laut.de-Kritik

Endlich wieder Morrissey hören, ohne danach zu duschen.

Review von

Seit der zweite Mensch rhythmisch Steine aufeinander schlug, besteht Musik aus dem Kopieren anderer. Selbst die größten Legenden zitierten munter die Musikgeschichte. Bei manchen erkennt man es deutlicher, bei anderen weniger. Weil alle jedoch ein eigenes Fitzelchen hinterlassen, entwickeln wir uns in kleinen Schritten weiter. Neuen Bands vorzuwerfen, sie würden wie andere klingen, greift also zu kurz. Man kann diese Vergleiche höchstens als Anhaltspunkt nutzen. Brigitte Calls Me Baby klingen als hätten die Last Shadow Puppets und die Smiths ein gemeinsames Kind gezeugt, das Chris Isaak abends babysittet.

Die Parallele zu den Smiths verdankt sich vor allem Sänger Wes Leavins. Ihm zuzuhören ist in etwa so, als würde man Morrissey hören, nur ohne dass man sich danach dreckig fühlt und duschen möchte. Zwar findet sich die Band aus Manchester auch in der Musik der Band aus Chicago wieder, wie etwa "Palm Of Your Hand" zeigt, doch sie darauf zu reduzieren, würde weder Brigitte Calls Me Baby noch den Smiths gerecht. Zudem gibt es hier keinen Johnny Marr. Zwar bespielen die Texte in Stücken wie "I Wanna Die In The Suburbs" ein recht ähnliches Feld, und im Titeltrack darf auch mal mit Blumen geworfen werden ("When my life is through / ... / There will be people / And flowers and the people will love me"), aber dennoch bleibt ein optimistischer Unterton. Pessimistischer wäre auch schwer möglich.

Wie sehr der offensichtliche Vergleich mit den 1980ern-Helden eh hinkt, zeigt sich schnell bei genauerer Betrachtung. Ihre Bauteile finden sie ebenso bei den Cars und den Strokes. Durch die gelungene Mischung aus einzelnen Elementen nähern sich die Gitarristen Jack Fluegel und Trevor Lynch, Bassist Devin Wessels und Schlagzeuger Jeremy Benshish einem eigenen Klangbild. Ihr Sound fällt um einiges pompöser und amerikanischer aus. Wo Leavins eben noch die wie der Mozzer klang, croont er zwei Takte später in bester Roy Orbison-Manier.

Wie schon die EP "This House Is Made Of Corners" eröffnet der Titeltrack das Debüt "The Future Is Our Way Out". Ein Lied über die Angst vor dem Tod und die Hoffnung darauf, dass sich hinter diesem Ende eben doch etwas besonderes befindet. Ein gelungener Einstieg in die Welt von Brigitte Calls Me Baby, der all ihre Stärken ausspielt. Da es alle fünf Stücke der im Februar erschienenen EP auf das Album schafften und gerade einmal sechs neue dazu kamen, wirkt "The Future Is Our Way Out" fast schon wie eine Deluxe Ausgabe dieser und auf den ersten Blick etwas enttäuschend. Dafür verfügen die größtenteils live aufgenommenen Stücke über die selbe Energie, bilden eine Einheit mit den schon bekannten.

Befindet sich die Band in dem von der Tragödie von Jayne Mansfield inspirierten "Pink Palace" und vor allem in "I Wanna Die In The Suburbs" noch im The Smiths-Modus, schwenkt das sehnsuchtsvolle "Eddie My Love" voll in Richtung Everly Brothers. "Too Easy" mit seinem schwelgerischen Refrain sucht sich seine Schwärmerei im New Wave. Im Grunde passt dies alles gar nicht zusammen. Brigitte Calls Me Baby schaffen es dennoch, all dies sinnvoll zu verbinden.

"The people that we were, they won't be there tomorrow / The things we used to cling were only ours to borrow / I'm hoping that someday this all will end", singt Leavins in an die Simple Minds erinnernden Albumhighlight "We Were Never Alive". Ein prunkvoller Song, mit exzellenter Dynamik, geschmückt von Wessels herrlich dröhnendem Bassmittelteil. Mit dem abschließenden "Always Be Fine" zeigt sich die Band noch einmal von einer ganz anderen Seite. Einer Rock'n'Roll-Ballade der schmalzigsten Art, die an Roy Orbison gemahnt.

"The Future Is Our Way Out" gleicht einem Baukasten aus unzähligen Teilen der Vergangenheit, aus dem sich Brigitte Calls Me Baby munter bedienen. Alle können Klemmbausteine zusammen setzen. Während bei den meisten aber ein schiefes Auto heraus kommt, bauen die Chicagoans daraus ein kunstvoll verziertes Haus. Jedes Lied gelingt für sich selbst, alle Lieder funktionieren gemeinsam.

Trackliste

  1. 1. The Future Is Our Way Out
  2. 2. Pink Palace
  3. 3. Eddie My Love
  4. 4. Fine Dining
  5. 5. I Wanna Die In The Suburbs
  6. 6. Too Easy
  7. 7. Palm Of Your Hand
  8. 8. Impressively Average
  9. 9. We Were Never Alive
  10. 10. You Are Only Made Of Dreams
  11. 11. Always Be Fine

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 3 Tagen

    kannte ich nicht. werde anhören. danke.
    aber ich kann das morrissey bashing nicht nachvollziehen. der mann war vor 40 jahren ein edgelord (bevor es diesen begriff gab. der proto-edgelord) und er ist halt jetzt ein edgelord. ich fürchte, nicht er hat sich geändert...

    • Vor 2 Tagen

      Edgelord kann man sein, auch wenn es ab einem gewissen Alter peinlich wirkt. Aber zu erklären das Hitler eigentlich links war und Rechtsextreme zu unterstützen ist und bleibt verachtenswert und der Mann hat sich damit jeden Kübel Scheiße verdient, der über ihm ausgeschüttet wird.

    • Vor einem Tag

      Ja, der wird zurecht gehasst. Ist auch das einzige lebende Beispiel, das mir spontan einfällt, von einem Künstler, der persönlich und politisch komplett daneben ist, und noch immer ein wirklich gutes Werk abliefert. Normalerweise haben rechte Spinner nicht die kreativen oder intellektuellen Kapazitäten dazu.

    • Vor einem Tag

      Ach im Rap würden mir da einige einfallen :D

    • Vor einem Tag

      "Merkel hat Deutschland zum Land der Vergewaltigung gemacht". Wegen solcher Aussagen muss man sich nach dem Genuss seiner Musik die Hände waschen. Es gibt edgy Edgelord Getue und es gibt menschenverachtende Spinnerei. Mir hat's sein Werk dadurch ordentlich verhagelt. Bei Rammstein wars egal, bei Manson einigermaßen ärgerlich und um den Mozzer tuts mir wirklich leid.

  • Vor 2 Tagen

    Macht Bock, wird noch öfter rotieren

  • Vor einem Tag

    Origineller Name, leider nicht besonders originelle Musik.
    Würden wahrscheinlich eine ganz passable Vorband für Morrissey oder die White Lies abgeben, mehr nicht.

    • Vor 14 Stunden

      Mir kam gleich der Verdacht, ob hier Menschen beteiligt sein könnten, die sich auch bei den ebenfalls großartig benannten und ebenso bereits auf ihrem Debüt stellenweise zu uneigenständig und ideenlos daher kommenden "I love you but I've chosen darkness" schon tummelten...

      ...bin aber an beiden Bands zu uninteressiert, um das zu genauer zu recherchieren.