laut.de-Kritik

Drei DVDs mildern die Strafe der späten Geburt.

Review von

Wofür mir jegliches Verständnis abgeht? Für Leute, die AC/DC partout nicht mögen. Ok, man muss nicht alles gut finden, was aus dem Haus der Hardrock-Dinos jemals das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Es sollte aber mindestens zehn Songs in der reichhaltigen Diskografie geben, die jedem - und da meine ich vom Technofuzzi bis zum Hip Hop-Head wirklich jedem! - gefallen müssen. Punkt. Aus. Keine Diskussion. Doch Diskussion? Ne, alle, die mit mir in dieser Hinsicht nicht konform gehen, dürfen nämlich genau jetzt mit dem Lesen aufhören, denn was folgt, ist die Enzyklika eines langjährigen Fanboys. Tschüss!

Aha, noch da? Gut, dann richte ich meine Worte an die schon Bekehrten.

Eine (in der Deluxe-Edition) Tripel-DVD-Box, Herz was brauchst du mehr?

Hier tummelt sich alles. Vom superduper trashigen Amateur-Filmchen mit Ruckelgarantie aus grauer Vorzeit, als Angus und Co. noch in Schul-Aulen zum Tanztee luden, alberne Fernseh-Auftritte in - mehr oder minder - fragwürdigen Bühnenklamotten, sinnbefreite Interviews und immer wieder: Bon Scotts Hintern, eingezwängt in Jeans. Mal in Hot Pants (mit geklauter Banane im Hosenbund) oder klassisch, hochgezogen bis fast unter die Achseln.

Ebenso lustig dessen Nachfolger, Brian Johnson, mit wuscheliger Haarpracht, die ein wenig an Didi Hallervorden zu Nonstop Nonsens-Zeiten erinnert. Allgegenwärtig zu jeder Zeit: Angus Young. Unglaublich, wie schmächtig das kettenrauchende Energiebündel in den Siebzigern war. Der Gute hätte seine Garderobe ohne weiteres auch in der Kinderabteilung kaufen können. Größe 174 war vollkommen ausreichend für das halbe Hemd.

Die Discs der Box sind in zwei Parts geteilt. Je eine widmet sich der Ära der jeweils erwähnten Sänger. Da darf sich jeder sein Schmankerl heraus suchen, wobei der Autor eher zur Bon Scott-Fraktion zählt, die dem rohen und ungestümen Rock'n'Roll-Lebensstil eher etwas abgewinnen kann. Scott war einfach der perfekte Gossen-Prolet/-Poet und einer der begabtesten Sänger/Texter, den die Welt je gesehen hat.

DVD 1 beleuchtet schön die Anfänge und die schon damals fast mit Händen greifbare explosive Energie. Auf der Bühne fließt der Schweiß in Strömen, im Publikum sprudeln die Endorphine ob der fröhlich jauchzenden Riffigkeit. Da wundert es kaum, dass sich AC/DC in den Siebzigern dank des grassierenden Punk-Fiebers keine Sorgen um ihre Klientel machen mussten. Einfach mal einen Blick auf die Tracks des Gigs von der St. Albans High School werfen. Was da über die Bühne röhrt, soll dereinst Musikgeschichte schreiben, und fuck, es ist bis heute noch spürbar, was da über die Jungs und Mädels herein brach, die zum ersten Mal AC/DC lauschen durften.

Das flimmert im entsprechenden Filmchen zwar knapp über der Qualität über den Bildschirm, zu dem heutige Handy-Kameras imstande sind, aber ganz offensichtlich waren die Live-Fähigkeiten der Band schon damals über jeden Zweifel erhaben und würden heutzutage jeder Darbietung der sogenannten Garagenband das Wasser abgraben.

Konträr zu diesem Aspekt der AC/DC-Geschichte gibt es auch Humoriges zu bewundern. Beispielhaft hierfür ist der erste Clip, in dem die Band bei den King Of Pop-Awards im Oktober 1975 "High Voltage" zum Besten gibt. Unfassbar die Klamotten! Bon Scott im roten Blazer und blütenweißem, an einen Catsuit erinnernden Fummel mit weiten Schlaghosen und 'passender' roter Fliege, der sich immer wieder im Kabel seines Mikrofons verheddert. Dem seitengescheitelten Publikum fungiert der Shouter dabei als eine Art Vorturner. "You ask me 'bout the clothes I wear" singt Scott die geschichtsträchtigen Zeilen, und ja, nach dieser modischen Vollkatastrophe würde ich Bon heute immer noch gerne befragen wollen. Das kann man sich mit den Siebzigern alleine nicht erklären. Ebenso der (wie immer) im Hintergrund agierende Malcolm. Ey Mann! Wer hat dir bitteschön zu weißen Dreiviertelhosen über knallroten Springerstiefeln geraten? Das geht nicht einmal über 30 Jahre nach diesem Happening, selbst wenn es heutige Fashion-Victims gerne so sähen.

