laut.de-Kritik
Ein Epos der Andersartigkeit.
Review von Anastasia Hartleib"Ombanji" gleicht einem Epos. Camufingo erzählt in seinem Debüt die Geschichte eines jungen Mannes, der auszog, um seinen Platz in der Welt zu finden, und dabei auf sich selbst stieß. 22 Songs lang lässt der gebürtige Potsdamer den Hörer an seiner sehr persönlichen Entwicklung teilhaben und schafft dabei ein Bewusstsein dafür, dass längst noch nicht alle Menschen gleich sind.
Camufingo steigt in seine Erzählung mit einem Abschied ein. Als Sohn eines Angolaners und einer Deutschen fühlte er sich nie richtig zugehörig in seiner Kleinstadt, war immer "der Andere". Es kommt der Moment, da hat er den Zirkus in Deutschland gehörig satt. Er kauft sich ein Flugticket nach Luanda, Hauptstadt Angolas, und bittet seine Familie: "Lass mich gehen." Er hat genug vom Zwischen-den-Stühlen-Sitzen, vom Gefühl, sich ständig selbst zu verraten: "Jeder von uns kennt das Bedürfnis, weiß zu sein / Ich schäme mich dafür, dass ich das jemals begehrt hab, denn ich bin der Shit, wie ich bin, und meine Haarpracht trotzt der Schwerkraft."
In der Zeit zwischen "TXL-LAD", zwischen Abreise und Ankunft, holen Camufingo die Zweifel ein, die wohl jeder kennt, der eine etwas gewichtigere Entscheidung getroffen hat. Zu dezent schepperndem Funk sinniert er, ob der Entschluss, sein Leben in Deutschland hinter sich zu lassen, richtig oder doch eher gewissenlos war. Dann lehnt er sich zurück und schwelgt in "Erinnerungen", die nicht die seinen sind.
Er lässt seine Idee des Landes aufleben, an das er seine Zukunft knüpft, zusammengesetzt aus Erzählungen und Erinnerungen anderer, hauptsächlich denen seines Vaters, dem er hofft, auf diese Weise auch näher zu kommen. "Das Donnern der Triebwerke / Echo des Schicksals / Seines und meines, endlos und nicht klar / Wir kommen uns entgegen und es wird sichtbar / so wächst die Saat der Geschichte, wo vorher nichts war."
Dann ist er da, der Moment der Ankunft, der "Heimkehr". Mit einem breiten, trommelnden Beat verbreitet Camufingo Gänsehaut-Stimmung, die auch nach mehrfachem Hören nicht nachlässt. "Meine Sohlen berühren rote Erde / Gefühle, als ob ich irgendwo hier geboren wäre." Für den Hauch einer Sekunde scheint es, als fliege ein Hauch lehmigen Geruches durch das eigene Wohnzimmer. Die Euphorie, die Camufingo bei seiner Ankunft einholt, überschattet alles andere.
Die Worte, die er wählt, um seinen Zustand auszudrücken, besitzen so viel Gewalt, dass es fast unmöglich erscheint, die Schmetterlinge im Bauch nicht selbst zu fühlen: "Bin verwirrt, denn ich kann Verstand und Gefühl gerade nicht vereinen / ich hätte nie gedacht, ich würde so früh ergriffen sein / schieb die Angst vor dem Neuen beiseite und stürze mich hinein in Staub, Hitze und Lärm / Ich lauf, schwitze und lern von Brauch, Pflichten und Erbe / Raub, Schüssen und Sterben / Ich erkenne den Unterschied zwischen Traum, Wissen und Schwärmen."
Zu keinem Zeitpunkt verklärt oder verschönert Camufingo seine Gefühle und Erlebnisse. Vom Beginn bis zum Ende seiner Reise legt er jede Emotion offen, jeden Tiefschlag, jedes Hoch, jede Erkenntnis. Er lässt den Hörer mit sich reifen, lässt ihn seine Erfahrungen durchleben. So folgt auf die Euphorie zu Beginn schnell die Erkenntnis, dass das reale Angola mit dem Land seiner Träume nicht viel zu tun hat. Hier fühlt sich niemand zum König oder zur Königin berufen, sondern alle sind nur "ganz normale Menschen".
"Das, was du träumst und wie es ist, so konträr / wir waren niemals das, was du dachtest, was wir wären." Aber er erzählt auch von persönlichen Erlebnissen, einem One Night Stand zum Beispiel, der beinahe in der Verantwortung für ein Kind mündete. Oder dem Einräumen eigener Vorurteile, das in einer großartigen Ode an schwarze Geschlechter aufgeht.
