laut.de-Biographie
Wishbone Ash
In den frühen Siebzigerjahren entwickelt sich das Duell von zwei Melodiegitarren zum beliebten Stil-Kniff. Wishbone Ash sind die Pioniere. Thin Lizzy beziehen sich mit dem Zwillingsspiel ihrer Gitarren dann ab 1975 auf die Vorläufer-Band. Das heißt für Lizzy-Hits wie "The Boys Are Back In Town", "Suicide" und "Rosalie": Erst die gitarrentechnischen Vorlagen von Wishbone Ash erklären solche Klang-Explosionen.
Dabei geht die so genannte Twin-Lead Guitar-Formation auf einen Zufall in der Bandgeschichte der 'Knochenasche' zurück. Die Story dieser Engländer entspinnt sich als bizarre, einzigartige Entwicklung aus Intrigen, Besetzungswechseln und Respektlosigkeiten. Alle beteiligten Musiker aufzuzählen: geschenkt. All die Zu- und Abgänge erscheinen wenig ruhmreich. Zwei Konstanten gibt es: einen Gitarristen, der die Band dominiert, und eine schier unüberschaubare Flut von Live-Alben.
In der Urbesetzung von Wishbone Ash spielen die beiden Gitarristen Ted Turner und Andy Powell um die Wette. Ted beherrscht den straighten E-Gitarren-Sound, prägt die Gruppe aber auch mit seinem Folk-beeinflussten Steel Guitar-Spiel. Ted Turner verlässt das Quartett bereits 1974, und Laurie Wisefield kommt für ihn. Für einige Jahre immerhin, Andy bleibt.
Die Band schöpft aus dem Repertoire jener charakteristischen Anfangsjahre auch noch Jahrzehnte später. Mit Ted entstehen die meisten Erfolgsalben. Die Platte "Argus" verknotet sich im Kollektiv-Gedächtnis am engsten mit dem Namen Wishbone Ash. Das Album aus dem Jahr 1972 ist trotz stilistischer Parallelen zwar nicht zu verwechseln mit der Band Argent und deren gleichnamiger LP "Argent" aus dem Jahr 1970 – aber beide Bands mischen den neu entstehenden britischen Markt des Progressive Rock entscheidend auf und ergänzen einander.
Der Unterschied: Die zwei Lead-Gitarristen von Argent spielen von Song zu Song abwechselnd im Vordergrund, während die beiden bei Wishbone Ash zeitgleich, gegeneinander zupfen.
Es gibt kaum ein Ranking über Gitarrenlegenden, in dem der Name des zweiten Ash-Saitenkönigs Andy Powell fehlt. Binnen fünf Jahrzehnten reift er zur Ikone. Sicher haben viele Gitarristen mehr wiedererkennbare Hits und Klassiker komponiert als er, zum Beispiel George Harrison, Eric Clapton, David Gilmour oder Tom Petty. Doch der Londoner Andy Powell, geboren am 19. Februar 1950 und Kind der Beat- und British Blues Explosion-Ära, wird kennzeichnend für die folkige, progressive E-Gitarre.
1969 sind Beat und Blues am Abflauen. Prog-Rock, Psychedelic und das englische Folk Music-Revival kristallisieren sich dagegen als die neuen Trends in London und Südengland heraus. Das Quartett Wishbone Ash geht mit dem Flow des Moments.
Kurz vor den Jungs existieren die Yardbirds und die Allman Brothers Band, die mit dem Clash der Doppelgitarre schon experimentieren. Verfolgt man die Ursprünge noch weiter zurück, landet man bei den Harmonien der kalifornischen Surf-Rock-Szene und deren Techniken an den sechs Saiten, von dort rückwärts bei Eddie Cochran und schließlich bei der Steel Guitar, Banjo und Fiddle des Bluegrass. Wishbone Ash machen etwas Neues. Die Steel Guitar zieht dabei anfangs auch in ihre Musik ein.
