laut.de-Biographie
Wortgewandt
Der Name Hanau besitzt wahrhaft keinen spektakulären Klang. Dabei hat die sechstgrößte Stadt Hessens mit den Gebrüdern Grimm bereits große Söhne hervor gebracht. Im Zeichen der wohl berühmtesten Märchenonkel des Landes schickt sich um die Jahrtausendwende eine Rap-Crew an, die Fahne ihrer Heimatstadt hoch zu halten und Frankfurt die Hip Hop-Vormachtstellung im Rhein-Main-Gebiet streitig zu machen.
Loudz, Produzent und einer der MCs der Truppe, zählt zu den früh Berufenen: "Ich höre Hip Hop seitdem ich lebe, glaub' ich", berichtet er im Interview mit rappers-guide.com. "Ich kann mich zumindest nicht mehr dran erinnern, je was anderes gehört zu haben." Bei seiner ersten Platte handelt es sich dann auch gleich um einen unbestrittenen Klassiker: "Fear Of A Black Planet" von Public Enemy erweist sich als wirkungsvolle Einstiegsdroge. Scheuklappen trägt Loudz deswegen noch lange nicht: "Ich stehe zum Beispiel auch auf Marvin Gaye, Stylistics, Curtis Mayfield und den ganzen alten Kram. Was ich als letztes hart gefeiert hab', war David Hasselhoffs 'Jump In My Car', weil es so krass peinlich war."
Die Geschichte von Wortgewandt beginnt buchstäblich im Sandkasten: Loudz und Kollege KonTakt sind Kindergartenfreunde. Letzteren infiziert der Freund der Schwester mit dem Kopfnickervirus. KonTakt feiert erste Erfolge, allerdings nicht am Mikrofon, sondern als Breaker: Als Mitbegründer der B-Boy-Crew Spinnin Flava durchhüpft er die lokale Partyszene. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen landet er, mit Loudz als Kofferträger, zunächst hinter den Plattentellern, bevor er sich ebenfalls aufs Rappen verlegt.
In Loudz' Keller findet man dann zusammen: KonTakt lernt über den Herrn des Hauses Nicksen kennen, der ein Faible für Snoop Dogg, N.W.A. und den Wu-Tang Clan mitbringt. Neben reichlich Getränken ist noch Rapper Reimspender mit an Bord. Nach und nach nimmt eine Idee Gestalt an: Die vier nennen sich ReimVersOrga. KonTakt fungiert als DJ und MC der frisch gegründeten Crew. Erste Tracks entstehen. Wir befinden uns nach wie vor im Hobbykeller. Nach einiger Zeit gehen die Interessen aber wieder auseinander: Reimspender verlässt die ReimVersOrga, ein neuer Name muss her.
Zum Trio geschrumpft, legen die jetzt als Wortgewandt firmierenden Loudz, KonTakt und Nicksen 2002 ihr Debüt-Album vor. Der Titel ist Programm: "Offen Und Ehrlich" servieren die verbliebenen drei auf selbstgebrannten CDs Tracks aus den vergangenen beiden Jahren und bringen immerhin an die 500 Kopien ihres Erstlingswerkes unters Volk. "Eine absolute Low-Budget Produktion", erinnert sich Loudz im Gespräch mit babu-entertainment.de. "Eigentlich haben wir es mehr verschenkt als daran was verdient."
Im Folgenden platzieren die Herren Beiträge auf verschiedenen Samplern und Veröffentlichungen. Unter anderen engagieren sie sich in den Reihen der elfköpfigen Formation Ohne Fronten. Ein entsprechendes Album wird allerdings nie realisiert, da bei allen Beteiligten der Zeitmangel regiert. Bei Wortgewandt konzentriert man sich aus naheliegenden Gründen lieber auf den nächsten eigenen Longplayer. Dieser erscheint im Sommer 2004 unter dem Titel "Im Zeichen Der Gebrüder Grimm" bei Affekt Records, dem Label eines weiteren Freundes aus Kindertagen: Ronnex begrüßt Wortgewandt auch auf seinen Solo-Veröffentlichungen als Gäste.
