laut.de-Kritik
Der Ex-Beatle wagt sich auf die große Ballett-Bühne.
Review von Erich RenzDer Vollblutmusiker verlässt sich nicht unbedingt auf Skalen und Stufen. Er mag es, mit seinem halbnaiven Heranpirschen den eigenen Erfahrungsschatz zu erweitern und wird daher gerne Autodidakt genannt. Nie konnte er auch nur eine einzige Note lesen, dafür trägt er den Gefühl des Blues umso stärker in sich.
Paul McCartney ist einer von jenen Alleskönnern, die sich immer davor hüteten, die eigene Kreativität auf den akademischen Grad der Musik zu reduzieren. Bis heute trägt er diesen Leitsatz dick auf, konfrontiert man ihn mit seiner Gabe und Genialität: Selbststudium ja, Verklausulierung nein.
Jetzt schreibt der Ex-Beatle ein Ballett und wagt sich auf die große Bühne des Tschaikowsky und Strawinsky. Natürlich muss Macca niemandem mehr Rechenschaft ablegen. So entsprangen seit dem "Liverpool Oratorio" von 1991 eine Hand voll klassischer Werke seiner Feder. Ob demnächst mit seiner Haus- und Hofkapelle beim Wüstenspektakel in Abu-Dhabi oder im Abendprogramm des New York City Ballet, es ist ein fortwährender Versuch des Sturkopfs vergangener Tage, in allen Belangen sattelfest zu sein.
Ohne "little help from his friends" ist jedoch auch jemand wie McCartney verloren in den unendlichen Weiten von Arrangement und Orchestrierung. Also ließ er sich von John Wilson und Andrew Cottee für "Ocean's Kingdom" unter die Arme greifen, was das London Classical Orchestra auf der Aufnahme nachweislich vertonte.
Das Libretto ist dem Gutmenschen Paul auf den Leib geschrieben: Der Ozean wird von den Erdbewohnern bedroht. Bis zu diesem Zeitpunkt lebt dort friedlich und behütet Prinzessin Horata bei ihrem Vater, König Ocean. Die unangekündigten Eindringlinge werden vom skrupellosen König Terra angeführt, der neben seiner Entourage auch seinen charmanten Bruder Prinz Stone im Schlepptau hat. Bedenkt man McCartneys Optimismus ist das Ende vorhersehbar: Horata und Stone verlieben sich und nach Verrat, Gefangenschaft und Tod gilt auch ihre heile Wiederkehr ins "Ocean Kingdom" als geglückt.
Während des 1. Satzes ("Ocean's Kingdom") spürt man das Spiel mit den Tongeschlechtern, ein Hin- und Herwandern vom sanften Dur zum bedrohlichen Moll. Im 2. Satz ("Hall Of Dance") decken Dissonanzen die Dramatik und Angst auf. Sogar eine Referenz zu "She's Leaving Home" von "Sgt. Pepper's" ist den Themen des 1. und 3. Satzes zu entnehmen.
Der 3. Satz ("Imprisonment") erweist sich als langsam und ausdrucksvoll, ehe der 4. Satz ("Moonlight") euphorisch, aber nicht triumphal (!) endet. Kein großes Zinnober mit pathetischem Abschluss, die Zusammenkunft der Liebenden wird zärtlich von den Überbleibseln des Orchesterapparates abgesegnet.
Schon bei den Beatles begann die Grenze zwischen Hoch- und Subkultur zu bröckeln. Paul McCartney selbst tat mit seinen Kompositionen in der sogenannten "E-Musik" sein Übriges, um auch als ernster Komponist wahrgenommen zu werden. Dabei müsste er gar nicht nachhelfen, um in den elitären Komponistenkreis aufzurücken. Er zählt auch ohne Ballett, Oratorium und dem Concerto dazu.
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