Dabei legt "Ombanji" eine unglaubliche Musikalität an den Tag. Von reinem Funk über klassischen Boom Bap bis hin zu trappigeren Sounds findet sich alles in den Beats wieder. Sie wandeln fließend zwischen brassig breit und sanfter Melancholie hin und her und tragen in ihrem Herzen stets die einzigartige Rhythmik Afrikas. Greg Dhilla, P-Body und Camufingo selbst beweisen genau das richtige Gespür für den Sound des Albums, der sich zu keinem Zeitpunkt in den Vordergrund drängt und der Geschichte des Erzählers den perfekten Rahmen liefert.
Camufingo schildert in "Não Maya" die Korruption und Kriminalität, die das Land beherrschen. Er berichtet davon, wie die Träume der Menschen auf dem "Asphalt" der Straßen zerschellen, wie schnell ein Leben sein Ende finden kann. Und von der bitteren Armut der Menschen, die ihn langsam einholt, je tiefer er in den Alltag Angolas einsteigt. In "Blende Aus" bekommt Camufingo eine erste ungefähre Ahnung von der harten Lebensrealität des Landes. "Und ich weiß, ich kann raus, wenn ich will, doch ich bleib, weil mein Traum sterben würde."
Aufgeben erscheint für den Rapper jedoch zu keinem Zeitpunkt als Option. Auch nicht, als er in "Lebendig" den absoluten Tiefpunkt erreicht. "Água gibts im Tausch für Rückenschmerzen, doch ist der Quatsch dann braun, kann man damit auch nicht glücklich werden." "Die Sonne lässt die Nase bluten, während Moskitos wie Junkies nach ebendieser Ware suchen / Doch erst, wenn es Malaria gratis dazu gibt, merkt man, wie langsam Panik ein, zwei Leiterbahnen flutet / Denn die Herkunft der Medikamente ist ebenso zweifelhaft wie der Arsch, der glaubt, Arzt zu sein, und so noch mehr Leiden schafft."
Der seelische Einsturz, der oftmals mit einem gesundheitlich schlechten Zustand einhergeht, macht auch vor Camufingo nicht Halt. Er erreicht einen Punkt, an dem die Zerrissenheit, wegen der er Deutschland verlassen hatte, hier, im Land seiner Träume, erneut aufflammt. Und dass er hier aufgrund seines Aussehens ebenso anders ist. Wut und Enttäuschung machen sich in Camufingo breit, denen er im sehr emotionalen "Farbspiel" Luft macht.
Er verfasst einen Brief an sich selbst, den weißen Teil in sich, dessen Worte bis tief ins Mark erschüttern. "Ich kam hierher, im Denken endlich meinen Frieden zu finden und den ganzen Schmerz, den ich zurückließ, hier vielleicht nie zu empfinden / Alles, was ich wollte, war dem Scheiß entfliehen und entwischen / Auf der Suche nach mit selbst gabs nur dieses eine Ziel - Eine Mission / Doch jetzt steh ich vor dem Nichts, den Kopf voll rassistischer Versprechen / zum Beispiel, dass unser Zusammenspiel hier ja richtig, richtig Cash bringt / Und gleichzeitig nennt man mich Hurensohn, der Frauen benutzt wie Bitches und nicht ernst nimmt / Alles ist einfach rückwärts, Tränen der Vergangenheit, Wut im Herzen / Ich würd dich gern runterreißen, verbrennen und in alle Winde verstreuen, denn der Inbegriff dieser Bräune ist das traurige Sinnbild der Träume, die für mich nicht in Erfüllung gehen."
Camufingo entkommt dem Abgrund der einstürzenden Erwartungen und wächst daran. Zwar zerschellt seine Hoffnung, im Land seines Vaters endlich als Person und nicht als anders aussehend wahrgenommen zu werden. Er kann sich jedoch damit arrangieren und findet auf diesem Weg zu sich selbst. "Ombanji" beschreibt die Verwandlung eines wütenden Jungen, der eigentlich nur dazugehören möchte, hin zu einem reifen Mann, der an all seinen Erfahrungen gewachsen ist und mit sich selbst erstmals im Reinen sein kann. Diese Verwandlung verpackt Camufingo in einem perfekt arrangierten Meisterwerk, das in jedem, der es hört, etwas auslöst, verstärkt und brennen lässt: Verständnis für die Andersartigkeit.
5 Kommentare
anastasia hartleib postet bei facebook "ich bin anders" die meisten der lautredaktion liken und kommentieren "ich auch"
Bah, ist das alles verkrampft. Er kann, aber er will zu viel.
Klar, dass so ein verwegener Heckenpenner hier abgefeiert wird
schon das Cover erinnert an Lea Won
Jeder will halt einen Teil vom Kuchen abhaben....
Der da geht mit Befindlichkeitsrap an den Start.
Außenseiter in Deutschland, Außenseiter in Angola – Camufingo erzählt auf diesem Konzept-Album seine junge Lebensgeschichte in farbig arrangierten Songs, bei denen man fast vergisst, dass es um Hiphop geht. [https://www.peter-hamburger.de/blog/2018/1…