laut.de-Kritik
Ein Kater mit sieben Leben.
Review von Philipp KauseEs hat viele Gründe, warum Walter Trout rastlos wirkt. Er tourt nahezu jedes Jahr und liefert Studio- oder Live-Alben ab. Der Musiker macht sich viele Gedanken zum Zeitgeist und will diese auch teilen. Trout verarbeitet dabei bis heute seine eigene Biographie und Kindheits-Traumata. Ein Stück Musik aus seiner Teenie-Zeit, das im Autoradio läuft, kann ein Trigger dafür sein. Und natürlich braucht der Bluesrocker auch mit 72 noch nein Einkommen. Seine Frau ist als Teil des Familienunternehmens Trout und auch seine langjährigen Bandmitglieder leben davon.
Der Amerikaner mit Zweitwohnsitz in Dänemark liebt den Kontakt zu Menschen, demnächst sieht man ihn auch wieder auf deutschen Bühnen. Seine Alben verkaufen sich dabei seit geraumer Zeit wie Maß und Brezen auf dem Oktoberfest. Und natürlich braucht Trout Musik für sein inneres Gleichgewicht. Dies und das Wohlwollen seiner Fans bewahrten ihn vor zehn Jahren davor, abzunippeln.
"Broken" durchpflügt textlich viele Themen, romantische, problematische. Trout lässt aber auch mal ein tolles Instrumental ("Love Of My Life") wippt musikalisch auf einer breiten Klaviatur von elektrifiziertem Boogie-Blues über melodramatische Balladen und heavy Wutausbrüche bis hin zu den üblichen feurigen Gitarren-Glühstrecken und schwermütigen Sinnier-Soli.
Walters erlebte nach einer glücklichen frühen Kindheit einen abrupten Bruch. Die Seele des kleinen Jungen im New Jersey der 1950er/60er wurde gebrochen: Seine Eltern ließen sich scheiden, er blieb bei der Mutter, der Stiefvater war oft stockbesoffen, nicht Herr seiner selbst und verprügelte die Kids. Walter flüchtete nach der Schulzeit, wurde obdachlos und machte eine harte Zeit als alkohol- und drogenabhängiger Gelegenheits-Musiker durch. Er rutschte damals in ähnliche Abgründe wie seine Duettpartnerin Beth in "Broken ft. Beth Hart" ab.
In dem Opener explodieren beide förmlich, sie schluchzbrüllen, krakeelen sich in einem schiefen Duett durch ein Minidrama mit steiler Klimax. Die Botschaft kommt jedenfalls rüber: Beth und Walter waren seelisch wie körperlich kaputt, ihr Leben ein schwer erträgliches Ringen mit inneren Schreckgespenstern, die für die Außenwelt unsichtbar blieben.
Schon was die Gesangsleistung angeht, beginnt die Platte hier epochal. "Turn And Walk Away" verkörpert das Gebrochene in der Stimme, den Bruch, den eine Trennung verursacht, den nostalgisch schwermütigen Blick zurück, Reue, Hilflosigkeit, das Ganze verpackt in Delta-Blues samt widerspenstiger Harmonika.
Aber ist nicht jeder Track ein Volltreffer, was man über "Ride" und "Ordinary Madness" ohne Abstriche sagen kann. Die Aufzählung von Jugenderinnerungen samt Frust über die heutige Zeit im Spoken Word-Track "No Magic In The Street" beispielsweise irrlichtert im Ungefähren, "well, I got a nasty feelin' I can't ignore". Auch musikalisch ist der Spoken Word-Track eher ein Hänger. Dafür gestalten sich dieses Mal viele einzelne Stücke überdurchschnittlich, weil sie tief in Trouts Seele und Lebenslauf vorstoßen.
Da bleibt zum Beispiel die Zeile "We all get what we deserve" aus einem so zornigen wie traurigen Track haften, "Heaven Or Hell". Walter öffnet hier seinen Stil, zeigt neue Aspekte auf. Er shoutet das Stück weitgehend im rhythmischen Sprachvortrag. Es teilt die Sicht eines Obdachlosen auf die Welt. Der Ich-Erzähler gibt dem Straßenbewohner anfangs ein bisschen Geld und etwas zu essen mit auf den Weg. Dann wechselt die Perspektive: Der Obdachlose schimpft auf Scheinheiligkeit, Voreingenommenheit und Hass mancher Leute, während er aus den "broken sidewalks of the burning city" das beste macht, auf den Himmel hofft und den Snobs die Hölle an den Hals wünscht.
