laut.de-Kritik
Gebt dem Sakko-Entertainer eine zwölfte Chance!
Review von Christoph DornerMan könnte fast meinen, Bernd Begemann sänge zu Beginn seines neuen Albums keines dieser zigfach erprobten Lieder über das Scheitern einer Liebe aus seinem postpubertären Blickwinkel, sondern vielmehr ein unterschwelliges Klagelied über das Schicksal als ewig verkannter Independent-Musiker: "Hi, erinnerst du dich / Ich bin der, wo es schon mal nicht geklappt hat / Den du schon mal von vorne an satt hast."
Solche Sätze könnten in Zeiten, in denen sogar sein alter Busenkumpel Thees Uhlmann ganz vorne in den Charts mitmischen darf, durchaus auch für künstlerische Verbitterung stehen. Doch Begemann wäre eben nicht jener Begemann, der früh aus der ostwestfälischen Provinz nach Hamburg emigriert ist und seit Jahren im alten Audi 90 durch die Lande tingelt, wenn er als Beat-Poet und Sakko-Entertainer nicht sogar das eigene Scheitern zu einer Pointe verkehrt.
"Wir sind zweimal zweite Wahl", sang Begemann vor Jahren – damals ein lyrischer Todesstoß für so manch mittelmäßige Paarbeziehung. Nun überdehnt er die Redewendung der zweiten Chance und fordert gleich eine zwölfte ein. Es ist nach inoffizieller Zählweise auch sein zwölftes Album mit oder ohne die Befreiung bzw. seinen alten Kompagnon Dirk Darmstädter. Jeder Begemann-Fan weiß so schon nach den ersten gut 40 Sekunden, dass er dieses Album haben muss - weil Begemann das tut, was er am besten kann: Spinnen und Träumen.
Mit dem angejazzten Piano-Pop von "Teil der lebendigen Stadtteilkultur" und dem funkigen "Die Slums von Eppendorf" liefert er gleich zwei spitzfindige Beiträge zur Gentrifizierung von Hamburg. Er singt breitbeinig rockend über Beziehungspolitik ("Ich erkläre diese Krise für beendet"), nimmt mit dem lässigen Groove seiner Begleitband einen dummen Typen auseinander ("Dein Trottelfreund meint") und drängt sich auch mit bald 50 Jahren noch auf die Tanzfläche.
Begemann ist bei allem Hang zu leicht schwachsinniger, ironisierender Unterhaltungsmusik auch ein aufrichtiger Romantiker. Mit "Wilde Brombeeren", "Beschädigt" und "Du wirst mein Süden sein" hat er auch auf diesem Album wieder drei dieser feinfühlig erzählenden Lieder, wie sie ein Jochen Distelmeyer nicht schöner schreiben kann.
Sein Label Tapete hat schon recht: "Die große Masse ignoriert seine Songs? Ihr Problem." Einer wie Begemann freut sich sogar, wenn Westernhagen, Naidoo und Grönemeyer mit ihrer Musik Seelen retten und Millionen verdienen, während er im Aachener Musikbunker auftritt. Er hat auf immer eine neue Chance verdient.
2 Kommentare
Schöner Text, muss mir die Platte unbedingt noch holen! Bernd ist der größte Entertainer neben Andreas Dorau und Udo Jürgens.
auf album ziehts mich nicht, live allerdings heftigst unterhaltsam... "Death-Metal-Eltern-Erschreckungs-Tonlage" und so...