laut.de-Kritik
Horror und Hip Hop auf einem völlig neuen Level.
Review von Yannik Gölz"Golliwog" von Billy Woods wird das Verhältnis von Horror und Hip Hop neu definieren. Die Schnittmenge dieser beiden Genres hat ja durchaus Geschichte: Ganz früher haben schon die Geto Boys oder die Three 6 Mafia zu schockieren versucht, was dann schließlich mit Artists wie Bizarre oder der Insane Clown Posse ins völlig Absurde mutiert ist. Im Kleineren gibt es surreale Projekte wie Clipping, Blxckwash oder manche Teile der Death Grips-Diskographie. Das ist alles cool, vieles davon auch ohne Abstrich fantastische Musik und guter Grusel. Aber: In den vergangenen zehn Jahren hat sich auch im Horrorkino etwas Grundlegendes verändert. Nach Jahrzehnten, die von Post-Slasher-Ironie, Found Footage-Schockern und Torture Porn geprägt waren, haben Regisseure wie Ari Aster und insbesondere Jordan Peele das Potential des Mediums wiederentdeckt, Horror als Vehikel für all die realweltlichen, politischen Abgründe zu benutzen.
Billy Woods neues Album "Golliwog" ist ein Instant Classic und wird für die Musikindustrie das sein, was "Get Out" und "Midsommar" für die Filmwelt waren. Es ist ein zehntausendschichtiges, erdrückend atmosphärisches Projekt, so klug, dass man allein über die Dichte der Referenzen vermutlich tagelang an jedem Text knobeln könnte - und doch so augenblicklich erschütternd und wirkmächtig, dass man sich dem kaum entziehen kann. Billy Woods rappt wie ein entfesseltes Medium, wie der Grenzstein zwischen seinen eigenen Traumata, den historischen Wunden des schwarzen Amerikas und einer noch tieferen Unterströmung an Zombies, Voodoopuppen und Geistern.
Schon der Intro "Jumpscare" deutet an, auf was wir uns einstellen müssen. Der erste Verse fühlt sich an wie ein Trailer, in dem das Gruselkabinett einmal probeweise aufmarschieren darf. Aufmacher des ganzen Albums ist die Golliwog-Puppe, ein Spielzeug, das die rassistischen Darstellungen schwarzer Menschen in den Minstrel-Shows in die europäischen Kinderzimmer seiner Zeit exportiert hat. Der von schwarzen Hunden zerfledderten Puppe folgt eine Figur, die an den Candyman erinnert, es folgt der Geist von Cecil Rhodes, der die Apartheit nach Südafrika gebracht hat, dürre, unsichtbare Freunde, düstere Gedichte: Billy Woods beschwört den ganzen Asphalt voller unheimlicher Kreaturen, von denen jede auf den zweiten Blick eine politische Dimension besitzt. Im zweiten und dritten Part erklärt er dann den Plan dieses Albums: "The dead don't speak to the living, something not for us to know / The dead drift like empty boats / My people fled to the mountains, but it's nowhere the white man won't go", zeichnet er die Verbrechen der Kolonialzeit nach und holt sie in die Gegenwart zurück: "The English language is violence, I hotwired it / I got a hold of the master's tools and got dialed in" - oder noch klarer: "History is a snare struggling, rope ever more taut / On my death bed, chuckling about all that time I bought".
Der Horror dieses Albums kommt nicht von Ghulen oder Axtmördern. Der Horror dieses Albums ist die Realität der Geschichte, der wir alle nicht entkommen können, die aber manche mehr affiziert als andere. Wirklich bedrückend macht er das auf dem absoluten Highlight-Track "Waterproof Mascara". Ich verstehe den so, dass wir hier den vom Gras paralysierten Protagonisten verfolgen, der auf dem Gipfel des Highs Visionen aus der Vergangenheit durchlebt. Das fängt mit einem sterbenden Vater und einer äußerst paranoiden Mutter an, mutiert im zweiten Verse dann aber immer tiefer, bis er die Sklaven sieht, die einst in diesem Haus gelebt haben.
"Wake up, bitch, you in the wrong place", gibt der dritte Part dem Erlebten eine grimmige Pointe. Es gibt einen akademischen Begriff für das, was er hier über einen geisterhaft lamentierenden Beat rappt, gespickt mit dem ins Mark gehenden Weinen einer Frau: Hauntologie. Dieses Album versteht jede Dimension von Spuk bis zur Perfektion. Nicht nur, weil ein Spuk gruselig sein kann, sondern weil im Spuk auch Verdrängtes, Verschüttetes und Vergessenes aus dem Boden emporbrechen kann, selbst das, was über das Individuum hinausgeht. "Waterproof Mascara" setzt das Unheil einer systematisch benachteiligten schwarzen Familie und das Unheimliche von spukenden Geistern der Vergangenheit in Beziehung - es ist eine der subtilsten, aber großartigsten Arten, politischen Rap zu machen, den ich je gehört habe.
