laut.de-Kritik

Verträumter Nu Jazz führt in eine dystopische Welt.

Review von

Nu Jazz, die Verbindung von Elektronik und Jazz, erlebte ab Mitte der 90er-Jahre einen künstlerischen Boom. Die dunklen Tiefen des Genres lotete Amon Tobin 1998 mit "Permutation" aus und sorgte zugleich für den Höhepunkt dieses Stils. Ein Jahr zuvor veröffentlichte der Trompeter Nils Petter Molvaer mit "Khmer" sein Grenzen überwindendes Debüt. Um die Jahrtausendwende herum kam es jedoch zur fortschreitenden Kommerzialisierung von Nu Jazz, so dass dieser Stil zunehmend in Vergessenheit geriet.

Alfa Sekitoleko, alias Alfa Mist, ein Autodidakt, der sich das Klavierspielen selbst beigebracht hat, gilt als Teil der modernen Londoner Jazzszene. Aber anstatt sich wie Shabaka Hutchings afrofuturistischen Visionen und spirituellen Klängen zu widmen, treibt er auf "Roulette" seine zugängliche Mischung aus Jazz-Rap, Soul, Fusion und Elektronik geradezu zur Perfektion und könnte somit für die erfolgreiche Rehabilitierung von Nu Jazz sorgen.

Die melancholischen Streicher zu Beginn in "Reincarnation" entführen in eine Welt, in der Reinkarnation als wissenschaftlich nachgewiesen gilt. Danach rappt Homeboy Sandman zu entspannten Bläsern und Jazz-Rap-Beats davon, dass sich diese Welt als doch nicht so idyllisch herausstellt, wie man es zunächst vermutet. Man befindet sich nämlich mitten in einer Dystopie.

Jedoch braucht die Platte nicht viel Text, um die Story voranzutreiben. Das schaffen Alfa Mist und seine Mitmusiker größtenteils auch instrumental. Das Titelstück bildet ein rhythmisch komplexes Jazz-Stück, das ein Trompeten-, Fender Rhodes- und Gitarrensolo erfolgreich unter einen Hut bringt und mit seiner spätabendlichen, verträumten Atmosphäre die weitere Fährte für den Verlauf legt.

So hat im nachdenklich souligen "All Time", gesungen von Tawiah, auch die Liebe in der Dystopie ihren Platz. Wenig später rappt Alfa Mist in "9 Months" zu verträumten Bläser- und Keyboardklängen über Korruption, so dass man wieder auf den harten Boden der Realität zurückkommt, bevor die Nummer klanglich eine düstere Abzweigung nimmt. Eine Nähe zu früheren DJ Shadow-Veröffentlichungen lässt sich dabei nicht verleugnen. Insgesamt soll der Hörer jedoch die Geschichte mit eigenen Gedanken füllen, wie der textlich vage R'n'B-Track "Always Be", den Kaya Thomas-Dyke mit ihrer samtweichen Stimme veredelt, verdeutlicht.

Eine Menge passiert dennoch, obwohl so gut wie alle restlichen Stücke ohne Vocals daherkommen. Lediglich im psychedelischen "Give Nothing", das zu Beginn mit Drum'n'Bass flirtet, streut Alfa Mist noch ein paar verrauchte Raps ein. In "Found You" schließt nahtlos ein Solo an das andere an. "Avoid The Drones" baut mit nervösen Drum-Beats, dem gelungenen Zusammenspiel von Trompete und Saxofon und futuristischer Elektronik etwas Unbehagliches auf. "From East" schafft mit seiner schwebenden und luftigen Atmosphäre einen Raum, in dem jedes Instrument atmen kann. "Black Snow" rundet das Werk als sanfte Ballade nach John Coltrane-Machart traditionell und bodenständig ab.

Alfa Mist wäre zu wünschen, dass er mit der Platte aus dem Schatten der Londoner Jazzszene heraustritt und größere Anerkennung erfährt. Kopfnicker, Elektronik- und Soul-Liebhaber sowie aufgeschlossene Jazz-Hörer dürfte "Carousel" nämlich gleichermaßen ansprechen.

Trackliste

  1. 1. Reincarnation
  2. 2. Roulette
  3. 3. You're Not Blind
  4. 4. All Time
  5. 5. Between Lives
  6. 6. 9 Months
  7. 7. Found You
  8. 8. Dersen Cafe
  9. 9. Always Be
  10. 10. Avoid The Drones
  11. 11. Who Were You?
  12. 12. Give Nothing
  13. 13. Give Anything
  14. 14. From East
  15. 15. Black Snow

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