laut.de-Kritik
Essentielles CD-Paket der Berufsfatalisten.
Review von Michael SchuhA Forest. Just Like Heaven. Lullaby. Drei Songs, erschienen zwischen 1980 und 1990 und stellvertretend für ein Jahrzehnt, dass so maßgeblich von The Cure geprägt wurde, wie die 70er Jahre von, sagen wir, Led Zeppelin. Allein die Begriffe "Forest", "Heaven" und "Lullaby" verweisen schon auf die schwer assoziative Kraft von Cure-Songs, die der Band gemeinsam mit der melancholischen Sound-Ausrichtung über die Jahre eine erbarmungslos devote Fangemeinde einbrachte.
Und dann war da ja noch das beinahe sakrosankte Anbetungsobjekt in Gestalt des wohl größten Lamentierers der 80er Jahre: Robert Smith. Interviews schienen dem Berufsfatalisten nur dazu nütze, um sämtliche Äußerungen aus früheren Interviews zu revidieren. Ankündigungen vom heran nahenden Split seiner Combo oder Spekulationen über ein Soloalbum mutierten zum running gag.
Die bekannteste aller Smith-Anekdoten dürfte allerdings seine Altersphobie aus jenen Tagen sein, hielt er doch vor allem das Erreichen des 30. Lebensjahres als im höchsten Maße verabscheuenswert. Dieses Jahr wird "Fat Bob" 45 Jahre alt, und mittlerweile ist er in seinen alten Spitznamen auch so richtig reingewachsen.
Von der Existenz seiner Band zeugen derweil seit langem nur Festival-Auftritte. So warten wir auf das von Smith im LAUT-Interview vor zwei Jahren versprochene, angeblich "heavy rock" infizierte, neue Cure-Album noch heute. Nun, im Alter dauern ja bekanntlich alle Bewegungsabläufe etwas länger, schließlich ist auch das geplante Cure-Allstars-Konzert zum 25-jährigen Bandjubiläum im letzten Jahr gescheitert.
So darf "Join The Dots" vor allem als Indiz dafür gewertet werden, dass Smith an seinem Lebenswerk noch immer Gefallen findet. Nachdem bereits das von der Plattenfirma geforderte "Greatest Hits"-Album 2001 mit einer schmucken Akustik-CD als Beilage in den Handel kam, begeistert vorliegende 4-CD-Box als luxuriöses und definitives Band-Paket, ja, als musikalisches Heiligtum.
Hochformatig mit über 70 Seiten-Booklet, einer Band-Retrospektive, massig Fotos und eben sämtlichen B-Seiten, die die Band jemals veröffentlicht hat. Hinzu gesellen sich ein paar reizende Remixes sowie Versionen, die Robert erstmals aus seiner persönlichen Gruft zaubert. Muss ich mehr sagen? Meinetwegen.
Robert Smith stammt ja aus einer Generation, für die eine Single-B-Seite noch keinem Müllabladeplatz verworrener Studio-Experimente gleichkam. "Das erste, was ich nach dem Kauf einer Single machte, war das Anhören der B-Seite. Ich hoffte immer, dadurch eine neue Seite meines Lieblingskünstlers zu entdecken, die trotzdem die Qualität der A-Seite hat", so Smith im Booklet.
Nichts anderes verlangte er von seiner eigenen Band, die sich um 1977 aus dem britischen Post Punk-Umfeld empor spielte. Ja, auch der Boxenstarter "10.15 Saturday Night" war eine B-Seite, man glaubt es nicht, ebenso wie das noch sehr rauhe "Plastic Passion" oder das wahrhaft elektrifizierende "I'm Cold". Hendrix war hier tatsächlich nicht weit, und mit dem Vorzeige-Cover "Purple Haze" setzte ihm The Cure später ein würdiges Denkmal.
Tatsächlich verfrachtete Smith einige Songs auf seine B-Seiten, für die andere Bands literweise Blut spenden würden. Das herrlich trübe "Lament" zum Beispiel, das auch in der raren, weitaus schrägeren Flexipop-Version verzeichnet ist, "The Upstairs Room" von 1983, oder der die ohnehin lahme A-Seite "The Caterpillar" aus dem Stand überragende New Wave-Pop von "Throw Your Foot".
Einem sweeten "Lovecats"-Rip Off lauschen wir bei dessen B-Seite "Speak My Language". Außer der qualitativ wackligen Pop-Phase in den Frühachtzigern zeugen düstere Nummern wie die "Primary"-B-Seite "Descent", das Klassiker-Instrumental "Another Journey By Train" oder das Hallgerät-infizierte "New Day" von der Cure'schen Wandlungsfähigkeit der frühen Tage.
Auf Box Numero Zwo biegen wir mit dem Psychedelic Rocker "A Japanese Dream" ohne Vorwarnung in die 'fascination street' der Briten ein. Wir befinden uns im Jahre 1987, genauer gesagt auf der Rückseite von "Why Can't I Be You". Ein Monsterhit. Smith, Gallup, Thompson, Williams und Tolhurst heißen die Bandmitglieder der Stunde, und mit dem "Kiss Me"-Album füllen The Cure plötzlich ganze Stadien in Amerika.
"Sugar Girl", "Snow In Summer" und "Breathe" nennt Smith die schwer elegischen Keyboard-Hymnen seiner Gothic-Truppe und belegt eindrücklich deren stetig anwachsendes Mainstream-Potenzial. "To The Sky", bislang nur auf Bootlegs zu haben, und ein abgespeckter Remix von "Just Like Heaven" runden die Scheibe ab.
Die dritte CD feiert die "Wish"-Phase ab, die so herrliche B-Seiten hervor brachte wie "This Twilight Garden" oder "The Big Hand", aber auch Unspektakuläres wie "A Foolish Arrangement". Ganz heiß ist dagegen die unveröffentlichte 12"-Version von "Doing The Unstuck". Pünktlich zum "Wild Mood Swings"-Release 1996 beginnt dann eine eher uninspirierte Cure-Phase, von der "It Used To Be Me" oder "Adonais" überdeutlich Zeugnis ablegen.
Nicht so recht zünden will auch das jazzige Bowie-Cover "Young Americans" und der "X-Files"-Soundtrackbeitrag "More Than This", wohingegen die The Crow-Nummer "Burn" im wahrsten Sinne des Wortes bis heute brennt. Um das Jahr 2000 fand Chefdenker Smith langsam wieder zu alter Form zurück und entdeckte die Elektronik. So klingt das Depeche Mode-Cover "World In My Eyes" fast synthetischer als das Original, und mit "Coming Up" gibts noch einen "Bloodflowers"-Track, der (zu Recht) nur in Japan und Australien mit aufs Album gelangte.
Aber das sind nur kleine Schwächen, die der stilvolle Paul Oakenfold-Mix von "Out Of This World" und besonders der mit Breakbeats und sägenden Gitarren rockende "A Forest"-Remix von Mark Plati und Ex-Bowie-Gitarrist Earl Slick im Alleingang vergessen machen. Das Fazit kann deshalb nur lauten: Ein in Inhalt und Form absolut notwendiges Teil einer einzigartigen Band, die ihre Geschichte mit Hilfe von Produzent Ross Robinson hoffentlich noch weiter schreibt.
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