laut.de-Kritik
Zwischen feuchtem Hipster-Traum und trotzigem Eigenbrötlertum.
Review von Manuel BergerBrutus sitzen konsequent zwischen den Stühlen. Das war schon beim im Underground (und von Lars Ulrich) gefeierten Debütalbum "Burst" so, und das bleibt auch so auf "Nest". Die Belgier nehmen die rohe Aggression von Punk und Hardcore, mischen sie mit der Atmosphäre des Post Rock und Shoegaze, liebäugeln mit süffigen Popmelodien, tunken alles in urbane Melancholie und piksen dazwischen mit scharfen Black Metal-Dolchen.
Trotz dieser weitreichenden Einflüsse schreiben Brutus knackige, meist zwischen drei und vier Minuten pendelnde Stücke. Statt wie im Post Rock üblich, minutenlang Walls of Sound aufzubauen und wie einen Tsunami auf den Hörer zurollen zu lassen, wirft das Trio aus Flandern die seinen als Bomben ab.
Kaum ein Song zeigt das so schön wie "War". Erst täuschen Brutus eine Ballade im Stile Emma Ruth Rundles an, plötzlich wechselt Gitarrist Stijn Vanhoegaerden von sanften Arpeggios zu schrillen Tremolos, und die eben noch getragen singende Stefanie Mannaerts drischt erbarmungslos auf ihr Schlagzeug ein. Die Explosion dauert ungefähr 15 Sekunden, dann powern die Musiker unter Führung von Bassist Peter Mulders durch den Hardcore-Moshpit. 30 Sekunden später vereinen sie die bis dahin vorgestellten Elemente, und Mannaerts legt ihre klagenden Vocalbögen über einen Alcest-artigen Blackgaze-Teppich.
In ihrer stachligen Individualität fühlen sich Brutus mittlerweile noch wohler als beim Debüt. Hörbar selbstbewusster und definierter im eigenen Sound switchen sie zwischen den verschiedenen Parts, die trotz des Stilmischmaschs kompakt wirken. So generieren die Belgier, obwohl sie oft wesentlich härter an The Dillinger Escape Plan schrammen als an Blink-182, überraschend viel Eingängigkeit inmitten ihres Chaos'. Zu "Techno" möchte man gleichzeitig tanzen, den Jutebeutel schwingend trällern … und zum saftigen Roundhouse-Kick ausholen. "Django" klingt, als habe das Trio in einem leeren Fußballstadion ausprobiert, wie man La Ola-Chöre mit Noise Rock paart.
Insbesondere Mannaerts weigert sich, vorhersehbar zu agieren, sowohl bei Gesang als auch ihrem Drumming. Die allermeisten Trommler würden die Black Metal-Gitarren in "Sugar Dragon" wohl mit durchgedrückter Doublebass und Blastbeats begleiten. Mannaerts galoppiert bockig darüber hinweg, und auch wenn sie zu gängigen Punkschreien in der Lage ist ("Fire"), stilisiert sie sich gesanglich viel lieber als eine Art aggressive Dolores O'Riordan ("Django", "Sugar Dragon").
Ungestüm preschen Brutus weiter in ihrer Schneise zwischen feuchtem Hipster-Traum und trotzigem Eigenbrötlertum voran. Ihr "Nest" beherbergt drei der kuriosesten, aber vielversprechendsten Jungvögel der Szene, ist Schauplatz furioser Schnabelkämpfe, geflochten aus verschiedensten Materialien, ausgelegt mit weichen Federn – und definitiv eins der interessantesten vom ganzen Baum.
4 Kommentare mit 2 Antworten
die pladde klingt wieder wie ein livekonzert. schon beeindruckend wie sie es schaffen, die energie so zu konservieren.
Django ist ja mal ein dickes Brett! Herrliche Vorstellung wie Mannaerts gleichzeitig bei Vocals und Drums abgehen muss. Thumbs up!
Ab wann ist etwas musikalisch hipsterig? Kann mir das mal jemand erläutern?
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Thx Molten!
"War" ist ein Monster!
Ohje...