Ebenfalls erwähnenswert der Auftritt vom Oktober 1977 (?) bei einer Live-Übertragung der BBC, bei dem Angus in bester ZDF-Hitparaden-Manier (Gott hab sie selig) vollkommen nassgeschwitzt über die Empore durchs Auditorium hechtet. Fehlten (neben wirklicher Publikumsbegeisterung) nur noch die obligatorischen roten Rosen, die man ihm ans Griffbrett hätte stecken können. Dass die Zeit damals noch nicht wirklich reif war für den Mainstream war, machen derart gelagerte Auftritte deutlich. Wo heute sogar gestandene Herrschaften "geile Scheiße" rufen würden, standen damals oft genug große Fragezeichen über den Köpfen der Twens.

Bezeichnend aber immer: die fabelhafte Umsetzung des Studiomaterials auf der Bühne. Nicht nur einmal fragt man sich, wie es dem Quintett gelang, die Songs derart dreckig/perfekt in Szene zu setzen. Exemplarisch: Die Performance von "Let There Be Rock" Auftritt im Apollo-Theatre zu Glasgow vom April 1978 und das in der Trackliste darauf folgende "Problem Child", bei dem die Band einfach mitten in der Anmoderation von Peter Drummond drauf los rockt und Bon noch ein "thank you Peter!" hinterher schickt. Von ebendiesem Gig in Colchester stammt auch eines, wenn nicht das Highlight der gesamten Box. "Sin City", ohnehin einer der besten Songs wo gibt, mit Bon Scott auf DVD? Wahnsinn. Das muss man sich mal vorstellen: das lief unter dem Motto 'Rock Goes To College'! Ich wäre glatt eines Hirnschlags erlegen, wenn dereinst an der Uni auf einmal diese Combo einmarschiert wäre. Tja, Strafe der späten Geburt sozusagen.

Die Zeit der televisionistischen Anbiederei war aber ohnehin bald vorüber. Diese Ära sollte Bon Scott dann aber leider nicht mehr erleben. Nach dem gerade erst geschafften Durchbruch mit "Highway To Hell" kam dann der (auch heute vereinzelt noch so bezeichnete) 'neue Sänger': Brian Johnson. Mit ihm sahnten sie dann ab, wofür sie mit Bon den Grundstein gelegt hatten.

Es mag vielleicht ein wenig vermessen klingen, aber mit Johnson waren AC/DC eine ganze Zeit lang eher so etwas wie Erbschaftsverwalter. Die großen Kracher, wie sie sie mit Scott am Fließband produzierten, kamen im Verbund mit Johnson nur noch vereinzelt zum Vorschein. Das führt uns zur zweiten DVD. Stark hier Johnsons Leistung bei "Shot Down In Flames" von einer japanischen TV-Übertragung. Für die obige Theorie spricht auch, dass sich Zeugs wie "Bedlam In Belgium" und "Hail Caesar" in die Trackliste geschmuggelt haben; wahrlich keine Knaller des AC/DC-Back-Kataloges. Überhaupt stammt der Großteil der Box-Songs noch aus der Scott-Ära.

Politisch wird's, wenn die Mannen um Angus im Oktober 1991 in Moskau spielen, wo noch wenige Wochen zuvor die Panzer der alten stalinistischen Garde durch die Straßen rollten. Etwas geschmacklos kommt es deshalb rüber, die gefilmte Trauerfeier für drei Tote mit den Glockenschlägen von "Hells Bells" zu untermalen und die militärische Ehrengarde im Takt zur Bass-Drum marschieren zu lassen. Bäh! Zumal Angus im Interview anerkennende Worte für diejenigen findet, die sich den Tanks in den Weg stellten.

Dass aber auch die Ära Johnson neben den "Back In Black"-Geschichten historisch Zählbares ablieferten, verdeutlicht z.B. die Übernummer "For Those About To Rock", zwar mit nach wie vor eher bescheidenem Text, aber: FIRE!

An diesem hohen Level bissen sie sich während der Achtziger gehörig die Zähne aus. Nach dem ersten Lichtblick 1990 mit "Razor's Edge" überzeugten sie erst wieder mit dem grandiosen Comeback "Stiff Upper Lip". Das merkt man auch dem Auftritt im Zirkus Krone-Bau an. Wirklich erstaunlich, wie es die Kameraführung hinbekommt, in dem eher kleinen Rundbau den Eindruck zu erwecken, die Band würde in einem Riesenklotz spielen. Hier machen sich optisch (und bei Brian Johsnon vereinzelt auch stimmliche) Abnutzungserscheinungen bemerkbar, aber Jungs: wer von uns dereinst in dem Alter der Herren noch ohne Plauze oder Platte sei, werfe den ersten Stein.

