laut.de-Kritik

Die ganz eigene Mischung aus Pop und Avantgarde.

Review von

Der Slogan 'Anything Goes' trifft die Haltung des Sextetts aus Boston ziemlich gut. Mit "Land Animal" wuchten Bent Knee nun bereits ihre zweite Scheibe innerhalb eines Jahres auf den Markt. Der Labelwechsel zu Inside Out brachte die Bürde mit sich, schnell ein neues Produkt vorlegen zu müssen. Innerhalb kürzester Zeit erledigte die sich noch auf der Abschieds-Tournee von The Dillinger Escape Plan befindliche Band das Songwriting und nahm die Scheibe bis Ende des Jahres 2016 auf.

Was für viele junge Musiker einen Stolperstein darstellte, nehmen die vier Herren und zwei Damen dankbar an. Sie ziehen quasi ein Resümee ihres bisherigen Wirkens. Da der musikalische Kosmos, in dem sich die Band bewegt, riesengroß ist, kommt es zu keinen Selbstzitaten oder unbeholfenen Kopien. Änderungen findet der Fanboy im Detail, betreffend die Statik der jeweiligen Songs.

Metrisch durchdacht und rhythmisch vertrackt legen insbesondere Bassistin Jessica Kion und Drummer Gavin Wallace-Ailsworth ein grooviges Fundament, das seine Heimat eher bei modernen Hip Hop-Größen wie Kendrick Lamar oder Flying Lotus findet als im Art- oder Progrock. Ausnahmevokalistin Courtney Swain nutzt diese Steilvorlage, um ihre Melodien irgendwo zwischen der Avantgarde von Björk, dem Rock von Tori Amos und dem Pop einer Adele zu verwirklichen.

Auch thematisch findet die Artrock-Hoffnung mit den sozialen Spannungen und veränderten Lebens- wie Umweltbedingungen, die der technologische Fortschritt mit sich bringt, das lyrische Pendant zur musikalischen Zerrissenheit. Der Titeltrack verfügt über eine vergleichbare Intensität wie Steven Wilsons "Raven" und bringt in fünf Minuten die Ups und Downs kreativen Wirkens auf den Punkt.

In "Inside In" wächst ein dezent an Hans Zimmers "Interstellar" angelehntes Thema und entfaltet sich, bis Violinist Chris Baum im ekstatischen Finale ein ganzes Orchester mimt. "Terror Bird" beleuchtet die Hektik und Abgestumpfheit einer reizüberfluteten Generation und lässt in seiner Rastlosigkeit den Hörer mit blank liegenden Nerven zurück.

"Holy Ghost" hätte vermutlich eine Beth Ditto gerne geschrieben: Der Track trieft nur so vor Aufmüpfigkeit und Sex. "Boxes" entlässt den Hörer mit einer Ode ans Sterben, bei der Produzent Vince Welch Schicht um Schicht aus dem Mix entfernt, bevor der schleppende Groove von Drummer Wallace-Ailsworth alleine erklingt und jäh endet.

Insgesamt fügt die Band ihrem Artrock eine Prise mehr Pop zu, eingedenk der Tatsache, das kein Teil sich klanglich wiederholt und Songs mit Refrain eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. Pop und Avantgarde kreieren hier eine eigene Mischung die im Ohr hängen bleibt und gleichzeitig dem Gleichgewichtssinn ein Bein stellt.

Trackliste

  1. 1. Terror Bird
  2. 2. Hole
  3. 3. Holy Ghost
  4. 4. Insides In
  5. 5. These Hands
  6. 6. Land Animal
  7. 7. Time Deer
  8. 8. Belly Side Up
  9. 9. The Well
  10. 10. Boxes

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LAUT.DE-PORTRÄT Bent Knee

Gitarrist Ben Levin und Sängerin/Keyboarderin Courtney Swain heben 2009 in Boston ihr musikalisches Baby aus der Taufe. Zunächst nur als loses Songwriting-Projekt …

4 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Bisschen zu hysterisch manchmal die Gute, ansonsten geht das schon in Ordnung mit dem Gesinge von Courtney. Spannend ist die Scheibe auf jeden Fall, ob man sich nun Stück für Stück erarbeiten muss/will oder es einfach nur flutscht, lässt einem erst mal nicht los. Holy Ghost ist das Brett was es auch brauchte, schnell was hängen bleibt angesichts der Komplexität des Material, erst mal wenig auf Anhieb. Breitbandig überschwappendes Soundgerüst vorhanden, was für Langzeit- Verarbeiter. Eine rein bratzende Gitarre o. Pausen in Form eines schönen Refrains, hätten es eventuell leichter gemacht, die wissen technisch schon was sie tun. Songwriting ist aber wohl der Hacken bzw. der fehlende Point?

    Gruß Speedi

    • Vor 7 Jahren

      Ich kann dir nur zustimmen und muss auch wirklich sagen, das du mit deiner Kritik deinen Hacken in die richtige Ösen hacken tust Stephan. Sie macht ja auch schon spannende bis überspannte Songs jedenfalls alle mit Hochspannung und bohrt ihr Rockbrett an den richtigen Stellen und für das damit das alles nicht völlig überschwappt gibt dem Gerüst da immer noch die Rockröhre Courtney die den fließenden Flutsch immer
      in die richtigen Bahnen lenkt. Und mit dieser wohl dosierten Bewesserung kann da auch was wachsen und wachsen und wachsen (und das nicht an den falschen Stellen! ;) ) Eine fette untermalung der Songs mit bratzigen Gitarenklang und wummernden Rockklavier sind auch vorhanden und transportieren eine Energie wie man es sonst nur von RWE kennt aber mit ihrer Songschreibere ja da beißt die Maus ja nun kein Faden ab es ist eine Schwäche die man kritisieren kann und sogar muss als Kritiker man kommt nicht drumherum :P trotzdem würde ich diesem Album auch three(3) Points geben :)

  • Vor 7 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 7 Jahren

    irre gutes album. teile teils auch speedi's meinung, bei dessen stream of consciousness man durchaus durchsteigen kann, wenn man nur will. nur ein "breitbandig überschwappendes soundgerüst" ist mir bisher noch nicht untergekommen.
    hab selten erlebt, wie innerhalb eines jeden songs eines albums (wobei es darunter 2-3 eingängigere titel gibt) so viel passieren kann und sich ändern kann hinsichtlich rhythmus, melodien, motivik, geschwindigkeit, tonstärke, art der instrumentierung etc., von der unfassbar variablen gesangsleistung ganz zu schweigen, sodass sich beim hören eines einzelnen songs ebenso wie des ganzen albums beim hörer (mir :p) ein berauschendes wechselbad der gefühle ereignet, ohne dass er sich irritiert oder überfordert fühlt..
    eine "reinbratzende gitarre" oder "pausen in form eines schönen refrains" würden meiner meinung nach das große ganze, das gesamtkunstwerk zerpflücken, auch wenn sie sicherlich in einzelnen songs manchmal wünschenswert sind, aber nur dann, wenn man diese typischen elemente erwartet, statt sich ganz auf den song einzulassen.
    letztlich schreib ich auch nicht weniger oder mehr verständlich als speedi, am ende zählen der gute wille und die grundsätzliche idee ;)

  • Vor 6 Jahren

    Ich kann nur sagen: schaut sie euch live an!