Doch bis es dazu kommt, muss sich die Combo erst einmal formen. Noch ein Turner kommt hier ins Spiel: der Erfinder der Gruppe, Bassist Martin Turner. Von ihm stammt auch der Bandname. Er kann singen, steht aber zusammen mit Schlagzeuger Steve Upton zunächst ohne jegliche Mitspieler da. Mit Ted Turner ist er nicht verwandt. Eine Anzeige im viel gelesenen Melody Maker führt dazu, dass sich dieser und etliche weitere Interessenten melden. In die Stichwahl kommen sowohl Andy Powell als auch Ted Turner. Man sucht zwar nur einen Gitarristen. Da sich der Manager und die Bandgründer in der Stichwahl zwischen den beiden besten nicht recht entscheiden wollen, verpflichten sie einfach beide.
Viel später, 1980, erweist sich das für Martin Turner als krasse Fehlentscheidung. Andy Powell lässt sich vom Plattenlabel einspannen, um gegen ihn zu intrigieren, und drängt ihn aus seiner eigenen Band. Nicht ganz zwar, aber weg von der Rolle als Sänger. Martin Turner soll nur noch Bass spielen und lässt sich von solchen Plänen vergraulen. Der Casting-Sieger wirft somit seinen Fürsprecher raus: Stoff für spätere Autobiographien beider Protagonisten.
Immerhin haben sich Wishbone Ash bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Vielzahl an Alben, darunter einer Handvoll echten Klassiker-LPs einen sehr guten Ruf erworben. Der Rauswurf wird zum düsteren Schatten, der die Band einholt und über Dekaden über ihnen hängt. Das Projekt war Martin Turners Baby, die Lyrics auf den wichtigsten Alben flossen aus seiner Feder. "Ich möchte nichts mit Andy Powell zu tun haben", bleibt sein Fazit auch noch 2018 in einem Interview.
Hochmut kommt vor dem Fall, das bekommen die anderen im Laufe der Jahre oft zu spüren. Einen wirklichen Sänger oder charismatischen Frontmann findet die Band nämlich ersatzweise nicht. 1988 wittert der Manager, es könne etwas bringen, Vokalist und Bassspieler Martin Turner zurückzuholen. Alle vier Ursprungsmitglieder touren als Original-Besetzung. 1991 wirft man Martin dann sogar ein zweites Mal aus der Gruppe, und Ted Turner lässt die kläglichen Reste der Crew nach zahllosen Umbesetzungen mitten im Aufnahmeprozess einer Platte im Studio stehen und geht. Andy wurstelt weiter.
In Interviews schweigt der faktische Chef Andy Powell über die Causa Martin Turner und den Split der Gruppe. In einem Gespräch mit Rocktimes erklärt er im Frühjahr 2007 lapidar und etwas herablassend: "Was Martin und Steve angeht, hatte ich während der Neunzigerjahre Kontakt, aber jetzt scheint Wishbone Ash einfach zu beschäftigt zu sein. Außerdem leben wir in unterschiedlichen Ländern." Steve, genau Steve Upton, der andere Gründer der Gruppe, zieht sich 1990 aus dem Musikbusiness zurück und geht mit 44 Jahren in Rente. Die Webseite der Band relativiert das etwas: "Er leitet ein Schloss in Südfrankreich (...)"
Es gibt noch ein weiteres Problem, mit dem die Band über all die Jahre zu hadern hat: Finde ein Plattenlabel! MCA, also diejenige Firma, die Martin Turner zum Ausstieg zwang, macht die ausgefallenen elegischen Progressive-Songstrukturen nicht mehr mit und wirft Wishbone Ash raus. Das Label will Hits sehen, nicht ohne Grund, schlittert der Konzern allmählich in die Krise, bis er 2003 aufgelöst wird.
Bis dahin haben die Wishbones x-mal das Unternehmen gewechselt. Ihre Odyssee führte über das Heavy Metal-Label Neat, das mit Wishbone Ash genau eine Scheibe hin bekommt. Genauso wie AVM Records, ein italienisches Label, Dreamscape Records, Invisible Hands Music, Solid Rockhouse und die renommierten Eagle Records. Während der Re-Union und vielen Umbesetzungen überbrückt der Bandmanager das Desaster mit I.R.S. No Speak, einem Eigenlabel von Wishbone Ash. Bei Talking Elephant Records entstehen immerhin dann drei Scheiben im Abstand von je sechs Jahren zwischen den Aufnahmen. Auch ZYX, deutsches Kraut-, Pop- und Prog-Rock-Label bringt die Band nur einmalig ins Studio.
