laut.de-Kritik

Schade um die Beats.

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Es dürfte sich inzwischen ja herumgesprochen haben, dass Travis Scott Style over Substance ist. Daran ist ja auch nichts verkehrt, wenn er weiter der Kleber für coole, gigantomanische Trap-Opern wie "Rodeo" oder "Astroworld" ist. Trotzdem fühlt es sich seit "Jackboys" und "Utopia" zunehmend so an, dass trotz aller großen Worte und Synthie-Songübergängen der Kleber dünner wird. Je mehr Löwen und Greifen er sich auf die Fahnen malt, desto schwerer wird langfristig zu ignorieren, wie wenig er sagt. Da hilft auch das glitzer-glitzerigste Mike Dean-Solo irgendwann nicht mehr. Trotzdem hätte nichts darauf vorbereiten können, wie immens dieser neue "Jackboys"-Sampler Travis Scott-Sound zum Abgewöhnen ist.

Wir bekommen eine wahllos kuratierte Playlist an durchwachsenen, mehr oder weniger jetzt schon aus der Zeit gefallenen Autocroonern und dazwischen ein paar sehr halbgare Versuche, diesen Autoplay von einem Album wie ein kohärentes Album aussehen zu lassen. Das fängt schon mit diesem Intro an, in dem Bun B ankündigt, das Projekt würde DJ Screw und Houston hochleben lassen. Das landet irgendwo zwischen Irreführung und Etikettenschwindel. Ja, Travis und Toliver sind aus Houston, aber die einzig übrig gebliebenen Label-Leute, die feilgeboten werden, sind Sheck Wes aus New York, Wallie The Sensei aus LA und Sofaygo aus Atlanta.

Atlanta ist auch der Ort, aus dem die meisten Features stammen und nach dem die Beats klingen. Zu besonderem komödiantischen Effekt führt das, wenn nach Buns Houston-Plädoyer erstmal Waka Flocka Flame in die Audio springt, um den Bricksquad zu proklamieren. Ein paar Tracks später tut 21 Savage Ähnliches, die Beats klingen währenddessen so vage und Playlist-tauglich nach den Südstaaten, wie man es sich eben vorstellt. Wir erinnern uns: Die definitiven Houston-Artists Waka Flocka und 21 Savage.

Man muss trotzdem sagen: Es sind Travis-Tracks. Wenn irgendwas, sind die schon gut produziert. Irgendeine snappy Idee oder irgendein cool-atmosphärischer Synthesizer ist auf jedem Track vorhanden. Aber Performances wie auf "Antidote" oder "Drugs You Should Try It" kriegen wir nicht. Niemand erwartet thematische Bars, aber der Mann hat doch schon energisch gerappt - und selbst für die wirklich trippy Soundwände reicht es kaum noch. Tracks wie "Kick Out" oder "Dumbo" verschwenden solide Produktion an einen gelangweilten Millionär, der absolut unwillens scheint, jenseits einer ersten Skizze an seinen Vocals zu arbeiten. Wenn er dann gleich zum Einstieg des Albums Pusha T disst, fragt man sich, auf welcher inhaltlichen Basis man die beiden überhaupt gegeneinander antreten lassen könnte. Im Boxen würden das schon die Gewichtsklassen verhindern.

Das selbe gilt leider auch ein bisschen für Don Toliver. Wenn seine sehr eigene Stimme auf "Champain & Vacay" über die cool gelayerten Beats einsetzt, mag man vielleicht noch auf ihn als Träger des Projekts hoffen. Aber auch er macht sein Ding eher im Autopilot. Und wenn man schon mal ein Album von dem Mann gehört hat, weiß man: Auch seine Stimme nutzt sich ab, oft schneller als man denkt.

Aber gut, die satten Heads des Labels sollten für so einen Sampler ja auch nicht der Kern sein. Sicher hat Travis, dieser absolute Kenner des melodischen Raps, ein paar granatige Newcomer für uns in petto, die diese Bühne virtuos nutzen werden. Richtig? Richtig?!

Erinnert ihr euch noch an Sheck Wes und SoFaygo? Nein? Das ist okay. Beide waren zwischen 2018 und 2020 kurz im Verdacht, das nächste große Ding zu sein, weil sie einen viralen Song hatten. Sheck Wes, der Bekanntere der beiden, rennt seit nun mehr sieben Jahren dem Lightning in a Bottle-Moment von "Mo Bamba" hinterher. Er hat grundsätzlich eine gute Stimme und viel Energie, aber nach dem Misserfolg von "Mudboy" hat er den Absprung zum ernstzunehmenden Künstler verpasst und versucht seitdem weiter, den magischen Viralmoment zu replizieren. Mit "ILMB" (kurz für "I love my bitch") schafft er hier eine ebenso transparente wie unausstehliche TikTok-Meme-Vorlage für unangenehme Typen, die ihre eigene Freundin nicht leiden können ("I love my bitch , but she get up on my nerves", wow). Schade um den soliden Beat.

