebenan bei Irie Revoltés zu, die schön sommerlich klingen und gute Messages verbreiten, allen voran natürlich das klare Statement gegen Rechts zu "Fäuste Hoch". Nur der peinliche Fauxpas, als sie zwischendurch ihr Mitgefühl "für die Opfer des Amoklaufs in Linz" ausdrücken ... Autsch. Schieben wir es einfach mal auf die herunterknallende Sonne.
Auf Lorna Shore muss verzichten, wer Biffy Clyro sehen will, was sich im Nachhinein als eher mittelgute Idee entpuppt. Der Auftritt der Alternativerocker aus Schottland überzeugt nur phasenweise. Erstaunlich gesittet geht es dann bei Slipknot zu, da hatte man von Rock am Ring, Rock im Park und Co. ja ganz andere Dinge gehört. Die Qualität des Auftritts können wohl nur echte Fans fair bewerten, für mich wars nix.
P steht in SDP steht für Promille-Pop
Während Powerwolf den letzten Slot des Abends auf der Mainstage besetzen, schauen wir uns der Abwechslung zuliebe SDP an. Die Berliner bespielen gefühlt wieder jedes Festival in Deutschland und haben nun offenbar auch Österreich befallen. Jeglicher Anspruch fehlt natürlich, aber mit Tream ist immerhin ein prominenter Featuregast mit auf der Bühne. Und klar, einen zuverlässig munterlustigen Mitgröl-Auftritt legen Vince und Dag mit ihrem Promille-Pop natürlich hin. Im Anschluss lässt sich von Afterparty zu Afterparty ziehen, um sich das Trommelfell mit Techno-Beats zuzudröhnen.
Frühschoppen, Freibier und eine Verlobung
Vor vier Uhr darf am Freitag nun mal keiner ins Bett, für viel Schlaf ist danach aber auch keine Zeit – schließlich wartet am Samstag pünktlich um halb Zwölf der Frühshoppen bei Wendi's Böhmische Blasmusik. Es wird Freibier von der Bühne verteilt, es wird geschunkelt, getanzt, fleißig polonaisiert und gar ein Heiratsantrag eines Fans auf der Stage gibt es zu sehen. Eine Mordsgaudi am Vormittag.
Trotzdem fallen danach einige Bands der Erschöpfung zum Opfer zum Opfer, coole Acts wie Landmvrks, The Butcher Sisters oder Me First And The Gimme Gimmes verpassen wir leider. Auch Journalisten können nicht immer performen und brauchen mal Pause, um mit den Zeltnachbar:nnen einen Plausch zu halten. Die haben uns in der Sonne ohne Schirm entdeckt und laden uns direkt auf ein kaltes Bier im Schatten ein. Da spielt es keine Rolle, dass alle 20 bis 30 Jahre älter sind als wir – auf dem Nova Rock hält man zusammen - egal welche Generation, egal welcher Musikgeschmack, egal ob im Moshpit oder auf dem Zeltplatz.
"Nieder mit dem Bartmann!"
Die kleine Pause hat auf jeden Fall sein Gutes, unw wir erleben eine Demonstration der besonders schrägen Sortebeim vor Haupteingang mit. Hintergrund: Ein mysteriöser Mann mit Bart hat offenbar auf einem fremden Campingstuhl sein Geschäft verrichtet - die Empörung holt schnell das gesamte Nova Rock ein. Ein 'wütender' Mob zieht mit Sprechchören wie "Nieder mit dem Bartmann!" übers Gelände und fordert auf bildgewaltigen Schildern: "Stühle haben auch Gefühle", "Chair lives matter", "Kein Stuhl auf meinem Stuhl" oder "Die Würde des Stuhls ist unankackbar". Prompt entwickelt sich eine Gegendemo mit Parolen wie "My shit my choice" oder "Stuhlscheißen ist ein Menschenrecht" und es kommt zum – natürlich völlig friedlichen – Showdown der beiden Parteien. Derlei, liebe Freund:innen, erlebt man wahrlich nur auf Festivals.
Alligatoah glaubt an den lieben Schrott
Aber genug von den Nebenschauplätzen: Mehnersmoos stehen am Nachmittag an. Bei denen ist schon um 15 Uhr "3 Uhr Nachts" und der hirnverbrannte Hip Hop aus Frankfurt in Kombination mit einem geilen Auftritt hilft, um wieder auf Betriebstemepartur zu kommen.
Wenig spektakulär bleiben danach die Idles, und auch Alligatoah reißt nicht wirklich mit. In gewohnt schräger und humorvoller Manier inszeniert er seine Show und zertrümmert auf der Bühne einen Computer mit den Worten "Manche glauben an Apple, manche an Microsoft, ich glaube nur an den lieben Schrott". Doch zu verkrampf wirkt der Versuch, seinen neuen Stil inklusive Screamen durchzuboxen und die vorherigen 14 Jahre seiner Karriere selbst ironisch als "langweilig" abzustempeln.
Lieber ein Bussi oder zu Callboy?
Richtig Spaß machen dann Wanda, die mit Hits wie "Bussi Baby" oder "Bologna" rauen, österreichischen Indierck und ganz viel Amore bieten. Das finale Spotlight gehört aber Electric Callboy, die einen Mix aus etwas zu überzogenen Witzeleien, Coversongs und dem eigenen Schlager-Metalcore mitbringen. Die Menge fühlt es, nicht verkehrt, aber ob das ein würdiger letzter Abschluss für das Festival ist? Ich weiß ja nicht ... Mit einem Feuerwerk und überteuerten Kässpätzle geht für uns der Abend danach zu Ende.
Die Abreise am Sonntag sorgt dann bei vielen für mächtig Unmut, es bilden sich teils kilometerlange Staus noch auf dem Gelände, bei denen mehrere Stunden überhaupt nichts vorangeht – da ist man am Ende froh, mit dem Bus angereist zu sein statt mit dem Auto.
Danke Nova Rock 2025!
Dennoch darf man dem Nova Rock Festival eine gelungene Organisation und ein stimmiges Konzept attestieren. Typische Kritikpunkte wie die Sauberkeit der sanitären Anlagen, Probleme mit dem Cashless-Bezahlsystem oder fehlende Trinkwasserspender hat man auf anderen Festivals schon sehr viel schlimmer erlebt.
Bleibt nur zu sagen: Danke für ein paar geile Tage mit musikalischen Höhepunkten und erweitertem Horizont, einem kleinen aber feinen Sonnenbrand und der Erkenntnis: Wenns mal wieder hakt im Leben – "Oifach eini tuschn".
Text und Fotos: Jakob Hertl und Annabelle Krause.
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