Das Bonus-Zeugs ist auch auf DVD zwei sehenswert. Wenn etwa Angus Young 1984 proklamiert, dass diejenigen, die behaupten, sie hätten bislang elfmal dasselbe Album aufgenommen, lügen würden, da sie es ja schon zwölfmal getan haben. Was mir aber vollkommen abgeht, ist die Performance von "Rock Me Baby" der Young-Brüder zusammen mit den Rolling Stones. Fragt mich nicht, warum, ist einfach so.

Die dritte DVD, die nur der Deluxe-Edition beiliegt, vereint sowohl die Scott als auch die Johnson-Jahre. Wirklich essentiell wichtig sind aber eher die beigelegten Goodies. Als da wären: Backstage-Pässe vergangener Touren und eine Eintrittskarte. Damit kann man eindrucksvoll belegen, dass man schon Anno Currywurst AC/DC-Fan war, selbst wenn der eigene Aggregatszustand damals noch flüssig war.

Fazit für "Plug Me In": Granate. Auch wenn der große Teil der Aufzeichnungen nicht mehr heutigen Standards entspricht, ist das vorliegende Package ganz ganz sicher lohnenswert. Nicht zuletzt unter historischen Gesichtspunkten. Also liebe Musiklehrer: Box kaufen, und ihr habt ein paar Doppelstunden lang vor den Bälgern Ruhe.

Trackliste

DVD 1 (1975-1979)

  1. 1. High Voltage
  2. 2. It's A Long Way To The Top (If You Wanna Rock'n'Roll)
  3. 3. School Days
  4. 4. T.N.T.
  5. 5. Live Wire
  6. 6. Can I Sit Next To You Girl
  7. 7. Baby Please Don't Go
  8. 8. Hell Ain't A Bad Place To Be
  9. 9. Rocker
  10. 10. Rock'n'Roll Damnation
  11. 11. Dog Eat Dog
  12. 12. Let There Be Rock
  13. 13. Problem Child
  14. 14. Sin City
  15. 15. Bad Boy Boogie
  16. 16. Highway To Hell
  17. 17. The Jack
  18. 18. Whole Lotta Rosie

Bonus Features

  1. 19. Interview At Sydney Airport, April 1976
  2. 20. Interview In Covent Garden, London, July 1976
  3. 21. Baby Please Don't Go
  4. 22. Problem Child
  5. 23. Interview/Dirty Deeds Done Dirt Cheap
  6. 24. Bon Scott Interview
  7. 25. Rock'n'Roll Damnation
  8. 26. Live And Interview
  9. 27. Live Super 8 Bootleg Film

DVD 2 (1981-2003)

  1. 1. Shot Down In Flames
  2. 2. What Do You Do For Money Honey
  3. 3. You Shook Me All Night Long
  4. 4. T.N.T./Let There Be Rock
  5. 5. Back In Black
  6. 6. T.N.T
  7. 7. Shoot To Thrill
  8. 8. Guns For Hire
  9. 9. Dirty Deeds Done Dirt Cheap
  10. 10. Flick Of The Switch
  11. 11. Bedlam In Belgium
  12. 12. Back In Black
  13. 13. Highway To Hell
  14. 14. Whole Lotta Rosie
  15. 15. For Those About To Rock (We Salute You)
  16. 16. Gone Shootin'
  17. 17. Hail Caesar
  18. 18. Ballbreaker
  19. 19. Rock And Roll Ain't Noise Pollution
  20. 20. Hard As A Rock
  21. 21. Hells Bells
  22. 22. Ride On
  23. 23. Stiff Upper Lip
  24. 24. Thunderstruck
  25. 25. If You Want Blood (You've Got It)
  26. 26. The Jack
  27. 27. You Shook Me All Night Long

Bonus Features

  1. 28. Beavis And Butt-Head "Ballbreaker Tour" Intro Film
  2. 29. Hells Bells - Interview And Live
  3. 30. Interview
  4. 31. Gone Shootin'
  5. 32. Rock Me Baby

DVD 3 ("Between The Cracks")

  1. 1. She's Got Balls
  2. 2. It's A Long Way To The Top (If You Wanna Rock'n' Roll)
  3. 3. Let There Be Rock
  4. 4. Bad Boy Boogie
  5. 5. Girls Got Rhythm
  6. 6. Guns For Hire
  7. 7. This House Is On Fire
  8. 8. Highway To Hell
  9. 9. Girl's Got Rhythm
  10. 10. Let There Be Rock
  11. 11. Angus Statue Intro
  12. 12. AC/DC Live At Houston Summit, October 1983:
  13. 13. Guns For Hire
  14. 14. Shoot To Thrill
  15. 15. Sin City
  16. 16. This House Is On Fire
  17. 17. Back In Black
  18. 18. Bad Boy Boogie
  19. 19. Rock And Roll Ain't Noise Pollution
  20. 20. Flick Of The Switch
  21. 21. Hells Bells

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