laut.de-Kritik
They like shit, they go out sometimes.
Review von Kay SchierDie merkwürdige Zukunft ist jetzt. Der Blick aus dem Fenster genügt, um sich zu vergewissern. Ein erwachsener Mensch fährt auf einem Segway vorbei, in Gegenrichtung latscht einer gegen einen Laternenpfahl, weil er zu beschäftigt damit ist, in den smarten Inhalt seiner Handfläche zu glotzen, um auf die Welt zu achten. Das Wolfsrudel hat sich derweil in alle Winde verstreut. Dat Boy Tyler scheint sich selbst gefunden zu haben, während Earl, einer der besten MCs seiner Generation, weiterhin in seiner Depression untertaucht. Frank Ocean färbt sich unterdessen die Haare blond.
Syd, mittlerweile kein Kid mehr, ist zusammen mit den anderen Ex-Welpen Matt Martians und Steve Lacy The Internet, unterstützt durch Patrick Paige II am Bass und Christopher Smith an den Drums. Während Odd Future mit ihrer Mischung aus Katzen und Gewaltphantasien auch schon ziemlich Internet waren, konzentriert sich die Band seit jeher auf den flauschigen Teil: Soul, Funk, R'n'B und Liebe bilden abermals das Fundament.
Die erste Single "Roll (Burbank Funk)" begeistert mit einem Basslauf direkt von Gott und ungewohntem Uptempo und löst den Anspruch ein, den die Gruppe im Vorfeld äußerte: Weniger Slow Jams, mehr Hits. "La Di Da" ist so ein weiter Tempoausreißer nach vorn und stolpert, mit ungewöhnlich betonten Drums, sonnentrunken voran. Steve Lacys Wah-Wah-Gitarre schraubt den Deckel vom Hydranten und lässt Funk auf die Straße regnen, dass man meint, nasswarmen Asphalt an einem Sommernachmittag zu riechen.
Auf Albumlänge dominiert aber trotzdem der langsame Soul. Was soll's, The Internet versacken eben lieber im Schlafzimmer. Da stehen auch noch die ganzen alten Parliament- und Prince-Platten der Eltern rum, die Syd und ihre Mannen sicherlich sorgsam studiert haben. Anders als zum Beispiel Childish Gambino mit seinem gelungenen Funkadelic-Coveralbum bedienen sich The Internet zwar an Genres der Vergangenheit, allerdings um ihre Identität auszuschmücken anstatt sich eine komplette Persona herbeizusamplen. Die bereits erwähnten reduzierten, dennoch ausgecheckten Drums machen den Unterschied. Christopher Smith verschleiert immer wieder auf elegante Weise, dass er auch nur mit Wasser kocht, beziehungsweise 4/4 spielt. Da latscht die Snare klatschend auf der 3 und der 4 das "Bravo" und klingt dabei auch noch wie zwei gegeneinander gekloppte Mülleimerdeckel. Clever, sich die Vorteile digitaler Soundmanipulation derart für seinen analogen Sound zu Nutze zu machen.
Syds verträumt vor sich hin schmelzender Gesang hingegen kommt ohne Hilfsmittel aus dem Computer aus, wie auch ihre Texte auf Effekthascherei und weitestgehend auf Variation verzichten. Es geht erfreulich unprätentiös um Liebe, Sex, romantische Gefühle, Zuneigung, Verbundenheit, Partnerschaft, zwischenmenschliche, nichtplatonische Beziehungen, verknallt, verguckt, verschossen sein, und um Liebe und Sex. R'n'B eben, nicht in seiner Koks-und-Selbsthass-Ausprägung, eher wie "Willst du mit mir gehen"-Briefe mit Kästchen zum Ankreuzen, aus dem von Verlangen verdrehten Kopf einer lesbischen Mittzwanzigerin.
Man sollte sich unbedingt das Video zu "Come Over" ansehen, um ein Gefühl für die warme, jugendliche Energie dieser Gruppe zu bekommen. Syd führt hier zum ersten Mal selbst Regie und ist klar inspiriert von Tyler The Creators visuellem Stil, seinem Tim Burton-Suburbia-Universum, aber ohne die schrillen Farbkontraste und das Lasersperma.
Analog dazu sind The Internet eine Familie, wie schon Odd Future eine war, nur eben eine, die einen gemütlichen Fernsehabend mit ihren Dates über die Bühne bringt, ohne dass jemand das Gefühl hat, sich in einen koksenden Zentauren verwandeln zu müssen. Und das ist, wie dieses Album, nicht immer hochspannend oder dramatisch, aber schön. Wie ein Freitagabend vor dem Fernseher mit Leuten, die man liebt.
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