laut.de-Kritik

Liebe und Sehnsucht, verpackt in smoothe Lorde-Attitüde.

Review von

Eine ungewollt wirkende Out-Of-Bed-Frisur, ein unschuldiges, vorpubertäres Justin Bieber-Lächeln und dazu floral gemusterte Hemden, bevorzugt kombiniert mit enger Röhre. Zugegeben, Troye Sivan würde auch als viertes Mitglied von Years & Years eine gute Figur machen und erfüllt das Klischee vom Jutebeutel tragenden Indieboy zu 110 Prozent. Doch mit seinen gerade einmal 20 Jahren ist er längst kein unbekanntes Gesicht mehr: australischer Star Search-Finalist 2007, YouTube-Star und der Wolverine in "X-Men Origins".

Auf seinem Youtube-Channel bekannte sich der gebürtige Südafrikaner bereits 2013 zu seiner Homosexualität. Mit seinem Debütalbum erzählt er nun von seiner Kindheit als schwuler, jüdischer Junge in einer konservativen Gemeinde nähe Perth, der "Blue Neighbourhood". Eine autobiographische Reise in 16 Akten, thematisch voll gepackt mit Liebe und Sehnsucht. Bereits im September erschien die EP "Wild" als sechsteiliges Sound-Sample von "Blue Neighbourhood". Wer dies verpasst hat, kann sich die Deluxe Version des Albums besorgen, die mit 16 Tracks auch alle Songs der "Wild"-EP beherbergt.

Schon beim Opener umschmeicheln Sivans Stimme sanfte, aber prägnante Elektropop-Rhythmen. "Never knew loving could hurt this good and it drives me wild / Cause when you look like that / I've never ever wanted to be so bad / It drives me wild", sind Lyrics, die man wohl eher Leona Lewis zugesteht, würde sie Troye Sivan nicht in ungekünstelter und smoother Lorde-Attitüde vortragen. Aufgeplusterte House-Paraphrasierungen und Herzschmerz-Allüren: Fehlanzeige.

In "Fools" mischen sich Klaviermelodien und Synthiepassagen zu einem weiterhin entspannten und hoffnungsvollen Song. Mit "Ease" nimmt das Album allmählich wieder Fahrt auf. Etwas mehr Tempo, die Beats griffiger und gesangliche Unterstützung vom neuseeländischen Duo Broods. Überhaupt hat sich Sivan für sein Debüt einige junge Künstler an Bord geholt: Betty Who, Tkay Maidza oder auch Alex Hope und Claire Boucher alias Grimes als Co-Writer von "Heaven".

Mit "Dkla" geht es wieder in elektronische Chillwave-Gefilde. Die Vocals auf ein Minimum reduziert, einfache Rhythmen mit repetitiven Synthie- und Basslinien. Fast schon überraschend kommt da der Rap-Part von Tkay Maidza, der sich jedoch gut in das elektronische Melodiegerüst einfügt. "Talk Me Down" katapultiert uns wieder aus dem Electro-Kosmos in ruhigere, tagträumerische Sphären. "I wanna hold hands with you / But that's all I wanna do right now / And I wanna get close to you" – nun gut, etwas Herzschmerz-Geplänkel und Kitsch gibt es dann doch.

"Cool" neutralisiert den Kitsch und versprüht eine eingängige Gelassenheit, die ansteckt. Ich merke wie mein Kopf entspannt im Takt hin- und her wippt und die Melodie auch Stunden später noch in den Ohren nachhallt. "Suburbia", der letzte Track auf der Standard Edition, schwelgt in Nostalgie und thematisiert die Erinnerung an die Heimat mit der Einsicht, dass die Zeit selbst am entlegensten Ort nicht still steht und sich Dinge unwillkürlich ändern. Man kann Troye Sivan sicher nicht vorwerfen, dass er keine klare Linie fahren würde: "Blue Neighbourhood" ist eine runde Kiste.

Trackliste

  1. 1. Wild
  2. 2. Hope
  3. 3. Fools
  4. 4. Ease
  5. 5. Talk Me Down
  6. 6. Cool
  7. 7. Heaven
  8. 8. Youth
  9. 9. Lost Boy
  10. 10. For Him

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4 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Tatsächlich eines meiner Lieblingsalben dieses Jahr. Durchgehend stimmig und komplett Füllmaterial frei, der Lorde Vergleich trifft den Nagel eigentlich auch wirklich auf den Kopf.
    'Fools', 'Talk Me Down' und 'DKLA' beste Songs.

  • Vor 9 Jahren

    Für Teen Pop ist das wirklich überraschend stimmig - und wirkt nicht mal krampfhaft gewollt. Verträumtheit in der Großpackung quasi.

  • Vor 9 Jahren

    Anscheinend ist der Lorde-Vergleich wirklich offensichtlich, denn mir kam die Neuseeländerin beim Anhören des Albums ebenfalls mehrmals in den Sinn. Ansonsten muss ich auch sagen, dass "Blue Neighbourhood" ein überraschend starkes Popalbum geworden ist, an dem ich sicher lange meine Freude haben werde. Mein Highlight ist "Cool", ein wunderbar chilliger Dreampop-Song. Also auch gute 4 Sterne von mir. Ein Wort noch zur Rezension: Es heißt Broods statt Brooks.

  • Vor 9 Jahren

    Toll, ich bekam etwas Angst bei dem ersten 'Justin Bieber' Gehauche, aber Toll, bereue ich keinesfalls. Danke Euch