Die Brüche in der Stilistik erschweren die Annäherung an dieses Meisterwerk beim ersten und auch noch beim zweiten Hördurchlauf. Das Auseinanderklaffen zwischen einer bedächtigen Soul-Liebesballade wie "I Wanna Stay" und dem gleißenden Lärm des folgenden "Falls Apart" (mit Chor, Omnichord und ausgereizten Verstärkern) fordert einiges vom Hörer ab. Es lohnt sich aber, sich damit zu beschäftigen - dann die Platte gibt viel Intensität zurück!
"Als Teenager in den turbulenten Sechzigern glaubte ich daran, dass Musik die Welt und das Leben von Menschen verändern kann. Etliche Leute nannten mich dafür naiv. Auf die hab' ich nie gehört", konstatiert Walter im CD-Booklet. Seine Scheibe hat in der Tat die Kraft, eine andere Stimmung zu erzeugen, so kathartisch werden die Emotionen herausgeschrien.
Hairmetal- und Hardrock-Riffs umranken in "Heaven Or Hell" die kristallklaren Worte. "Talkin' To Myself" ist ein Song über die Selbstreferenzialität der angeblich 'sozialen' Medien, postmodern erlernter Autismus. Der Uptempo-Tune überrascht als Amalgam aus Southern Rock und einem an Garage geschulten, säbelnden Solo. Stilistisch, gesanglich und gitarrentechnisch wirkt das Stück wie eine Verschmelzung der Geister Tom Pettys und David Crosbys mit der Dirtyness Neil Youngs - klingt definitiv nicht wie das übliche Electric Blues-Zeug unserer Zeit.
Auch an anderer Stelle fesselt das Saiten-Handwerk. Es scheint stets um Leben und Tod zu gehen, oft ein leidenschaftliches Donnerwetter, eine durchdringende Erschütterung. Etwa in der Psycho-Studie "Courage In The Dark", ein innerer Monolog, der statt Wut Mut thematisiert, Angst und Hoffnung ringen hier miteinander ringen.
Der Vorgänger "Ride" weist mit 29 wortlosen von insgesamt 58 Minuten Spieldauer viel Spielraum für Intros, Outros und Soli auf. "Broken" fällt nun einen Ticken wortlastiger aus und glänzt wieder mit instrumentalen Passagen epischen Ausmaßes. Was fiebrige Stimmung angeht, sorgt das 93 Sekunden lange Guitarsolo von "Courage In The Dark" dafür, dass Trout sich wie der Rory von heute anfühlt.
Auch der rotzige Orgeleinsatz im schnellen "I've Had Enough ft. Dee Snider" verströmt unperfekte Wildheit, frei nach dem Motto: Wichtiger als der perfekte Klang ist das Herausschleudern der Gefühle. Der Zorn, der bis knapp an den Rand der Heiserkeit und stimmlichen Entgleisung Dee Sniders (von Twisted Sister) führt, wirkt im Zusammenspiel mit der heißen Kurvenfahrt über die Orgel-Tasten wie eine Jam-Session und deutlich weniger glatt als frühere Trout-Produktionen.
"Love Of My Life" wächst über das anfängliche Gitarren-Instrumental von Knopfler-Gemütlichkeit zu einem aparten Fusionjazzrock mit eleganter Wurlitzer-Piano-Führung und wohliger Hammond-Orgel-Grundierung heran. Vocals sind hier unnötig, die Atmosphäre ist spannend genug.
"Broken" ist nicht nur so irgendeine weitere Scheibe unter vielen. Gleichwohl man zugeben muss, dass der Mann den Markt allmählich fast so zu übersättigen droht wie Bonamassa. Dennoch stellt "Broken" ein Best of von Trouts Kompetenzen dar, eine Weiterentwicklung mit teils neuen Aspekten. Dank der geballten Lebenserfahrung, vielen unterschiedlichen Emotionen und Themen liegt eine Art Tagebuch mit verschiedenen Kapiteln vor. Jedes bietet mitreißende Einblicke in die Seele eines Mannes, der nach überlebter roher Gewalt, Heroinsucht und Krebserkrankung quasi als Kater mit sieben Leben gelten kann.
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