laut.de-Biographie
Alfa Mist
Als Alfa Sekitoleko im Londoner Osten aufwächst, war nicht unbedingt abzusehen, dass er später einmal als Alfa Mist die internationale Jazzszene aufmischen würde. Eigener Aussage zufolge hatten er und seine Community damals keinerlei Berührungspunkte zu dieser Welt. "Da wo ich herkomme, gab es keinen Zugang zu Jazz. Die Gesellschaft ließ uns glauben, es gäbe für schwarze Kids in ähnlichen finanziellen Verhältnissen wie ich nur drei Optionen: Entweder du wirst Sportler, Musiker oder Krimineller."
Seine Kindheit und Jugend verbringt der 1991 geborene Alfa Mist in Newham, einer von nur zwei Londoner Bezirken, wo ethnische Minderheiten die Bevölkerungsmehrheit ausmachen. Erste musikalische Gehversuche unternimmt er in der lokalen Grime-Szene. Pausen in der Schule verbringt er mit Fruity Loops und bastelt Beats. Weil er sich irgendwann fragt, warum seine Kreationen weniger geil klingen wie die seiner Vorbilder J Dilla und Madlib, beginnt er, in anderen Genres – unter anderem dem Jazz – zu graben. Bloßes Sampling wird ihm auf Dauer aber zu öde, also beschließt er, sich selbst beizubringen, wie man diese Art von Musik macht. Er schafft sich Harmonielehre drauf und entwickelt sich über die Jahre zu einem formidablen Pianisten.
So entwickelt Alfa Mist einen Stil zwischen Hip Hop-Beatmaking und improvisationsgetriebenem Jazz. Obwohl zwei grundverschiedene Welten, sieht er doch eine wesentliche Parallele zwischen beiden: "Als wir anfangs Grime-Beats gebaut haben, improvisierten wir mit unseren limitierten Fähigkeiten – wir hatten keine Ahnung von Musiktheorie, drückten einfach Tasten auf der Tastatur und schauten, was gut zusammen klang. Jazz liegt am anderen Ende des Spektrums, funktioniert aber ähnlich: Du weißt zwar jetzt total viel über die Theorie, musst aber trotzdem improvisieren und weißt nicht, wohin es als nächstes geht. In beiden Fällen kennt man also nicht den nächsten Schritt."
2013 lädt er erste Tracks auf Soundcloud hoch, 2014 veröffentlicht er gemeinsam mit der Sängerin Emmavie ein erstes Album "Epoch", das in Soul und R'n'B verwurzelt ist. Für seine erste Solo-EP "Nocturne" – die mit elf Tracks auch schon als Album durchgehen könnte – kollaboriert er unter anderem mit Tom Misch, Jordan Rakei und Kaya Thomas-Dyke. Mit letzterer wird ihn eine jahrelange künstlerische Partnerschaft verbinden, sie taucht sowohl als Bassistin als auch Sängerin auf vielen kommenden Werken wieder auf, ähnlich wie der erstmals auf dem offiziellen Debütalbum "Antiphon" (2017) in Erscheinung tretende Gitarrist Jamie Leeming.
Während "Nocturne" noch von kurzen, Loop-basierten Tracks lebte, öffnet Alfa Mist sich auf "Antiphon" nun ganz dem Jazz. Zwar rappt er vereinzelt, doch überlange Improvisationsstücke prägen die Platte maßgeblich. Die Kombination trifft offensichtlich einen Nerv. "Antiphon" beschert Alfa Mist seinen Durchbruch, wenn auch auf etwas unglückliche Art und Weise. Jemand leakt das Album und der Upload geht auf YouTube viral.
"Antiphon" dient nicht nur musikalisch als Richtschnur für Alfa Mists weiteres Schaffen, sondern auch konzeptuell. Als Grundlage für die Songs dienen ihm Gespräche mit seinen Brüdern über ihre Gedankenwelt und Beziehungen. An den Nachfolger "Structuralism" geht er mit ähnlichem Ansatz heran: Er unterhält sich mit seiner Schwester über Debattenkultur, persönliche Entwicklung als Mensch und ihr Aufwachsen in East London und komponiert den Soundtrack dazu. Später flicht er auch die ugandische Herkunft seiner Mutter mit in seine Musik ein.
Fortan vergeht kein Jahr ohne neues Release von Alfa Mist. 2020 interpretiert er gemeinsam mit dem London Contemporary Orchestra eines seiner alten Stücke neu, gründet mit dem Drummer Richard Spaven das Duo 44th Move und veröffentlicht eine gleichnamige EP, nachdem er wenige Monate zuvor bereits sein erstes Werk mit Solopiano-Stücken herausgebracht hat: "On My Ones". 2021 folgt das nächste reguläre Studioalbum "Bring Backs". 2022 hört man Kollaborationen zwischen ihm und Ólafur Arnalds, Carmody und Flo Filz. Währenddessen schreibt er an "Variables", das im April 2023 erscheint. Außerdem betreibt er das Label Sekito Records, wo neben eigenen Alben unter anderem Werke von JSPHYNX, Jamie Leeming und Rudi Creswick im Repertoire stehen.
"Ich war noch nie ein 'Ein Album alle vier Jahre'-Typ", erklärt Alfa Mist seine vielen Aktivitäten. "Ich möchte jedes Jahr neue Projekte rausbringen. Musik ist eine Erweiterung meines Lebens. Musik ist das Geschenk, das niemals aufhören wird, etwas zu geben. Ich versuche immer, etwas neues zu finden. Es wird immer Fragen geben und ich suche einfach nach neuen Wegen, sie zu beantworten."