SoFaygo ist ein Typ, bei dem es inzwischen schon ein Running Gag geworden ist, dass sein Marketing-Team ihn seit einem halben Jahrzehnt so verkauft, als wäre er einen guten Schritt vom Mega-Durchbruch entfernt. Dabei war er nur 2020 sehr früh in der Rage-Ursuppe dabei und hat mit "Off The Map" einen guten Beat berappt. Was er Besonderes können soll oder warum er jetzt der Guy wäre, der aus diesem Genre zwischen interessanteren Newcomern wie Yeat oder Ken Carson einen neuen Spin entlocken soll, verrät er uns auch hier nicht. Auf den generisch-aufgeblasenen Trap-Beats klingt er einfach nur wie ein austauschbarer Travis Junior.

Und sonst? Wir haben einen Haufen Features! Rein statistisch müssen manche davon gut sein. Und das stimmt schon. Travis hat eben so viel Clout, dass er eh jeden kriegen könnte. Future und Playboi Carti auf einen F1lthy-Beat schmeißen kann nur funktionieren, klingt aber wie ein Überbleibsel der letzten Metro Boomin-Alben. Ziemlich sicher hat er genau den selben Song in besser gemacht. SahBabii, GloRilla und YoungBoy Never Broke Again machen auch ihr Ding, natürlich, machen aber auch nicht mehr als genau das, wofür man sie eh schon kennt und liebt. Die Stärke von Tapes wie "Astroworld", den Gästen eine neue, interessante Facette zu entlocken, können wir komplett vergessen. Ebenso jedes Gefühl von Kohärenz: Die zweite Hälfte hat die besseren Performances, fühlt sich dafür aber an wie ein Wühltisch.

Das Album endet nach dem Bun B-Intro natürlich auf die einzig schlüssige Art: Mit einem Kodak Black-Feature namens "Florida Flow". Hä?

"Jackboys 2" hat so hart keine Ahnung, was es sein oder tun will. Dafür, dass Travis mit "Utopia" noch am Gipfel der Welt schien, überspielt er hier seine Hand maßlos. Ja, er hat die Connections und die Moneten, quasi alle Artists dieser Welt zu kriegen, und gewährleistet immerhin ein paar Momente und guten Sound. Aber dieses Tape ist ein Manifest der Fantasielosigkeit, das alles Geld der Welt nicht retten kann. Es gibt doch wirklich gute, junge Artists im Moment, die die "Jackboys"-Bühne verdient gehabt hätten. BKTheRula, Xaviersobased, meine Güte, warum nicht wenigstens Nettspend oder 2Hollis? Da kocht doch gerade ein Sound der Zukunft. Ziemlich sicher, dass der Travis von 2018 damit hätte arbeiten können. Oder irgendetwas anderes herbeigezaubert hätte. Es wäre auf jeden Fall mehr gewesen als zwei Has-Beens von vor fünf Jahren und die ersten fünf Namen der Rap Caviar-Playlist.

Trackliste

  1. 1. JACKBOYS - JB2 Radio
  2. 2. Travis Scott & Don Toliver - Champain & Vacay
  3. 3. Travis Scott, Sheck Wes & Don Toliver - 2000 Excursion
  4. 4. Travis Scott - Kick Out
  5. 5. Travis Scott - Dumbo
  6. 6. Sofaygo - MM3
  7. 7. Don Toliver & Sheck Wes - Velour
  8. 8. Travis Scott & Sofaygo - Contest
  9. 9. Sheck Wes & Travis Scott - ILMB
  10. 10. Travis Scott, Playboi Carti 6 Future - Where Was You
  11. 11. Don Toliver - No Comments
  12. 12. Travis Scott & SahBabii - Beep Beep
  13. 13. Travis Scott, Tyla & Vybz Kartel - PBT
  14. 14. Travis Scott & GloRilla - Shyne
  15. 15. Travis Scott & Youngboy Never Broke Again - Outside
  16. 16. Don Toliver, Future & Wallie The Sensei - Cant Stop
  17. 17. Travis Scott & Kodak Black - Florida Flow

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