laut.de-Kritik
Die Kronjuwelen der Anti-Monarchisten.
Review von Michael SchuhEs ist davon auszugehen, dass Morrissey im Studio 1987 bereits ahnte, dass die miese Stimmung in seiner Band zu größeren Problemen führen könnte. Die ausdifferenzierte Smiths-Geschichtsschreibung stützt sich seit 2016 verstärkt auf Johnny Marrs Beichte "Set The Boy Free", in der der Gitarrist bestürzt darlegt, wie sich mitten in den Aufnahmen zum letzten Smiths-Album "Strangeways Here We Come" die Gemütsverfassung der besten Indie-Band Großbritanniens schlagartig änderte.
Diese Ausgangslage würde den selbst für seine Verhältnisse galligen Text zu "Paint A Vulgar Picture" erklären, Morrisseys eiskalte Medienkritik, die zahlreiche kommerzielle Praktiken von Plattenfirmen an den Pranger stellt, etwa die Veröffentlichung von Boxsets: "Re-issue, Re-package, Re-package / Re-evaluate the songs / Double-pack with a photograph / extra track and a tacky badge."
Dies war zwar vor allem auf den Umgang der Industrie mit verstorbenen Pop-Ikonen gemünzt, doch kurz darauf waren auch The Smiths tot, und wo kein neuer Wein mehr produziert wird, fließt bekanntlich der alte durch neue Schläuche. Im Falle von "The Queen Is Dead", dem Smiths-Meisterwerk von 1986, hat der edle Tropfen auch dank den Kellermeistern Stephen Street und John Porter eine Frische konserviert, die die zehn Tracks wohl auf alle Zeiten fern von jeglichen Alterungsprozessen hält.
Morrisseys Text sollte seinerzeit jedem die Hoffnung austreiben, dass sich kapital- und marktgetriebene Unternehmen wie Plattenlabels jemals ganz der Kunst widmen und jegliches Profitstreben ad acta legen würden. Aber müssen sich Kunst und Kommerz denn immer ausschließen? 31 Jahre nach der Erstveröffentlichung - und damit genau genommen ein Jahr zu spät - reiht sich Warner ein in die Riege vulgärer Bildermaler und veröffentlicht das Boxset "The Queen Is Dead (2017 Remaster)", der obigen Textvorlage beeindruckend souverän Folge leistend "in different sleeves", in verschiedenen Formaten ("buy both, and feel deceived") und natürlich hoffend auf hohe Chartsnotierungen ("Climber, new entry, re-entry"). The story is old, I know, and it goes on. Wobei: Ist es Zufall, dass auf Morrisseys neuem Studioalbum ein Junge ein Schild mit der Aufschrift "Axe The Monarchy" trägt? Oder ein subtiler Kommentar zu diesem Release?
Wie dem auch sei, ein Narr, wer sich angesichts der zeitlosen Musik dieser Band nun über ein Re-Packaging aufregt. Die Frage ist eher: Wie wurde es umgesetzt? Warner setzte auf ein Remastering des Albums, was erstaunt, da dies gerade vor sechs Jahren vom Chef persönlich (Marr) umgesetzt wurde. In seinem Buch spricht er darüber hinaus von wochenlanger Detailarbeit, die er 2011 auf sich nahm, um die schlimmen Remaster-CD-Versionen aus den 90er Jahren vergessen zu machen, die ohne seine und Morrisseys Einwilligung veröffentlicht wurden.
Der Klang der vorliegenden kann sich sehen lassen. Die federnden Bassläufe von Andy Rourke und die schimmernden Gitarrenläufe Marrs, die den Signature-Sound der Gruppe prägen, fließen geradezu kristallklar aus den Boxen. Besonders klar tritt dies in "Frankly, Mr. Shankly", "Cemetry Gates" und natürlich in den Hits "The Boy With The Thorn In His Side" und "There Is A Light That Never Goes Out" zutage. Doch wer kauft sich ein Boxset wegen eines guten Remasters, zumal dies, wie gesagt, schon seit 2011 vorliegt?
Nun kommen wir zur Kehrseite der Medaille: Für die Bonussektion hätte man sich doch etwas mehr Detailversessenheit gewünscht. Mir geht es nicht um unbekannte Archivsongs. Jeder Smiths-Fan weiß, dass die Band so gut wie jeden Track zu Lebzeiten veröffentlicht hat. Man hätte dies kaum besser verbildlichen können, als mit den längst bekannten B-Seiten "Rubber Ring", "Asleep", "Money Changes Everything" und "Unloveable", die alle unter "Additional Recordings" laufen. Der einzige Mehrwert für Fans sind neun Demos der zehn Albumtracks ("Vicar In A Tutu" fehlt). Die belegen vor allem, wie fit die Band schon klang, ohne dass es um finale Aufnahmen geht.
