laut.de-Kritik

Es geht um Liebe!

Review von

Schon bei den ersten Tönen von "You Have My Heart" tut sich die Tür zu einer anderen, ganz fremden und mystischen Welt auf. Die klingt nach der rauen Landschaft Skandinaviens, und es wäre nicht verwunderlich, wenn hinter dem nächsten Baum eine Gestalt auftaucht, bei der wir uns nicht sicher sein können, ob sie nun Mensch oder Tier ist. Es ist düster und kalt, und man wird doch von einer solchen Wärme erfüllt, die man nicht in Worte fassen kann.

Auch wenn die musikalische Welt Ursinas ganz woanders herzukommen scheint, so sind die Texte der Schweizerin im Hier und Jetzt verortet. Es geht um Liebe und die Komplikationen, die mit diesem so verflixten Gefühl verbunden sind. Selten hörte man jemanden so zart über den Schmerz und die Verletzlichkeit der Liebenden singen. Ursina wechselt spielend zwischen völliger Schwerelosigkeit und tiefstem Schwermut. Die Übergänge fließen.

Sie singt von fragilen Herzen ("You Have My Heart"), Herzen, die so verletzlich sind, dass sie sich nicht öffnen können ("Question Untold"), um die es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn deren Besitzer das nicht so sehen ("I'll Fight For You").

"We step outside and close the door / hide the key under the floor / we turn around and walk away / because for now this is goodbye" Ursina will aufbrechen ("Behind Us"), in einem leichten Galopprhythmus trägt uns die Musik davon ohne zurückzuschauen. Da ist der süßliche Schmerz der Erinnerung an das, was wir zurücklassen. Und doch überzeugt uns die Sängerin nach vorn zu schauen - "How boring would life be if all would remain the same" ("I Don't Want To Forget")? Immer wieder trifft Leichtigkeit auf Schwere. Das wirkt dabei nie verkrampft, sondern immer so vorsichtig und bedacht und auf eine ganz besondere Art vollkommen frei.

Wenn "One Two Three" einsetzt, erzeugen die gezupften Gitarrensaiten eine weiße Feder vor den Augen des Zuhörers, die langsam zu Boden sinkt. Mit dem Ertönen der Stimme erreicht die Feder den Boden, und um einen herum ist wieder diese düstere Landschaft. Man durchkreuzt sie auf der Suche nach Leben. Das Finale ist gleicht dem Erreichen einer tiefen Schlucht, die absolute Leere bedeutet und es überkommt einen das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Doch Ursina fängt uns wieder auf und führt uns weiter durch ihre Welt, mit ihrer so faszinierend zarten Stimme.

Zwei Lieder auf "You Have My Heart" sind in ihrer Muttersprache Rätoromanisch gesungen; sogar da spürt man, dass es nur um Liebe gehen kann. Der Folk-Einfluss ist in "En In Mund" und "Affonza" deutlicher, sie verlieren aber in ihrem Klang nie die poppige Leichtigkeit, die immer ein bisschen mit Schwermut verbunden ist.

"Running" klingt mit seinen Gitarren- und Bassakkorden nach einen klassischen On The Road-Song. Doch Vorsicht, Ursina hat eine Botschaft. Wir leben in einer Welt, in der uns gesagt wird, dass wir bloß nichts verpassen dürfen. Wir müssen immer weiter und rennen, ohne nachzudenken. Doch wenn wir dann einmal anhalten, um zu verschnaufen, merken wir plötzlich, dass es Menschen gibt, die tagtäglich um ihr Leben rennen müssen. Weil sie es sonst verlieren würden. Rennen wir deshalb? Damit alles einfach schnell an uns vorbei rauscht und wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, was in dieser Welt wirklich passiert?

Diese Vermutungen könnten ein Grund sein, warum Ursina an Schlaflosigkeit leidet ("Try To Sleep"). In ihrer letzten Schlafliedmelodie erzählt Ursina uns von ihren Ängsten, die sie lieber bekämpfen sollte, als sich von ihnen wach halten zu lassen. Unterstützt einzig von einer Gitarre holt uns die Sängerin wieder zurück in die Wirklichkeit.

"You Have My Heart" ist gerade wegen seiner zärtlichen und trotzdem leicht düsteren Klänge so wunderbar. Die radiotaugliche Poppigkeit verortet Ursinas Debütalbum im Hier und Jetzt und lädt zum Träumen ein über eine Welt, die weit entfernt von unserer liegt.

Trackliste

  1. 1. You Have My Heart
  2. 2. Question Untold
  3. 3. En In Mund
  4. 4. Behind Us
  5. 5. One Two Three
  6. 6. Affonza
  7. 7. I'll Fight For You
  8. 8. Running
  9. 9. I Don't Want To Forget
  10. 10. Try To Sleep

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