laut.de-Kritik

Kleine Kostbarkeiten, die das Herz im Sturm erobern.

Review von

"Was Ist Schon 1 Jahr?" ist nach 1998 erst das zweite Album der Berliner Formation Viktoriapark. Was so lange reift, muss schon etwas Besonderes sein, und in der Tat: Die CD ist einem 32-seitigen Büchlein beigefügt, von handelsüblichen Plastikteilen keine Spur. Illustriert vom renommierten US-amerikanischen Künstler Gary Taxali (Rolling Stone, Time Magazine), ist da ein echtes Schmuckstück gelungen mit ausdrucksstarken Zeichnungen, die die Songtexte umrahmen und illustrieren.

Das Wichtigste bleibt natürlich die Musik. Viktoriapark entführen auf oft verspielten Pfaden in eine neugierige Welt der Träume und Hoffnungen. Und was für wunderbare Songs haben sie da am Start! Allein das funkelnde Juwel "Langenscheidtbrücke", das mit zunehmender Spieldauer in der Drum-Arbeit ganz dezent Erinnerungen an die tanzende Fleetwood Mac-Märchenfee Stevie Nicks in "Gypsy" weckt. "Erika" betört als Gelegenheits-Schrammelpunk-Rocker mit jeder Menge Wave-Appeal. Den Fluchtweg aus versponnenen Lebenspfaden weist das Glockengeläut in "Tunnellicht".

Die Stimme von Sängerin Susie Pinkawa umschmeichelt, umgarnt, verzaubert und verführt mit unwiderstehlich anmutigem, lieblichem Singsang. Susie erinnert oft an eine gewisse Suzie, genau, nämlich die von Klee. Aber das hat nichts mit Imitation oder ähnlichem zu tun - da sind halt zwei Stimmen ähnlich gelagert. Egal, auf der Deutschrock-Loreley ist schließlich immer genügend Platz für wahrhaftig lockende Sirenen.

Die Arrangements sind einnehmend und liebevoll gehalten, mit vielen fein ziselierten und herausgearbeiteten Facetten. Hier klingt ein Glöckchen, dort ruft sehnsuchtsvoll das Cello, drüben schwärmen die Streicher. Doch Liebe gibt nicht nur, sie fordert auch. Dann klingt sie traurig, die verwunschene Geige im Dämmerungsschatten des Viktoriaparks, um rasch darauf weiterzuflirten mit Nylon-Gitarre, Tischklavier und Farfisa-Orgel.

Vielleicht ist "Was Ist Schon 1 Jahr?" die schönste, schrubbeligste und freundlichste deutsche Pop/Rock-Platte des Jahres. Auf jeden Fall ist der Band unter den Fittichen der Produzenten Ben Lauber und Beatsteaks-Betreuer Moses Schneider eine oft herrlich schräg-verschrobene Scheibe geglückt. Was ist schon ein Jahr? Welch Untertreibung! Zehn Jahre dauerte es schließlich, bis sich Susie und Mitstreiter aus ihrem Berliner Park wieder in die Öffentlichkeit zurücktrauten. Und ich hoffe inständig, dass es bis zum nächsten Werk nicht erneut so lange dauern möge.

Trackliste

  1. 1. Auf Einer So Langen Fahrt
  2. 2. Müde Und Super
  3. 3. Geht Doch
  4. 4. Langenscheidtbrücke
  5. 5. Aufregende Neue Freundschaften
  6. 6. Tunnellicht
  7. 7. Ein Letztes Mal
  8. 8. Erika
  9. 9. Das Auto Zur Flucht
  10. 10. Grau Und Ganz Blass
  11. 11. Beeil Dich
  12. 12. Wenn Es Dunkel Wird
  13. 13. Ende Offen

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