Fehlender Proberaumcharakter ist den Demos aber auch nicht komplett abzusprechen, etwa wenn Joyce zu Beginn von "Bigmouth Strikes Again" einfach stur auf jedem Schlag die Bassdrum durchtritt. Oder die in Fankreisen bereits bekannte Demoversion von "Never Had No One Ever", in der Trompeten zum Einsatz kommen, sowie ominöses Gelächter mitten im Song, als befinde man sich in einer bekifften Kommune. Und wie klingt wohl der einzige hier aufgeführte First Take von "There Is A Light That Never Goes Out"? Beängstigend nah am bekannten Original.
Aber genau um diese subjektiven Einschätzungen geht es letztendlich, wenn man sich ein Boxset eines längst bekannten Albums zulegt. Was man als Fan weniger schätzt, sind hinlänglich bekannte Features. Wie den damaligen 15 Minuten-Film der Gay Cinema-Ikone Derek Jarman, eine Art Video für die drei Songs "The Queen Is Dead", "There Is A Light That Never Goes Out" und "Panic". Was also könnte man noch in die Box packen? Ein Live-Konzert? Bingo!
Dass nicht der legendäre, von Marr stets gepriesene Uni-Gig in Salford 1986 zum Zuge kommt, muss an fehlenden Aufzeichnungen liegen. Stattdessen kommt der Auftritt aus Boston vom 5. August 1986 zum Zuge, was natürlich deutlich besser klingt als "Live In Mansfield", einer Kleinstadt bei Boston, wo die Show tatsächlich stattgefunden hat. Alles verzeihlich, aber dann nur 13 von insgesamt 19 gespielten Songs zu veröffentlichen, ist schon ein wenig lieblos. Ob "Still Ill", "Frankly, Mr. Shankly", "Panic", "Money Changes Everything", "Heaven Knows I'm Miserable Now" und "Bigmouth Strikes Again" einfach dem fehlenden Platz zum Opfer fielen oder schlicht damals nicht mitgeschnitten wurden, will man kaum glauben (ein kompletter Live-Mitschnitt in schlechterer Qualität existiert).
Der Sound ist recht ordentlich (mit "Rank" vergleichbar) und zeigt die Band während ihrer erfolgreichsten US-Tour. Dafür, dass es sich um den ersten Amerika-Gig nach einigen Kanada-Konzerten handelt, spricht Morrissey relativ wenig mit dem Publikum, bis auf das übliche "Thank you, you're very kind". Nach dem damals neuen Song "Is It Really So Strange?" nimmt er die Fans scherzhaft hoch: "Don't pretend you didn't like it!"
Ein ausführliches Booklet von Pet Shop Boys-Ausmaßen ist bei einer heillos zerstrittenen Band wie den Smiths vielleicht etwas viel verlangt, aber mehr als ein dünnes Heftchen mit den Texten hätte man sich bei einer visuell so starken Formation schon gewünscht. Nun aber Schluss mit dem Wunschkonzert. Wir sprechen schließlich von einem der besten Alben der 80er Jahre, angefangen vom Agit-Pop-Klassiker "The Queen Is Dead", das Rourke einmal "unseren I Am The Walrus-Metal-Jam" nannte, bis zur genialen Johnny Marr-Fingerübung "Some Girls Are Bigger Than Others", die man ausgerechnet nur den Deutschen 1986 als Single andrehte.
Man kann nur hoffen, dass die Gerüchte stimmen, denen zufolge Johnny Marr im Sommer 2017 eine Zeit lang in den Abbey Road Studios weilte, um den Remastering-Prozess der anderen Smiths-Studioalben beizuwohnen. Besonders das Debütalbum würde man gerne einmal in aufgefrischtem Soundgewand genießen. Und wer weiß? Vielleicht überraschen uns die Label-Verantwortlichen bzw. Herr Marr doch noch mit dem ein oder anderen Archiv-Juwel.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Erfüllt halt gerade so die Checkliste einer "Deluxe Edition": Das Album, ein paar Demos, B-Seiten & alternative Takes und noch die obligatorischen Live-Aufnahmen. Gibt allerdings zahlreiche Reissues, die deutlich mehr im Gepäck haben.
Das knappe Booklet ist auch schade, schließlich kann man zu "The Queen Is Dead" eine Menge schreiben. Da man die Smiths wahrscheinlich nicht mehr zusammen in ein Zimmer kriegt, sind logischerweise auch keine Interviews etc. drin. Käufer der LP-Variante müssen zudem anscheinend auf die Film-DVD verzichten. Bei 80 € happig.
Das Album gehört in die Sammlung, aber diese Ausgabe ist - quasi vegan - weder Fisch noch Fleisch. Immerhin keine Mastering-Fehler.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Oh, give us your money.
Klingen die CDs aus den 90ern (WEA) wirklich so scheiße?
Immerhin die Version der Aben mit denen ich die Smiths kennen und schätzen gelernt habe...
Auf dr.loudness-war.info schneiden die alten CDs jedenfalls besser ab als die Remasters von 2011 und 17. Am besten kommt eine CD-Pressung von 1986 (Sire/Rough Trade) weg.
Also ich hab die CD von 2011 und klingt für mich gut, aber hab jetzt keinen Vergleich.
Strangewayse gefällt mir besser, aber ich bin eh nicht so ein Fan dieser Mädchenband
Live waren die unfassbar gut! :-*