laut.de-Kritik

Ein Album für den Voyeur in uns.

Review von

Das Leben eines Musikredakteurs ist zuweilen hart. Zum Beispiel, wenn sich auf dem Schreibtisch der Stapel an neuen CDs so hoch türmt, dass bei Umsturz Gefahr für Leib und Leben droht. Wo soll man anfangen? Bei J.J. Cale? PJ Harvey? Oder doch bei einem Newcomer mit einer hörenswerten Debüt? Es ist zum Heulen.

Da kommt es gerade recht, dass auch Will Oldham geduldig auf den Pressefleischwolf wartet. Schließlich kennt er sich mit dem Thema Tränen aus. Und auch damit, wie man am laufenden Band neue Songs schreibt. Rechnet man seine Konzerte und Auftritte bei mehr oder weniger – meist weniger – bekannten Bekannten zu den Alben unter seinem Zweitnamen Bonnie 'Prince' Billy dazu, bleibt dem bärtigen Mann wohl kaum mehr Zeit, um aufs Scheißhaus zu gehen.

Doch allein wegen dem Cover sticht "Beware" aus den Veröffentlichungen der vergangenen Jahre heraus. Als LP macht es sich an der Wand ganz gut, erinnert es doch an eine Zeichnung Frank Millers. Blutrünstig geht es auf dem Album aber nicht zu, im Gegenteil: Mit neuer Begleitung schunkelt sich Oldham durch Songs, die gewohnt ungewöhnlich von Liebe, Einsamkeit und dem Sinn des Lebens erzählen.

"The more I feel myself / The more alone I am / The more I'm without you / The less I am a man", stellt er gleich in Track zwei, "You Can't Hurt Me Now", fest. "Je öfter ich mich befriedige, desto einsamer bin ich". Ein gestochen scharfes Bild, wie sie der Prinz der Akustik-Finsternis so oft liefert.

Musikalisch erinnert "Beware" weniger an den schon fast experimentellen Studiovorgänger "Lie Down In The Light" als an das Livealbum "Is It The Sea?" mit Slide-Gitarren, Geigen, Banjo und Frauengesang. Mehr Country als Folk, bedeutet das. Mit einer psychedelischen Brise, die aus den 70er Jahren herüberweht, siehe das letzte Stück "Afraid Ain't Me".

Dass Oldhams hohe, brüchige Stimme nicht alle begeistert ("Es ist so furchtbar, dieses Gequake", so ein Kommentar aus dem Umfeld) ist nachvollziehbar, doch strahlt auch dieses Album jene morbide Faszination aus, die dem Mann aus Kentucky eigen ist.

"I want to be your only friend / Beware of me", singt er im Opener. "Seek the wolf in yourself" lautet die Aufforderung auf der Rückseite einer 1-Dollar-Note auf der letzten Seite des Booklets. Oldham erkennt, dass er dunkle Gedanken hat, aber das ist normal, schließlich habe sie ja jeder, so seine Aussage.

Ein Album für den Voyeur in uns. Und eines, mit dem sich das Dasein als Redakteur ertragen lässt, zumal der Stapel nun um einen knappen Zentimeter schrumpft.

Trackliste

  1. 1. Beware Your Only Friend
  2. 2. You Can't Hurt Me Now
  3. 3. My Life's Work
  4. 4. Death Final
  5. 5. Heart's Arms
  6. 6. You Don't Love Me
  7. 7. You Are Lost
  8. 8. I Won't Ask Again
  9. 9. I Don't Belong To Anyone
  10. 10. There Is Something I Have To Say
  11. 11. I Am Goodbye
  12. 12. Without Work,You Have Nothing
  13. 13. Afraid Ain't Me

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1 Kommentar

  • Vor 15 Jahren

    Nch dem ersten Hören klang es ein wenig wie das Album, welches Ryan Adams in diesem Leben nicht mehr gebacken kriegt.
    Folky/Countrygefärbt und irgendwo zwischen melancholischer Schönheit und gebrochenem Herzen.

    Es jault und fließt lieblich vor sich hin.
    Auf jeden Fall klasse Album, auch wenn man bei dem Output langsam ein wenig die Orientierung verliert.