Es sieht nicht so aus, als ob sich das Gegeneinander in der Band gelohnt habe. 2012 zieht Andy Powell gegen Martin Turner auch noch vor Gericht. Der Grund: Martin Turner tourt seit 2006 als Martin Turner's Wishbone Ash. Der Angeklagte verteidigt sich nicht nur, sondern stellt gar eine Gegenforderung auf: Powell solle ihm fünf Prozent der jährlichen Einkünfte abgeben, da es lediglich auf gutem Willen beruhe, dass sich die heutigen Wishbone Ash so nennen dürften. Im Übrigen stehe nirgends geschrieben, dass jemand ein Markenrecht auf den Bandnamen erhoben habe. 'Wishbone' nennt man den Brustbein-Knochen eines gegrillten Huhns, bei dessen Zerteilen man sich etwas wünschen darf. Die 'Asche' (ash) kombinierte Martin Turner willkürlich mit dem 'Knochen', so seine Version der Namensfindung.
Das Gericht in London sieht "eine rechtliche und faktische Komplexität" gegeben und bezieht sich auf die Domain-Anmeldungen der Webseiten. Martin Turner wird im Gerichtssaal zum Loser. Schon lange bevor er seine Seite www.wishboneash.co.uk beantragt habe, habe sich bereits 1995 Andrew Powell den Claim auf www.wishboneash.com gesichert. Das war übrigens die Zeit, als Wishbone Ash auch musikalisch digital wurden und auf einmal mit Techno-Trance experimentierten. Powell führt als Zeugen einen Mitarbeiter der Polizei an, Detective Keith Fox, der sich vor Gericht als großer Fan von Wishbone Ash outet. Er habe Auftritte beider Formationen gesehen, und die musikalische Qualität von Martin Turner's Wishbone Ash habe ihn nicht beeindruckt.
Martin Turners Rechtsanwalt wiederum führt den Umstand ins Feld, dass andere Ex-Mitglieder auch schon den Gruppennamen beansprucht hätten, ohne dass sich jemand beschwert habe. Ein Festival-Promoter verteidigt Martin Turner und legt in seiner Zeugenaussage dar, Martin Turner's Wishbone Ash bewusst für sein 'High Voltage'-Festival gebucht zu haben und nicht die anderen Wishbone Ash. Martin Turners Formation spielten dort 2010 immerhin auf einer Bühne mit zahlreichen anderen Legenden wie den Fish-losen Marillion, Uriah Heep, Magnum, Steve Hackett und den eingangs genannten Argent. Das Gericht lässt sich davon nicht überzeugen und entscheidet den Prozess im Herbst 2013 gegen Martin Turner. Damit ist die Sache aber nicht erledigt.
Martin Turner tritt fortan als 'Martin Turner (Ex-Wishbone Ash)' auf. Für Andy Powell und seine Kollegen ergeben sich derweil viele Gigs, aber kein aufsehenerregendes Album mehr. Überraschend kündigt das deutsche Rock-/Metal-Label SPV/Steamhammer im Herbst 2019 an, die Engländer unter Vertrag zu nehmen und 2020 mit einem Album auf den Plan zu treten.
Noch immer begeistern die Rocker mit ihren langen Nummern auch Fans des Mittelalter-Kults. "Throw Down The Sword" zählt zu den überlebenden Songs. "The Warrior", "Pilgrim", "Keeper Of The Light", "Persephone", "Lorelie" und "The King Will Come" wirken ebenfalls nach. Der Überklassiker bleibt "Blowin' Free", vertreten erstmals auf dem "Argus"-Album, danach auf vier Live-Scheiben und neun Best Of-Compilations. Der Song handelt von einem Mädchen, das goldbraune Haare hat. Sie wehen im Wind wie ein Maisfeld. Gewiss wirbeln die Haare herum, denn die Gitarrenmusik der Rock-Ritter lädt stets zum wilden Headbangen ein.
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