laut.de-Kritik
Alles was das Prog-Herz begehrt.
Review von Manuel BergerDas Zeit-Leistungs-Verhältnis von Caligula's Horse ist wahrlich beeindruckend: Vier Studioalben in sechs Jahren Bandgeschichte und jedes davon ist ein Kleinod des Prog. Seit ihren Anfangstagen zeichnet die Australier der Spagat zwischen eher technisch orientierter Genrekost und der melodischen Schiene à la Porcupine Tree, Pain Of Salvation und Co. aus. Diese Grundausrichtung bleibt auf "In Contact" erhalten, die Band präsentiert ihren Stil ausgereifter denn je und stößt Türen auf, die in Zukunft noch nützlich sein können.
Dem Album liegt ein vierteiliges Konzept von Sänger Jim Grey zugrunde. In vier Kapiteln, aus Sicht vier verschiedener Protagonisten beleuchtet er das Wesen der Kunst, Kunstschaffender und der oftmals hinter der öffentlich sichtbaren Fassade vergessene Menschlichkeit. So hadert im vier Songs umfassenden ersten Abschnitt "To The Wind" ein Maler mit den Erwartungen seines Publikums und einer Alkoholsucht. Setzt er sich selbst aufs Spiel, um in gewohnt destruktiver Weise ein weiteres Meisterwerk zu schaffen und die Leute zufriedenzustellen, die nur den Künstler sehen wollen? Oder nimmt er möglichen Popularitäts- und Erfolgsverlust in Kauf, um seine persönliche Existenz zu wahren?
Grey formuliert kryptisch, allerdings auch sehr ausführlich. Dabei passt er die Stimmung seiner Worte der Musik an. Im viertelstündigen Opus "Graves" erzählt er die Geschichte eines werdenden Vaters. Zunächst suchen ihn vor unruhiger Instrumentalkulisse Zweifel heim: "What kind of father could I be?" In den ersten Minuten pendelt der Song ständig zwischen der Angst vorm Versagen und positiven Anklängen, die sich schließlich in euphorischen Tremolos entladen und im Moment der Geburt durchsetzen: "All was reconciled / When I held my child." Es folgt eine Phase der Ruhe. Akustik-Akkorde und zarte, verzückte Leads begleiten die Zeilen "Quiet mind / Be at peace", bauschen sich auf zu einer Welle der Erleichterung: "We are the soil that joy gave form".
Mag sein, dass es daran liegt, dass Grey im Gegensatz zu vielen seiner Artgenossen live und bei den Aufnahmen ausschließlich auf seinen Gesang konzentriert, jedenfalls hört man nur selten derart ausgefeilte und interessante Vocal-Lines. In "Songs For No One" stellt er sein Gespür für catchy Melodien unter Beweis, in "Will's Song" feuert er aggressive Stakkato-Salven ab, in "The Hands Are The Hardest" schlängelt er sich durch filigrane Prog-Riffs, deren Verlauf er immer wieder reflektiert. Zu den Höhepunkten zählt definitiv ein choralartiges Interludium in "Graves".
Das Herzstück von Greys Performance ist "Inertia And The Weapon Of The Wall". Hier schlüpft er nämlich direkt in die Rolle des nun handelnden Dichters und trägt eines seiner Werke vor. Hauptsongwriter Sam Vallen unterstützt den ohnehin schon dynamischen Spoken-Word-Vortrag punktuell mit Soundeffekten, lässt ansonsten aber Grey und seine Stimme allein. Das mag zunächst wie ein Stilbruch wirken, das oben beschriebene Konzept trägt diesen jedoch. Damit beweisen Caligula's Horse, dass sie im Grunde jede Richtung einschlagen können – sei es auf "In Contact" oder ganz einfach auf künftigen Alben.
Den wütenden Abschluss des "Inertia"-Monologs verknüpfen Caligula's Horse unmittelbar mit dem brachialen Einstiegsriff von "The Cannon's Mouth", das die Symbiose aus Vallens Komposition und Greys Vocals noch einmal in Vollendung zeigt. Kalte Tech-Prog-Passagen, die besonders gen Ende Rhythmusherzen höher schlagen lassen, paaren sich mit großen Melodiebögen. Dezente Streicher-Einsprengsel und ein experimentelles Gitarrensolo runden das Ganze ab.
Als Verschnaufpausen zwischen überlangen progressiven Epen ("Dream The Dead"), sprunghaften Alternative-Metal-Stücken in hart ("Will's Song") und weich ("The Hands Are The Hardest"), packen Caligula's Horse außerdem zwei Balladen: "Love Conquers All" und "Capulet". Statt komplexen Songstrukturen frönen die Musiker hier der simplen Harmonie.
Zu kritisieren gibt es an "In Contact" nichts. Für die Höchstpunktzahl reicht es nur deshalb nicht, weil das letzte Quäntchen Außergewöhnlichkeit fehlt, das zum Beispiel Leprous auf ihrem aktuellen Album "Malina" transportieren. Das ist letztendlich aber rein der subjektiven Wahrnehmung geschuldet. Nicht viele Bands werden sich 2017 mit Caligula's Horse messen können'
2 Kommentare
bestes album von caligula's horse bislang. die beiden vorgänger hatten einzelne großartige songs, ohne dass diese allerdings in ein harmonisches ganzes integriert waren, in dem das ganze mehr ist als die summe seiner teile, blabla. zudem waren die songs stilistisch recht unterschiedlich, zusammenhaltendes moment nur die unglaubliche stimme des sängers. "in contact" ist hingegen zum ersten mal bei caligula's horse ein zusammenhängendes werk, wo alles an seinem platz zu sein scheint und wo sich ein eigener stil herausbildet.. und ich bin gefangen, zwischen dem hymnischen gesang des sängers, kranken grooves und rhythmuswechseln, minimalistischer melancholie und erhabenen melodiebögen.. hat man sich von steven wilson's "to the bone" gehörig einlullen lassen, sollte man danach dieses album anschmeißen.
bin von mal zu mal begeisterter, mit leprous' "malina" definitiv eines der besten prog-releases dieses jahres.. dagegen kann wilson einfach nicht anstinken mit seinem überkalkulierten pop-querbeet-projekt (so sehr ich "the raven" und "hand.cannot.erase" auch feier..).. stattdessen hier nochmal der link zum jüngsten album einer der besten und zugleich "most underrated" prog-bands: https://www.youtube.com/watch?v=Ubn06zXq8GA