laut.de-Kritik

Der Horror-Jazz verwirkt sein Gruseln.

Review von

Ein Klavier, ein Klavier! Bohren, wir danken dir? Nicht ganz. Im Gegensatz zu "Dolores" und "Geisterfaust" gibt es hier kein Herantasten an die Herren aus dem "Gore Motel". Abrupt und wie aus dem nichts stehen sie mitten im Raum, oder vielmehr "Im Rausch". Bereits nach vierzig Sekunden ertönt das Piano, setzt die Band ein. Zwanzig Sekunden darauf folgt Clösers liebgewonnenes Saxophon. Für Außenstehende mag ihre Musik noch wie Unbeweglichkeit klingen, für die in Geduld und Langsamkeit erprobten Fans kommt dies jedoch einem Ejaculatio praecox gleich.

Wie bei einem ersten Besuch bei den Eltern nach dem Auszug fühlt man sich in "Piano Nights" schnell zu Hause, aber doch ebenso unheimlich fremd. Allein in der Nacht schleicht man durch das dunkle, kalte Haus, blickt auf die vergilbten Bilder der Vergangenheit und durchforscht im modrig riechenden Partykeller die alten K-Tel-Sampler nach einem Hauch der Kindheit. Aber so ganz fündig wird man unter dem flackernden Neonlicht der Discokugel nicht.

Nach der bandagierten "Dolores" und der grandiosen Zusammenarbeit mit Mike Patton auf der "Beileid"-EP wollen Bohren und der Club of Gore zu einer neuen Reise aufbrechen. Nur wohin sie diese führen soll, dass wissen sie selbst noch nicht so recht.

So bleibt "Piano Nights" in erster Linie ein Album der zaghaften und gemächlichen Suche. Natürlich zelebrieren die Mühlheimer weiterhin die Langsamkeit auf höchstem Niveau. Diesmal jedoch erstmals auch den Stillstand, den künstlerischen. Ihre Musik verkommt zu den Klischees, mit deren Hilfe man sie sonst so bildreich umschreibt.

In ihrer Zerrissenheit verfallen sie dem Weichzeichner. Zwar schlängeln sich die düsteren Flächen weiterhin wie radioaktiver Nebel aus den Boxen, doch die Wahrhaftigkeit und das Böse gehen verloren. Der Jazzbesen büßt seine Brüchigkeit ein, die hämmernden Bassnoten begeben sich in den Hintergrund.

Bohrens Horror-Jazz verwirkt sein Gruseln. Nach wie vor fein anzuhören und sauber vorgetragen tritt an seiner Stelle zeitlupenhafter James Last-Doom-Jazz. Die Düsternis im Sensemann-Format weicht der Morgendämmerung im Kuschelbär-Pyjama. File Under: Easy Listening.

Bereits mit dem Cover grenzen sich Bohren und der Club of Gore von den Vorgängern ab. Die Band, die ihre Stücke einst "Orgelblut", "Darkstalker" oder "Nightwolf" nannte, zeigt ihren Fans aus der Düsterheimer-Fraktion mit Titeln wie "Unrasiert", "Ganz Leise Kommt Die Nacht" oder gar "Bei Rosarotem Licht" die lange Nase. Ist das noch Bohren oder doch schon Thees Uhlmann? Leise kann man hören, wie sich Benning, Clöser, Gass und Rodenberg im Proberaum über diesen Schabernack eins ins Fäustchen kichern.

Sicherlich, mit "Piano Nights" liefern die Leisetreter keine misslungene Platte. Weiterhin von Anmut besessen navigieren sie sich durch ihr erstes Popcorn-Album. Die große Herausforderung fehlt jedoch ebenso wie der Nervenkitzel, der sich einst zwischen den sich weiter und weiter voneinander entfernenden Noten entwickelte. Die komplexe Faszination, die diese Gruppe ausmachte, findet sich nicht auf "Piano Nights", sondern auf früheren Platten wieder.

Trackliste

  1. 1. Im Rausch
  2. 2. Bei Rosarotem Licht
  3. 3. Fahr Zur Hölle
  4. 4. Irrwege
  5. 5. Ganz Leise Kommt Die Nacht
  6. 6. Segeln Ohne Wind
  7. 7. Unrasiert
  8. 8. Verloren (Alles)
  9. 9. Komm Zurück Zu Mir

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10 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    jepp, clöser scheint hier viel spirit aus der kollabo mit st otten mit ins studio genommen zu haben. das erklärt den neuen - nahezu krautigen - blickwinkel. für mich funktioniert die platte jedoch auch nicht schlechter als "sunset mission" oder "black earth". die lebendigkeit bleibt weiterhin eine illusion, wenn auch eine starke. die untote bitternis schimmert noch immer schimmelpilzig hervor und überlagert am ende alles. für mich deutschlands beste band der gegenwart.

  • Vor 10 Jahren

    "Bohrens Horror-Jazz verwirkt sein Gruseln. Nach wie vor fein anzuhören und sauber vorgetragen tritt an seiner Stelle zeitlupenhafter James Last-Doom-Jazz. Die Düsternis im Sensemann-Format weicht der Morgendämmerung im Kuschelbär-Pyjama. File Under: Easy Listening."

    Das kann man inhaltlich so stehen lassen. Bleibt nur die Frage der Bewertung.Ich für meinen Teil finde diese Entwicklung großartig und frisch! Vielleicht das romantischste Werk aus Mühlheim und von strahlender Schönheit.