Immer wieder erleben wir diese treibsandingen Instrumentals, auf denen schlaflose Protagonisten von Alptraum zu Alptraum springen. "Cold Sweat" ist so ein tausendfach in sich selbst geschachtelter Alptraum, der genauso das Gefühl von Zeit und Wirklichkeit zerfasert, noch härter schlägt der Alchemist-Beat auf "Counterclockwise" ein. Billy Woods lahmt aufgewühlt durch seinen Verse, zu Beginn bekommen wir ein Sample aus dem Sci Fi-Film "Primer", in dem ein Protagonist erklärt, wie er in fremden Welten seinen Verstand zu verlieren glaubt. Am Ende hören wir dokumentarische Aufnahmen über die Foltermethoden der CIA. Aufs erste Hören klingen beide Samples an beiden Enden des Verses fast gleich. Es ist nicht der einzige Moment auf "Golliwog", an dem der Horror der Fiktion und der Horror der Realität verschwimmt.
Ein weiterer, absolut übermannender Moment findet sich auf dem Track "Corinthians", wo Woods so akut und direkt politisch wie kaum sonst wird. "Twelve billion USD hovering over the Gaza Strip" rappt er da, "best believe them crackers won't make it to Mars". Er holt die Widersprüche dessen an den Tag, wie das moderne Leben sich uns präsentiert: An der einen Ecke gibt man das große Geld aus, um Menschenmassen umzubringen, an der anderen Seite gibt man das große Geld aus, um Elon Musk auf den Mars zu bringen. Ambient Violence ist ein Begriff, Necropolitics der andere: Ein Leben im Bewusstsein, dass das eigene Leben im großen Ganzen nicht wahnsinnig viel Wert ist, dass gerade über die nichtweißen Menschen der Welt planiert wird. Im Auftakt zu "All These Worlds Are Yours" rappt Woods einen kurzen Part darüber, wie er Videoaufnahmen zu sehen bekommt, in dem ein verstörter, verängstigter Mann gemütlich und ohne Eile von einer Drohne getötet wird.
Damit kommen wir in den völlig unwirklichen Mittelteil dieses Albums, auf dem wir ein paar der abstraktesten, minimalsten Beats hören, die der Hip Hop je gesehen hat. "All These Worlds Are Yours" und "Maquiladoras" grenzen an kosmischen Ambient, über den zufällig jemand rappt. Und die Bilder sind so, so, so makaber: "Amputation how you survive / Can't get away if you don't leave something behind / Trapped a housefly in an upside-down pint glass and waited for it to die / It's still alive".
Am Ende greift Woods auf "Born Alone" noch einmal ein Motiv des Intros auf. Auf dem hat er nämlich gerappt "Looping, looping thoughts / Morose villagers queue in the sun, an ouroboros", jetzt hält er dagegen: "Back in the present
Bustin' open a pack, fingers sticky with resin / I've heard it all before like Russian peasants / That's that loop for you / That's what the loop do / [...] History never repeats, it do rhyme though, tryna catch the loop".
"Golliwog" nutzt, was das angeht, so etwas wie die Tragetaschentheorie der Fiktion: Es erzählt keine Geschichte, es sammelt und sammelt über den Lauf der Spielzeit eine beklemmende Idee nach der anderen. Manches ist real, manches ist fantastisch. Manches, wie die titelgebende Puppe, ist ein reales Objekt, durch das die Vergangenheit ihre unheimliche Fratze zeigt. Dazu kommt ein Horizont an Referenzen, über den die Homies an der Uni sich die kommenden Jahre gerne Gedanken machen dürfen: Wir bekommen Sylvia Plath, unbekannte japanische Noir-Horrorfilme, Stephen King, Lu Xun, Toni Morrison und gar ein georgisches Märchen.
"Golliwog" ist ein Album, das auf den ersten Blick genau so sperrig wie schaurig klingt. Aber im Vergleich zu schwächeren Releases unter dem Schlagwort des Abstract Hip Hop ist hier nichts prätentiös dahingesagt. Es lohnt sich wirklich, dieses Album Track für Track zu hören, den Lyrics zu folgen, die Motive auszuklambüsern, die Referenzen zu ergoogeln. Aus diesem Album führen tausend Fäden in die Tiefe - und je mehr man ihnen folgt, desto erdrückender fühlt sich dieses monolithisch schwarze Album an. Es nutzt Horror und all die Ohnmacht, die man vor dem Leben empfinden kann, um einen größeren, darüber hinaus führenden Punkt zu machen
Um so beeindruckender, dass Billy Woods diesen Sound nicht aus einer Hand, sondern mit ganzen Kohorten an Produzenten und Produzentinnen gesponnen hat. El-P, Kenny Segal, der Alchemist, Steel Tipped Dove, Ant. Es ist irrwitzig, wie diese teils so verschiedenen Musiker zu einem so distinktiven, besonderen Album zusammengefunden haben. Aber vielleicht spürt man hier doch einfach den Respekt an, den Hip Hop gerade zurecht für Billy Woods hat: Dieser Mann zementiert mit "Golliwog" einen Generations-definierenden Untergrund-Run auf dem Level von DOOM oder Ka. Das hier ist wie schon "Maps" ein Album, das man tausendfach hören können wird. Das ist ein Album, das es zu studieren lohnt, wenn man wissen will, wohin Rap führen kann.
2 Kommentare mit einer Antwort
warum haben wir hier ein 5/5 albung und keiner von euch schlingelz reagiert und sagt was dazu?

Banger Album
Das El-P Feature bockt, aber sonst kann ich mir auch Audio 88 geben, wenn ich zuhören will, wie jemand Off-Beat guten Instrumentals die Dynamik nimmt.