laut.de-Kritik

Vom neuen Klassiker bis zur Ladehemmung.

Review von

Als wiederbelebte Punk-Dinos in der an Releases nicht armen Kalenderwoche 38 ein 'Hallo, wir sind noch da'-Album herauszubringen, erfordert schon Chuzpe. Das sehr schmale Stückchen Medienaufmerksamkeit, das für "Sonics In The Soul" vom Kuchen abfiel, bewegte sich zwischen verärgerten, distanzierten, wohlwollend fairen bis überrascht lobenden Reviews. Die Scheibe polarisiert, was die Sache spannend macht. Denn schlecht ist das Spätwerk nicht, nur eben ein bisschen anders, als man die Buzzcocks im Ohr hat.

Nach dem Tod Pete Shelleys schien die geschichtsträchtige Band abgehakt. Doch dann eröffnete Steve Diggle, einziges verbliebenes Gründungsmitglied, "eine neue Ära", wie er dem belgischen Peek-a-boo-Magazin Ende 2019 erwartungsfroh diktierte. Dann kam der Lockdown, Diggle hatte Muße zum Schreiben. Hinzukam der neue Co-Gitarrist Mani Perazzoli, der mindestens der Sohn, wenn nicht gar Enkel der anderen drei Bandmitglieder sein könnte.

Die Vocals übernahm Diggle selbst, und hier zeigt sich ein erster Bruch. Er tönt nörgelig, bisweilen kläffend, erinnert manchmal an Bob Dylan. Das britische Uncut-Magazin nennt die Stimmlage "schneidend und leicht nasal", und ja, es hat offenkundig seinen Grund, dass Diggle früher höchstens Background-Vocals beisteuerte. Andererseits gehen einige Klassiker der Buzzcocks auf sein Konto, darunter die unantastbare Hymne "Harmony In My Head" (1979), eine geniale Entladung, einer der mitreißendsten Punk-Songs ever.

Diggle schreibt direkt, emotional, textlich karg und sehr klar. In puncto Melodie betritt er auf der neuen CD zwei Pfade: Dissonanz und Eingängigkeit. Beides hält sich die Waage. Unterm Strich schneidet die Platte mit sechs unterhaltsamen und fünf eher verzichtbaren Nummern als durchaus relevant ab - nicht gerade der große Wurf einer neuen Ära. "Don't Mess With My Brain" startet unauffällig und gewinnt mit punktuellen Bass-Rückkopplungen an Spannung. Letztlich ist die Nummer, deren Message 'Leg dich nicht mit meinem Hirn an' leichte Anarcho-Vibes pflegt, auf der Habenseite zu verbuchen.

"Manchester Rain" mit schwer vibrierendem Intro im Stil der Manics bewegt sich entlang einer dissonanten Melodieführung. Das passt zum Thema Regen. So frustriert, wie Steve Diggle hier shoutet, stellt man ihn sich sofort wie einen begossenen Pudel an der Bushaltestelle vor. "Venus Eyes" glänzt als schöne Songwriting-Nummer mit New Romantics-Schlagseite.

Bei "Experimental Farm" braucht man nicht lange zu überlegen, was für eine Farm gemeint sein könnte. Der Bauernhof klingt vor allem nach psychedelischer Garage in Slow-Motion, ein Nugget auf dem Album. Der Text ist ein Mantra, wie überhaupt viele Wiederholungen die Songs kennzeichnen. Ein bisschen Spacerock wabert durch die Luft. "Nothingless World" zählt ebenfalls zu den Stücken, bei denen man dran bleibt - vorausgesetzt, man hält Diggles Stimme Stand.

Die schwächeren Nummern der Platte wirken vor allem langweilig. So hätte man aus einem Songthema wie dem von "Bad Dreams" deutlich mehr herausholen können, doch es bleibt beim Glamrock-Versuch mit Ladehemmung. Reimen kann Steve eigentlich gut: "As the day tries to wake me / Your charm's tryin' to take me". Die Lyrics sind sogar das Beste an "You've Changed Everything Now", musikalisch bleibt die Liverpool-Merseybeat-Reminiszenz aber zum Gähnen.

Der rundeste Track ploppt indes direkt zu Beginn auf: "Senses Out Of Control" erfreut als druckvoller, kompakter und geradliniger Post-Punk-Banger und darf als neuer Klassiker ins Liverepertoire der Band eingehen. Im kommenden Januar, April und Mai touren die Buzzcocks dann erst mal durch UK, ob sie nach sechs Jahren auch wieder in Deutschland vorbeischauen, steht dagegen noch nicht fest.

Trackliste

  1. 1. Senses Out Of Control
  2. 2. Manchester Rain
  3. 3. You've Changed Everything Now
  4. 4. Bad Dreams
  5. 5. Nothingless World
  6. 6. Don't Mess With My Brain
  7. 7. Just Got To Let It Go
  8. 8. Everything is Wrong
  9. 9. Experimental Farm
  10. 10. Can You Hear Tomorrow
  11. 11. Venus Eyes

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