laut.de-Kritik
Sorry, kein Bock auf Deine Story!
Review von Martin TenschertSchweden ist in vielen Belangen mit gutem Beispiel vorangegangen, sei es im Sozialwesen, mit günstigem Mobiliar oder auch in der Kunst wie mit Filmemacher Ingmar Bergman. Kultur meint auch Tim Berglind transportieren zu müssen, unter seinem EDM Haudrauf Alias Avicii nämlich. Nein, das ist keine süßliche Sektsorte, sondern immerhin eines der Aushängeschilder sogenannter House-Musik neueren Datums.
"Stories" möchte uns der Jüngling erzählen, gleich vierzehn mal sogar auf seinem zweiten Album. Ist ja irgendwie auch immer Definitionssache mit der Story. Eißfeldt hätte unter diesen Umständen eventuell gesagt: "Sorry, kein Bock auf Deine Story!" Man sollte sich dennoch der neuen Welle elektronischer Musik nicht verschließen, hat sie doch die Charts der Welt im Griff, und selbst Stars wie Snoop Dogg lechzen nach Collabos mit europäischen DJs vom Schlage eines David "Happy and You Know It" Guetta.
"Waiting For Love" gießt aber gleich zu Anfang eine ganz schreckliche Sound-Soße aus, so dass der Vorschussbonus polkappengleich rapide zerschmilzt. Ein super abgedroschenes Piano mit einem "Gesang", für den sich selbst Rod Stewart schämen würde, zerrt an den Geschmacksnerven.
Auch "Talk To Myself" verliert sich in absoluter hirnerweichender Radiotauglichkeit. Die Vocals lenken in solch einem Fall nicht von dem schrecklichen Instrumental ab, sie verstärken vielmehr dessen verheerende Wirkung. "Touch Me" ist hingegen ein ganz lockerer deeper Kracher, der das Label "House" ausnahmsweise mal wirklich verdient hat. Dieser Spirit wird aber umgehend von einer nöligen Pseudosoul-Ballade namens "Ten More Days" zerstört, zehn weitere Tage solche Mucke hören, das wäre allerdings würdelos.
Auch eine seltsame Power Country-Nummer hat über verschlungene Pfade eine Möglichkeit gefunden, ihre ganz eigene Geschichte zu erzählen: "Broken Arrows" schlägt nachdenkliche Töne an und reflektiert auf sanfte Art und Weise den Sinn des Lebens ("Sometimes you lose and sometimes you shoot broken arrows in the dark"). Wenn man beim shooten wenigstens noch keinen Strom im Studio gehabt hätte, es war doch angeblich dark!
Die große Powergeste beherrscht der Schwedenhappen selbstredend auch, "Sunset Jesus" ist Gotteslästerung im Fanfarenpianogewand. Unsere flippigen Reggae-Fans dürfen wir auch nicht vergessen, in Aviciis Kirche ist ein jeder gar willkommen. "Cant Catch Me" kommt dann auch holprig, mehr autistisch als authentisch mit Unterstützung einer Lagerfeuergitarre und kecken Rastafari-Vocals umme Ecke.
"Trouble" fasst die klanglichen Garstigkeiten dann noch mal grundlos gnadenlos zusammen: Roughe Vocals, komprimierte Kick und irgendwelche Baukasteninstrumente führen einen rigiden Reigen auf, der beim Hörer auf der A8 sofort das Risiko des gefährlichen Sekundenschlafs ins Unermessliche steigen lässt. Was soll man sagen, Avicii ist bestimmt ein netter Kerl und die Tracks klingen vom Engineering her auch fett, aber sie sind einfach seelenlos. Diese Geschichten wurden jedenfalls schon auf verschiedenste Art und Weise besser und spannender erzählt.
5 Kommentare mit einer Antwort
Der Album-Opener passt insofern, als dass man sich auf die Abgründe des Albums frühzeitig gefasst machen kann. Ohne Ironie: keine gute Entscheidung, mit dem Song anzufangen.
Und das Album ist wirklich zu viel Kalkül. 3 oder 4 Lieder sind okay, der Rest belanglos.
Da hatte ich nach der Single "The Days" (mit Robbie Williams) mehr Hoffnung. Schade
https://www.youtube.com/watch?v=fhhUkWapiHQ
Der einzige Moment, an dem Herr Avicii jemals mit Talent in Berührung kam.
Ich denke, in ein paar Jahren wird sich zeigen, wer das Giganten-Duell um die furchtbarste Genre-Vergewaltigung aller Zeiten gewinnt: Avicii oder Guetta. Man könnte ja meinen, der monetäre Aspekt beherrscht die Art der Kollabo und Produktion. Aber bei diesen beiden Volldödeln habe ich bisweilen den Eindruck, dass sie ihre Mucke sogar noch geil finden.
https://www.youtube.com/watch?v=aNCI7kdGF_4
Ein echter Volks.DJ eben ...
Musste mich mal eben registrieren, weil ich das hier so nicht stehen lassen kann. Eines der besten Alben der elektronischen Musik eines absoluten Ausnahmekünstlers wird hier von absoluten Amateuren mit ekelhaften und bideren Kommentaren in den Boden gestampft. Heute, 2022 wird man es wohl besser wissen, dass Stories 2015 ein Meisterwerk war und es heute umso mehr ist. Jeder einzelne Track. Wer allein bei Ten More Days so einen Qautsch von sich geben kann, wie hier der Autor, verpasst wohl jede Möglichkeit weiterhin ernst genommen werden zu können. Befasst man sich mit der Leidensgeschichte des Künstlers Tim Bergling, so wird umso deutlicher, wieviel Seele dieses Album hat. The mind fears the heart, but the heart doesnt mind. Das Album sprudelt nur so von nachdenklichen Passagen mit sauber produzierten beats. Führt man sich zu gemüte, welche (ausnahme)Tracks es nicht in dieses Album geschafft haben wird noch klarer, welche Qualitätsansprüche dieser Künslter hat.