laut.de-Kritik
Musikalische Ehegelübde.
Review von Karina SadkovZwanzig Jahre Songwriting, unzählige Kilometer auf der Straße und die großen Fragen des Lebens im Gepäck: Mit ihrem fünften Studioalbum "Automatic" kehren The Lumineers nach über drei Jahren zurück und präsentieren ihr bislang direktestes und persönlichstes Album. Wesley Schultz und Jeremiah Fraites, das kreative Duo, sind mittlerweile Väter und kombinieren ihre jahrelange musikalische Erfahrung mit einer frischen Perspektive auf das Leben.
Dabei setzen sie sich mit den Widersprüchen der modernen Welt auseinander: Realitätsverlust, Sinnesbetäubung und der schmale Grat zwischen Überforderung und Leere. Doch typisch The Lumineers: Die düsteren Themen umhüllen mitreißende Melodien, hymnische Refrains und eine ganz eigene Mischung aus Melancholie und Euphorie.
Von Peter Jacksons Beatles-Doku "Get Back" inspiriert, machten sich The Lumineers zusammen mit den Koproduzenten David Baron und Simone Felice an die Arbeit. Mit mehreren Setups setzten sie auf Spontaneität und eine organische Performance. Der Anspruch: die Songs direkt und mit minimaler Verzögerung einzufangen, um die rohe Energie der Band als Einheit zu transportieren. Zum ersten Mal treten The Lumineers als Co-Produzenten auf, während Felice und Baron die vertrauten Rollen als Engineers und Mixer übernehmen. In nur 21 Tagen aufgenommen, reflektiert das Ergebnis einen intensiven Moment.
Mit "Same Old Song" wagen The Lumineers einen Schritt in Richtung Indie-Pop, weg vom klassischen Americana. Der Song beginnt mit treibenden Drums, die sofort eine dynamische, schnelle Melodie entfalten. Der Pre-Refrain baut sich melodisch auf und steigert die Intensität, bis der Refrain mit kräftigen, höheren Vocals von Schultz aufbricht. Der Song thematisiert Verletzlichkeit und die Suche nach echter Verbindung, die nur über die Musik spürbar ist. Am Ende bringt die Musik die Hörer:innen zurück in den Moment und wird zum Anker im Leben. Aus dem negativen Gedanken des "Same Old Song" entwickelt sich eine positive Wendung, die zahlreiche Erlebnisse prägen.
Auch lyrisch zeigen sich The Lumineers von ihrer besten Seite und setzen ihr Feingefühl für narratives Erzählen fort. Mit metaphorischen Zeilen wie "I'm laying on bathroom tile spilling all my guts below the throne" machen sie die innere Zerrissenheit greifbar: ein Song über das Abwerfen von Masken und die Konfrontation mit sich selbst.
Sieben Jahre lang interessierte sich kaum jemand für The Lumineers, und genau das war ihr Glück. Der Druck der Außenwelt blieb aus, sie konnten sich fernab von fremden Erwartungen und Label-Vorgaben auf ihre eigene Musik konzentrieren. Rückblickend war das frühe Scheitern ihr größter Gewinn. "Plasticine" spielt mit dieser Idee. Der Song greift das Bild von Knete auf: formbar, anpassbar, mal weich, mal fest, beeinflusst von äußeren Kräften. "I can bend me into everything you need" bringt es auf den Punkt: Die Welt formt einen, ob man will oder nicht.
Der Track fängt den inneren Konflikt zwischen künstlerischer Unabhängigkeit und den drängenden Anforderungen der Musikindustrie ein. "Plasticine" entfaltet sich mit einer Vielzahl an Instrumenten und Harmonien, bleibt dabei jedoch in seiner Grundessenz roh und unverfälscht. Die Mischung aus komplexer Vielschichtigkeit und purer Intimität macht den Song zu einem Highlight des Albums.
Seit zwei Jahrzehnten machen die beiden Lumineers gemeinsam Musik, teilen unzählige Erfahrungen und wachsen dabei immer enger zusammen. Schultz beschreibt ihre einzigartige Verbindung als musikalische Ehe und widmet "You're All I Got" seinem Bandkollegen Fraites. Der Song entstand aus einer simplen Sprachnachricht: Man glaubt, niemanden zu brauchen, doch am Ende gibt es diese eine unersetzliche Person.
Diese Verbundenheit durchzieht auch den Text. Zeilen wie "Twenty years and no one gives a damn" spiegeln die frühen, erfolglosen Jahre wider, während das flehende "You're all I got" den emotionalen Kern trifft. Musikalisch bleibt der Track reduziert: sanfte Akustikgitarre, ein sich öffnender Refrain und eine introspektive Stimmung. Die Sisyphus-Referenz im Outro verleiht dem Ganzen eine bittersüße Note: Manche Lasten trägt man nicht allein.
"Automatic" markiert eine frische Weiterentwicklung im Sound, bleibt dabei aber unmissverständlich The Lumineers. Die starke Verbundenheit zwischen den beiden Bandmitgliedern und ihre leidenschaftliche Hingabe zur Musik ziehen sich durch das gesamte Album und verleihen ihm eine spürbare Authentizität.
1 Kommentar mit einer Antwort
Ich mach mal einen auf Jeude Facebook: Das neue Album “Automatic“ von The Lumineers ist ein gutes Album!
...häh? wo denn? wann? wem????