laut.de-Kritik
Ambient Footwork mit Meerblick.
Review von Yannik GölzZu ihrem ersten Album "Feminista" sagte Tomu DJ, dass sie zwar ihr Herz und ihre Seele in Westküsten-Clubkultur sehe, und man merkt ihr auch an, wie formativ das Footwork-Vermächtnis von DJ Rashad für sie war. Aber trotzdem interessiere es sie auch, wie einfach man mit ein paar Reglern einen normalen Synthesizer so verzerren kann, dass er wie sperrige, nebelige Shoegaze-Gitarren klingt. Die Produzentin, deren Karriere gleichzeitig mit einer Pandemie und einer Nahtoderfahrung zu Beginn der Pandemie begonnen hat, findet mit "Half Moon Bay" endgültig ihre Stimme. Das Album strotzt vor ansteckender DIY-Tanzbarkeit, glänzt aber vor allem mit bezaubernden Ambient-Texturen.
Schon der Titel bringt ins Assoziieren: Die gleitenden, gleichmäßigen Synth-Melodien haben tatsächlich etwas von einer Landschafsaufnahme. Man stelle sich dieses Album als eine Kamera vor, die auf dem Hügel einer Bucht installiert wurde, wind- und wetterfest, und Tomu DJ kredenzt nun die Zeitraffer-Aufnahme, Koyaanisqatsi-Style.
Eine der klangmäßig umwerfendsten Passagen eröffnet die Platte. Bild auf, Sonnenaufgang, der Synthesizer kommt mit einem kleinen Störgeräusch daher, der der ohnehin schönen, matten Klangfarbe Kontrast und Tiefe verleiht. Der dominierende Synth sind Sonnenstrahlen, das Störgeräusch das Glitzern in den Wellen. Dann Auflockerung, Tagesanbruch, Leben an der Bucht setzt ein, der Footwork-inspirierte House-Beat könnte eine parallele Landstraße sein, der rumpelnde Bass wuselige Zivilisation. Aber der Fokus des Bildes bleibt auf dem Wasser.
"Optimistic" hat eine Slice-of-Life-Qualität, man denkt an Songs wie "Waking Up Down" von Yaeji, die ebenfalls melodische Sperrigkeit in wunderschönen Synth-Tönen einsetzt, um emotionale Uneindeutigkeit hervorzurufen. Das Leben lebt eben vor sich hin, die Drums gerade im letzten Drittel werden intensiver; man denke an Zeitraffer-Aufnahmen, wenn man sich auf eine Straße oder ein Neonbanner konzentriert, die kleinen Bewegungen zerfließen zu einem Stroboskop. Fade-Out. "Lost Feeling" ist der sommerlichste Track. Die Drums klingen nach Afrobeat, die Synthesizer klingen selten geschäftiger als hier, die Klangfarbe ist warm, es sind nicht viele Menschen draußen. Es ist Nachmittag und heiß.
"Spring Of Life" und "Sunsets" bringen das Gewusel zurück, aber melancholischer. Besonders letzterer passt vom Titel ja sowieso gut in unsere imaginäre Dramaturgie, ein letztes Aufblenden der Sonne über dem Wasser, die Synthesizer sind Wind, der landeinwärts weht, dann leuchten die Menschenlichter auf. Eine Voice-Mail spielt sich ab. Das sind die starken Momente auf "Half Moon Bay"; das Album, das mit so explosiven Electronica-Elementen spielt, klingt so ruhig und meditativ, als würde es vollkommen in sich ruhen.
Den emotionalen Tiefpunkt des Albums markiert sein experimenteller Hochpunkt "Full Moon" – auch hier wieder ein Tracktitel, der in unser Gedankenexperiment passt. Hier tauchen Dissonanzen auf, wieder ist es ein monoton brummendes Störgeräusch, das zu so etwas wie dem melodischen Anker wird, indem es den verschlungenen Synthesizern ein Gegengewicht gibt. "Full Moon" ist auch der langsamste Song des Albums, schwermütig und nokturnal, bevor nach Mitternacht noch einmal Kids an den Strand strömen, mit Boxen und Breakbeats im Gepäck. "Bumpville" schließt das Projekt mit dem rumpelndsten Getrommel ab, das aber doch die mystische Stimmung von Ort und Klang nicht ganz aufbrechen kann.
Es ist etwas Magisches daran, wie einheitlich und aus einem Guss die Synthesizer-Arbeit auf diesem Album aufgeht. Nicht nur, weil Tomu DJ ein unglaubliches Ohr für Klangtextur und Klangfarbe besitzt, sondern weil sie auch die Liebe zum Detail mitbringt, diese Klangideen zum genau richtigen Grad zu subvertieren und zu unterwandern. Dabei entsteht eine goldene Mitte aus Footworkigem House und Ambient, die sich zu einer Klangkulisse mit extrem viel Charakter zusammensetzt. Ob man meine Zeitraffer-Kamera über einem Tag an der Bucht so teilen möchte oder nicht, ob man es als Portrait eines Ortes, einer Stimmung oder einer Person hören will, man kann es doch schwer leugnen: Diese Musik macht das Träumen einfach.
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