laut.de-Kritik
Extremer die Glocken nie klingen.
Review von Fabian BroicherTy Segall erforscht die Extreme. Zum einen macht er extrem viel: Die Solo-Diskografie des 36-Jährigen umfasst stolze fünfzehn Alben – Kollaborationen, Soundtracks, Cover- und Bandprojekte nicht mitgezählt. Zum anderen ist seine Musik extrem divers, siehe allein die vergangenen beiden Alben: das glatte, ausproduzierte "Harmonizer" von 2021 und das akustische, introspektive "Hello, Hi" aus dem Folgejahr.
Als gliche die Kreativität des Kaliforniers einem Hund, der im Park allem nachläuft, das interessant riecht. Diesem Doppelschlag folgt jetzt ein Doppelalbum: "Three Bells", 15 Songs, 65 Minuten. Viel Zeit also für den kreativen Hund, den Extremen nachzuschnüffeln. Tatsächlich mutet "Three Bells" wie eine Übung im Ausschweifen an. Gleich am Anfang präsentiert "The Bell" drei Songideen in einem. Gewundene Riffs auf der akustischen Gitarre hetzen um mehrere Ecken, hinter denen schon der nächste Taktwechsel lauert.
Gegenverkehr kommt von einer quietschenden Fuzz-Gitarre. Musik auf der Überholspur. Gebremst wird sie von einer staubtrockenen Produktion, ein rumpelndes Schlagzeug und ein pumpender Bass halten sie in der Bahn. Trotzdem bricht Segall immer wieder aus diesen Bahnen aus. In halsbrecherischem Tempo folgt "Void" einer dissonanten Psychedelic-Odyssee, auf der man Thee Oh Sees zu treffen glaubt. "Hi Dee Dee" dagegen düst mit jubilierendem Falsett in Richtung groovendem Stoner-Rock à la Queens of the Stone Age. Manchmal begegnen sich zwei Extreme sogar im selben Song: Eine ohrenbetäubende Gitarre fräst sich durch die leichtfüßige Klarheit von "Watcher". Durch das Chaos der Strahlenkanonen-Sounds von "To You" bricht plötzlich ein erlösendes Mellotron.
Und dann sind da noch Exkursionen wie "Eggman", der wie ein pöbelnder Passant umhertorkelt. "Ay, I'm talking to you / Do you know what you do?", fragt Segall mit runtergepitchter Stimme, während die Drums erfolglos das Tempo suchen. "Eggman" schrieb Segall übrigens wie ein Drittel des Album-Materials mit seiner Ehefrau Denée. In einer der pointiertesten, schönsten Nummern auf dem Album zollt er ihr Tribut: "Denée" fusioniert ausgefallene Eingängigkeit mit einem freakigen Schlagzeugsolo, das von Tupfern aus Gitarre und Rhodes begleitet wird. Und plötzlich ergeben die Extreme einen Sinn.
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Die große Stärke des Albums ist seine Unvorhersehbarkeit bei gleichzeitiger Eingängigkeit. Gitarren sollte man aber schon mögen. 5 Sterne, geniales Album.