"Im Zeichen Der Gebrüder Grimm" birgt neben etlichen sattsam bekannten vorwiegend klassische und Orchester-Samples. Auch, wenn die Kritik die energisch vorgetragenen Raps zuweilen als "gewöhnungsbedürftig" aburteilt, besticht doch die Themenvielfalt. Wie schon auf ihrem Debüt gelingt Wortgewandt der Spagat zwischen Battle-, Storytelling- und Representer-Tracks. Die Beats stammen größtenteils von Loudz. Für drei Tracks versucht sich KonTakt an den Reglern. Der Vertrieb erfolgt nach wie vor aus eigener Kraft. Erst 2005 geht Affekt einen Deal mit Rough Trade ein.
Wortgewandt legen den Schwerpunkt ganz klar auf ihre Live-Auftritte. "Manche Artists fucken sich ab, wenn die Bude nicht ausverkauft ist, oder die Leute nicht mitgehen", so Nicksen. "Uns ist das scheißegal, wir geben immer alles, egal wie viele, wer, und warum die Leute vor der Bühne stehen. Es macht keinen Unterschied, weil es einfach nur Spaß macht, eine geile Show hinzulegen und klitschnass von der Bühne zu kommen." So treten die drei mal vor fünf, mal vor 50, mal vor 500 Leuten auf. Bei Sound of Frankfurt jubeln dann gleich 10.000 Zuschauer. Dem Auftritt mit der Neuen Philharmonie Frankfurt im Rahmen der Wilhelmsbader Sommernacht wohnen gar stolze 15.000 Fans bei.
Wortgewandt teilen sich die Bühnen mit Franky Kubrick, Toni L und Torch, Olli Banjo, den Lieblings Rappern, Azad, den Massiven Tönen, Pal One, Tone, Fler und Mike Crush, absolvieren Radio- und Fernsehauftritte und heimsen zahlreiche Preise ein. So holen sie bei der Rhein Hip Hop Jam Session in Wiesbaden 2005 und dem Rüsselheimer Hip Hop Contest den Sieg nach Hause und schlagen beim Hanauer Nachwuchswettbewerb Hoffnungsträger die Rock- und Punk-Konkurrenz aus dem Feld.
Obwohl KonTakt nach Köln umzieht, bleibt Hanau die Heimatbasis. Den Fans machen Wortgewandt via häppchenweise servierter Downloadtracks und -videos über ein Jahr lang ordentlich den Mund wässrig. Anfang Juni 2007 ist es dann vollbracht: Mit "Shiny Days" steht LP Nummer drei parat. Ein Konzeptalbum, das thematisch die gesamte Bandbreite zwischen Freundschaft, Liebe und Tod abdeckt. "Das Konzept ist darauf ausgelegt, möglichst viele Frauen in möglichst kurzer Zeit zu beeindrucken", witzelt KonTakt.
Für "Shiny Days" bedienen sich Wortgewandt neben der Arbeit Loudz' erstmals auch Beats von anderen Produzenten: Die Beatgees aus Berlin tragen entscheidende Teile bei. Loudz selbst, der früher hauptsächlich samplebasiert arbeitete, lässt zunehmend auch Synthies in seine Musik einfließen. Jeder der Jungs bekommt seinen Solo-Track. Zudem sorgen Gastauftritte von den Labelkollegen Ronnex und Joanne, von Hanaus Freestyle-König Ali B, von Frankfurts Caser sowie Cass von Unterwortverdacht für Abwechslung.
Auch hier wird Glaubwürdigkeit groß geschrieben: "Dieses zwanghafte Bösesein und erst mal Haten geht mir ziemlich auf den Sack", urteilt KonTakt im Interview mit heftig.com. "Ehrlichkeit kommt oft zu kurz. Aber es gibt einen harten Kern, und der ist nicht klein zu kriegen. Von daher ist die deutsche Hip Hop-Szene schon in Ordnung. Auf jeden Fall ist sie nicht tot, wie es viele behaupten."
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